Die Geister und Göttinnen beginnen sich im Stück "Identitti" zu regen – im Streit um die Frage, wer wer sein darf.

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Theaterleiterin Silke Dörner hat mehr Vielfalt in das Ensemble des Phönix in Linz geholt.

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Linz – Auffällig oft tragen männliche Schauspieler dieser Tage Röcke oder dufte Kleider, um mit geschlechtlichen Zuschreibungen zu spielen. Was zu Shakespeares Zeiten gang und gäbe war, trägt heute eine politische Implikation in sich. Im Zuge von Repräsentationsdebatten beschäftigen sich Theaterhäuser intensiv mit dem Thema Identität und den Fragen, wer auf der Bühne zu sehen ist, wer nicht – und warum? Wie ist jemand gekennzeichnet, lesbar gemacht? Im jüngsten Stück von Yasmina Reza (James Brown trug Lockenwickler), das am Residenztheater München bald Weltpremiere feiern wird, glaubt ein junger Mann gar, die Glamoursängerin Céline Dion zu sein.

Man kann also weniger denn je sicher sein, wer sich "hinter" einer Maske verbirgt – und das mit voller Absicht. Vor einem Jahr trieb etwa das Stück Die Ärztin am Burgtheater ein kluges Verwirrspiel um Voreingenommenheit bezüglich ethnischer geschlechtlicher oder religiöser Markierungen. Im Roman Identitti (2021) von Mithu Sanyal wiederum nimmt eine Professorin für Postkolonialismus gar die Identität einer indischen Frau an, um in puncto Rassismus die Probe aufs Exempel zu machen.

Der Roman war so erfolgreich, dass die Autorin inzwischen eine Bühnenfassung nachgereicht hat. Diese feiert heute, Donnerstag, am Theater Phönix in Linz Österreich-Premiere, rasch gefolgt von einer weiteren Inszenierung in Graz nächste Woche.

"Woher kommst du?"

Dass das mit 230 Sitzplätzen relativ kleine Phönix-Theater den Vortritt vor dem Schauspielhaus Graz bekommen habe, liege auch am Gesamtkonzept ihres Hauses, sagt Silke Dörner, die die traditionsreiche Mittelbühne seit Herbst leitet. Sie hat fünf neue Schauspielende ins sechsköpfige Ensemble geholt, davon zwei Persons of Color (PoC). Was ist eine Person of Color? Darauf gibt Sanyals Stück selbst die beste Antwort: "Alle Menschen, die gefragt werden: Wo kommst du her?"

Dörner wollte mehr Vielfalt ins Ensemble und damit auch auf die Bühne holen. Denn die Welt hat sich verändert, auch in der Theateradresse der Wiener Straße, die "heute deutlich multikultureller geprägt ist als noch vor zwanzig Jahren", so Dörner. Die 1967 in Deutschland geborene Theaterexpertin gehört dem Haus seit über zwei Jahrzehnten als Leitende Dramaturgin an. Ihr Bekenntnis lautet: die veränderten Lebensrealitäten der Menschen am Theater widerspiegeln, die Vielfalt der Gesellschaft abbilden. Ein Thema, mit dem viele Bühnen ringen – verfügen sie doch alle über homogen gewachsene Ensembles, die man analog zur Oscar-Debatte auch als "so white" bezeichnen könnte.

Markierungen von Identität

Wobei sich diese Homogenität nicht zuletzt aufgrund der Frage "Wo bleibt das Publikum?" seit kurzem im Umbruch befindet. Dörner hat sich deshalb auch gezielt um ein diverseres Team bemüht, die Ausschreibung war entsprechend formuliert. "Aber natürlich wollte ich es offen lassen, man weiß ja nie, wer sich bewirbt." Wenn sie ihr gemischtes Ensemble aber nicht hätte, hätte sie auch Identitti nicht gemacht, sagt sie. Erst mit dem Öffnen von Institutionen können sich folglich Spielpläne ändern.

Wünschenswert wäre für Dörner indes, wenn man solche Identitätsmarkierungen erst gar nicht mehr aussprechen müsste, weil sie letztlich auch in ein Dilemma führen. Nach Hautfarbe zu besetzen hat schließlich ebenso eine rassistische Implikation, auch wenn dies nicht beabsichtigt ist, insbesondere dann, wenn der betreffende Darsteller "deswegen" engagiert wird und nicht Teil des Ensembles ist.

Schwarzer Prospero

Dörner, die in den 1990er-Jahren in Paris lebte, schwärmt vom damals schon diversen Ensemble Peter Brooks in den legendären Bouffes du Nord, wo ganz selbstverständlich ein schwarzer Darsteller der Zauberer Prospero aus Shakespeares Sturm war. Dörner hätte ebenso keine Scheu davor, Stücke das klassischen Kanons frei aus ihrem Ensemble zu besetzen: "Dramatische Literatur wird immer heutig interpretiert, also warum sollte man das dann nicht machen"?

Dennoch könne ihrer Meinung nach nicht jeder jeden spielen. Ein weißer Schauspieler könne nicht den Othello spielen. "Aber eine Person of Color kann Romeo sein, und auch ein homosexueller Mann kann Romeo sein." Identitti nun verhandelt diese theoretischen Überlegungen samt den ihnen innewohnenden Klischees entlang der Geschichte der temperamentvollen Studentin und Bloggerin Nivedita (Gulshan Bano Sheikh), die sich mit scharfen Identitätsfragen konfrontiert sieht.

So diskursiv wie das Stück selbst, das vorwiegend aus zugespitzten Streitgesprächen besteht, blieb bei der öffentlichen Hauptprobe auch die Inszenierung von Martina Gredler. Auf einer abstrakten Podestlandschaft aus zerknitterten Metallflächen und knallfarbigen Kostümen (Bühne: Anneliese Neudecker, Kostüme: Lejla Ganic) wirkte diese so, als sollte einem allzu papiernen Thesentheater mit einer Exradosis Buntheit auf die Beine geholfen werden.

Das klappt dank einer Hauptdarstellerin mit komödiantischem Talent ganz gut. Gulshan Bano Sheikh verleiht einer nicht ganz unbeschwerten Figur, die den Ansprüchen ihres eigenen indisch-deutschen Daseins genügen möchte und zudem den Vertrauensbruch ihres vermeintlich indischen Idols auszuhalten hat, eine befreiende Lockerheit. (Margarete Affenzeller, 9.3.2023)