Im Gastblog zeigt Jurist und Mediator Ulrich Wanderer, wie von außen auf eine Konfliktsituation geblickt werden kann, um mit dieser besser umzugehen.

Reden wir von Mediation, so ist der Terminus "Konflikt" nicht weit. Was jedoch ist ein Konflikt, und wie verhält er sich? Wie entwickeln sich Konflikte von der erstmaligen Missstimmung, vom ersten Bauchgefühl bis zum gemeinsamen Untergang? Der heutige Beitrag beschäftigt sich einmal mit den Basics, mit den Grundlagen des Konfliktmanagements, mit dem Konflikt an sich, in der Annahme, dass wohl nicht nur Ihr Autor diese Entwicklungen auch schon am eigenen Leib erfahren durfte.

Was einen Konflikt ausmacht

Wenn wir jene intrapersonalen Konflikte, beispielsweise die Divergenz zwischen den eigenen Bedürfnissen und den höchstpersönlichen Moralvorstellungen, außer Acht lassen, das Auseinanderdriften von Soll und Sein oder andere persönlichkeitsinterne Themenstellungen, so fokussieren wir auf jene Themen, die zwischen zwei oder mehreren Personen zu Missstimmungen führen können. Wir reden also von interpersonalen Konflikten.

Wir reden beim Konflikt von einer Spannungssituation zwischen zwei oder mehreren Personen, ausgelöst durch die tatsächliche oder empfundene Notwendigkeit einer Veränderung in der Sphäre zumindest einer Person, wobei diese Veränderung als negativ empfunden wird, zumal die vielzitierte Komfortzone bedroht scheint.

Je besser wir verstehen, wie Konflikte funktionieren, desto souveräner können wir mit ihnen umgehen.
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Einen wesentlichen Aspekt stellt in diesem Bereich also die Einstellung zur Veränderung und zum Herangehen an neue Themenstellungen dar. Nehme ich Veränderungen als Bedrohung wahr, so bedeutet dies für mein Konfliktverhalten wohl etwas anderes als die Akzeptanz der Möglichkeit, mich anhand einer neuen Situation weiterzuentwickeln.

Wenn wir also Teil eines Konflikts sind, gibt es wie so gut wie immer im Leben zumindest zwei Seiten der Medaille: Wir fühlen uns genervt von den Hürden auf unserem Weg, bedroht in unserer Wohlfühlzone, und reagieren verständlicherweise oftmals unentspannt darauf, in einen Konflikt hineingezogen worden zu sein. Andererseits aber sind wir auch Teil der Lösung und somit Teil einer Weiterentwicklung der Gesamtsituation. Nein, nicht immer ist es möglich, die vielzitierte Win-win-Lösung zu erreichen, nicht immer ist es sinnvoll oder erstrebenswert. Doch gleich einem Hürdenlauf hilft das regelmäßige Training bei der Herangehensweise und der Verfeinerung der Technik.

Nach der Konfliktdefinition führt der nächste logische Schritt mehr oder weniger automatisch zum Konfliktforscher und Mediator Friedrich Glasl. In seinen Büchern entwarf Glasl zur Veranschaulichung der Eskalationsdynamik die überaus anschauliche Konflikttreppe.

Eskalationsstufen und ihre Lösung

Grob gesagt unterteilt Glasl die Eskalationsstufen eines Konflikts nach den Möglichkeiten ihrer Beilegung. Besteht noch die Chance einer Win-win-Lösung (wobei Gewinnen hier so verstanden werden kann, dass rückblickend ein Gewinn aus Prozess und Ergebnis gezogen werden kann), können also beide Parteien erhobenen Hauptes aus dem Konflikt herauskommen? Oder ist die Wahrscheinlichkeit eines Win-lose-Ausgangs übergroß (Verlieren ist hier ebenfalls auch retrospektiv gemeint, also nicht nur als Nichterreichen des erst angestrebten Ziels, sondern auch im langfristigen Rückblick), dann bedeutet dies eine wesentliche Eskalation mit Konsequenzen hinsichtlich der Konfliktmanagementtools. Droht eine klare Rollenverteilung zwischen Gewinnern und Verlierern, so erfordert dies auch eine differenziertere Herangehensweise seitens der Verantwortlichen.

Die letzte Stufe bildet die Lose-lose-Situation, in der letzten Endes auch die persönliche Existenz geopfert wird, um nun das Gegenüber "endgültig vernichten" zu können. Die Beispiele für diese ultimative Eskalation füllen die Schlagzeilen der Medien. Wenngleich eine der beiden Parteien im persönlichen Tunnelblick den eigenen Verlust zum Sieg stilisieren kann, bleibt in einer objektiven Außensicht die Absurdität der Handlungen erkennbar.

