Auf EU-Ebene wird über neue Haushaltsregeln beraten. Sie sind notwendig, um Stabilität und Wohlstand in der EU zu sichern, sagt Maarten Verwey, Leiter der Generaldirektion Wirtschaft und Finanzen der Kommission.

Die Staatsschulden sind gestiegen, solides Haushalten ist jetzt geboten.
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Die EU ist anpassungsfähig, das hat sie immer wieder bewiesen. Gerade in den schwierigsten Phasen macht sie oft die größten Fortschritte, vor allem wenn es darum geht, unsere Wirtschafts- und Währungsunion voranzubringen.

Vergangenes Jahr hat die Europäische Kommission die Richtung für die weitreichendste Reform der EU-Haushaltsregeln seit der Wirtschafts- und Finanzkrise vorgegeben. Ihre Vorschläge folgten auf mehrere wirtschaftliche Schocks, die schnelle, energische und teils beispiellose politische Antworten erfordert haben. Um den EU-Ländern mehr Spielraum dafür zu geben, die epochalen wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen der Corona-Pandemie und des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine zu bewältigen, hat die EU ihre Haushaltsregeln vorübergehend gelockert. Mit Erfolg. Dank der Wirtschaftshilfen auf nationaler und EU-Ebene konnten Millionen Arbeitsplätze gesichert und Unternehmen vor dem Aus bewahrt werden.

Staatsschulden auf hohem Niveau

Bei all dem Erfolg sollten wir aber nicht übersehen, dass eine längerfristige staatliche Unterstützung zum Teil ernste Konsequenzen hat. Die Staatsschulden sind gestiegen, mitunter auf ein sehr hohes Niveau. Hier besteht Handlungsbedarf, denn solide öffentliche Finanzen sind eine Voraussetzung für nachhaltiges Wirtschaftswachstum. Eine gute Krisenvorsorge sollte dem Grundsatz folgen "Spare in der Zeit, dann hast du in der Not".

Dass solides Haushalten dringend geboten ist, das zeigen nicht zuletzt die Zehnjahresaussichten für Wirtschaft und öffentliche Finanzen. Uns stellen sich gleich mehrere Herausforderungen. Der ökologische und digitale Wandel und die nötige Stärkung von Europas Sicherheitskapazitäten erfordern hohe öffentliche Investitionen, und das langfristig. Nach einem Jahrzehnt extrem niedriger Zinsen dürften die Finanzierungskonditionen in den kommenden Jahren weniger günstig werden. Auch die Folgen der Bevölkerungsalterung für die Staatshaushalte zeigen sich immer deutlicher.

Glaubwürdige, wirkungsvolle Regeln

Für solide öffentliche Finanzen in der gesamten EU brauchen wir glaubwürdige Haushaltsregeln, zu denen sich alle bekennen, und geeignete Instrumente, um diese Regeln auch wirklich durchzusetzen. Deshalb hat die EU-Kommission ihre Vorstellung von solchen Regeln vorgelegt, die mehrere Grundsätze befolgen:

Erstens können wir nicht alle über einen Kamm scheren. Die 27 EU-Mitglieder haben sehr unterschiedliche Ausgangspositionen, Herausforderungen und wirtschaftliche Aussichten. Ihnen allen dieselben Ziele und dasselbe Tempo bei der Haushaltsanpassung vorzuschreiben, wäre weder optimal noch würde es auf großen Zuspruch stoßen. Mit den vorgeschlagenen Regeln werden die EU-Länder und ihre Schuldenlage einzeln betrachtet, um einen jeweils passenden haushaltspolitischen Anpassungspfad festzulegen.

Zweitens müssen die EU-Länder das Regelwerk mittragen. Innerhalb eines klaren und transparenten EU-Rahmens sollte jedes Land selbst Haushalts- und Wirtschaftsstrategien für einen tragbaren Schuldenstand entwickeln.

Reformen und Investitionen

Drittens braucht es unbedingt Reformen und Investitionen. Die Haushalte einiger EU-Länder mit der höchsten Staatsverschuldung weisen konstant niedrige Primärdefizite auf. Wegen des schwachen Wachstums bleiben die Schuldenstände jedoch hartnäckig hoch. Seriöse Pläne für den Schuldenabbau kommen daher nicht ohne wachstumsfördernde Reformen und Investitionen aus.

Viertens müssen die Regeln auch durchgesetzt werden. Die lasche Einhaltung der Haushaltsregeln und ihre schwache Durchsetzung werden von vielen Seiten kritisiert. Damit Regeln wirkungsvoll und durchsetzbar sind, müssen sie realistisch und glaubwürdig sein und von allen mitgetragen werden. Mit ihren Vorschlägen will die Kommission einen Kompromiss schaffen: zwischen einfacheren Regeln und realistischeren haushaltspolitischen Anpassungspfaden auf der einen Seite und einer strengeren und nachvollziehbareren Durchsetzung auf der anderen Seite.

Auf EU-Ebene wird nun über die Vorschläge der Kommission für die generalüberholten Haushaltsregeln beraten. Für Stabilität und Wohlstand in der EU ist eine Einigung entscheidend. Jetzt ist die Gelegenheit. (Maarten Verwey, 13.3.2023)