Das Krebsmedikament Plitidepsin und das Schmerzmittel Ziconotid haben eines mit vielen anderen Arzneien gemeinsam: Sie sind ein Produkt der Meeresforschung. Dabei ist bisher nur ein kleiner Teil der Tiefsee erkundet. Es ist also kaum auszudenken, welche "Wundermittel" die Ozeane noch versteckt halten.

Doch diese scheinbar unendliche Artenvielfalt schmilzt dahin wie das Eis an den Polkappen. Das Artensterben ist auf der politischen Weltbühne dennoch nur ein Randthema, auch wenn Forschende warnen, dass der Verlust an Biodiversität uns eigentlich noch mehr besorgen sollte als die Klimakrise. Immerhin produzieren die Weltmeere nicht nur die Hälfte des Sauerstoffs, den wir atmen, sondern versorgen auch Milliarden Menschen mit Lebensmitteln.

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DER STANDARD

Neue Regeln

Das am Sonntag beschlossene UN-Hochsee-Abkommen ist deshalb ein wichtiges Symbol. Einerseits dafür, dass sich die Menschheit – wenn auch vorerst nur auf dem Papier – um die Erhaltung ihrer Lebensgrundlagen kümmert. Andererseits, weil die Einigung zeigt, dass der Multilateralismus in einer Zeit, in der sich die Welt neu ordnet, noch mit gemeinsamer Stimme sprechen und brauchbare Ergebnisse liefern kann.

Der neue Vertrag schafft neue Regeln für einen Raum, wo bisher teilweise oft das Recht des Größeren und Stärkeren galt. So müssen Pharma- oder Chemiekonzerne, die Erkenntnisse aus der Hochsee nutzen, um Produkte zu entwickeln, künftig in einen Topf einzahlen, aus dem wiederum Meeresschutzmaßnahmen für ärmere Länder finanziert werden. Vom gemeinsamen Erbe der Menschheit, wie das Abkommen die Ozeane nennt, sollen schließlich alle profitieren.

Strenge Kontrolle

Endlich können auch in der Hochsee Schutzgebiete geschaffen werden – ein dringend notwendiger Schritt, wenn bis 2030 tatsächlich 30 Prozent der Meere unter Schutz gestellt werden sollen. Auf dieses Ziel hat sich die Weltgemeinschaft im Weltnaturabkommen im Dezember geeinigt.

"Das Schiff hat das Ufer erreicht", sagte die Verhandlungsleiterin Rena Lee am Sonntag unter Applaus, als das Hochsee-Abkommen nach über 15 Jahren ausverhandelt war. Auch Forschende und Umweltorganisationen jubeln bereits, feiern die Einigung als Riesenerfolg und ziehen Vergleiche mit dem 2015 in Paris geschlossenen Klimaschutzabkommen.

Viel zu spät

Die größte Gemeinsamkeit ist allerdings, dass beide Abkommen viel zu spät kommen. In einer Zeit, in der viele Arten überfischt sind und der Klimawandel den Riffen Farbe und Leben raubt, kann kein Abkommen mehr reparieren, was die Menschheit bereits kaputtgemacht hat. Das Schiff ist in Wirklichkeit längst abgefahren.

"Entscheidend wird auch sein, dass sich große Player wie China und Russland zum Meeresschutz verpflichten, was sie bisher nicht getan haben."

Die schlimmsten Auswirkungen der Biodiversitätskrise lassen sich aber noch verhindern. Dafür ist entscheidend, dass der neue Vertrag schnellstmöglich mit Leben erfüllt wird. Um die Vielfalt in den Meeren zu erhalten, müssen Schutzgebiete entstehen und streng kontrolliert werden sowie zerstörerische Praktiken wie der Tiefseebergbau reguliert werden. Entscheidend wird auch sein, dass sich große Player wie China und Russland zum Meeresschutz verpflichten, was sie bisher nicht getan haben.

Dafür ist wenig Zeit. Auch wenn das Hochsee-Abkommen bezüglich der Tragweite mit dem Pariser Klimaabkommen vergleichbar ist – diesmal muss es schneller gehen als in der Klimapolitik. (Philip Pramer, 6.3.2023)