Win-Win: Wenn sich die Wogen glätten lassen

Nicht jede Diskussion ist schon ein Konflikt. Verhärten sich jedoch die Standpunkte, werden jene Argumente gesucht, die ein Abrücken von eigenen Standpunkt vermeiden sollen. Die Stimmung kühlt ab, die freundschaftliche Frotzelei weicht einer affektiven, emotionalen Argumentation. In so einer Situation sollten die inneren Sensorien anspringen.

In weiterer Folge dreht sich das Argumentationskarussell immer schneller. Argumente werden dahingehend gewählt, Recht zu behalten, und nicht mehr, um eine gemeinsame Lösung zu finden. Die eigene Argumentation ist weit wichtiger als die Aussagen des Gegenübers, man redet aneinander vorbei. Wurde bisher nur rein verbal diskutiert, so steigert sich in weiterer Folge auch die Körpersprache und lässt tief in die verfahrene Situation blicken.

Die Muskulatur wird angespannt, man geht auf Abwehrhaltung. Sogar in der Öffentlichkeit werden teilweise missbilligende Kommentare fallen gelassen, Informationen werden – selbst wenn sie dem Gesamtbild zuträglich wären – zurückgehalten, wodurch in weiterer Folge dem Unternehmen, der Gemeinschaft oder der Familie Schaden zugefügt wird, was zumindest billigend in Kauf genommen wird.

Was die bisher beschriebenen Stufen eint, ist die Möglichkeit, sie noch intern, durch ein Mitarbeitergespräch, Coaching, Supervision oder Ähnliches, zu deeskalieren. Die Wogen gehen zwar möglicherweise schon recht hoch, haben jedoch die unterste Ebene der Eskalation, die Mikroebene, noch nicht verlassen, weswegen eine Konfliktlösung ohne dem schalen Gefühl des Verlustes auf einer Seite möglich ist. Beispielhaft könnte man hierfür den Nachbarschaftskonflikt zwischen dem Opernfan A und dem Pizzabäcker B heranziehen, die von ihrer gemeinsamen Leidenschaft für die italienische Lebensweise erst im Rahmen der Mediation erfuhren und fortan anstelle einer verfeindeten Nachbarschaft einen regen Austausch pflegten.

Win-Lose: Externe Hilfe nötig

Schmieden sich die ersten Koalitionen, so ändert sich dieses Bild massiv. So hilfreich aus der Parteiensicht die koalitionären Unterstützer und Unterstützerinnen auch sein mögen, bezüglich der Chance einer gütlichen Beilegung leisten sie einen Bärendienst. Ein Abgehen von der eigenen Meinung kommt ab sofort in der Regel einem Gesichtsverlust vor den Freunden gleich, weswegen die Flucht nach vorne angetreten wird und der Konflikt durch Androhung von weiteren realen Taten (zum Beispiel Meldung bei Kinder- und Jugendhilfe, Beschädigung der beruflich notwendigen Infrastruktur oder des Autos) noch eskaliert wird.

Jeder soll erkennen, was für ein Schuft mein Gegner ist, die Gegenpartei wird nicht mehr nur aufgrund ihrer Argumentation, sondern vielmehr als Person, als Mensch infrage gestellt. Gerüchte werden gestreut, das Verhalten der Gegenpartei wird laienhaft in psychologische Schemata gepresst, um in wohlklingenden Diagnosen die Person zu diffamieren. Sätze wie "Der Typ ist doch eindeutig ein Narziss/Autist/Borderliner etc." fallen im Kreis der scheinbar wohlgesonnenen Freunde und Freundinnen hinsichtlich der Gegenseite.

Um vor den Freunden, den Unterstützerinnen nicht das Gesicht zu verlieren, wird es immer schwieriger, von den einzementierten Standpunkten zum Wohle eines Konsenses abzugehen, weshalb eine Win-win-Lösung nicht mehr angestrebt wird, sondern der Sieg über den Kontrahenten als einziges erstrebenswertes Ziel angesehen wird.

In diesem Bereich helfen interne Mechanismen, jene intern implementierten Konfliktregelungsmechanismen (sowohl im beruflichen als auch im familiären Kontext) kaum mehr, vielmehr sollte externe Unterstützung geholt werden, auch um die Bedeutung des Konflikts für das Gesamtsystem zu veranschaulichen.

Lose-Lose: Höhere Instanz gefragt

Wird Herrn A oder B gar das Menschsein abgesprochen, denkt und spricht man nur noch in entmenschlichten Kategorien von "Gut" und "Böse", so gibt dies nun auch die Rechtfertigung, sich selber für die Vernichtung des Gegenparts zu opfern. Die vorerst noch angedrohten Handlungen werden umgesetzt, um tatsächlichen Schaden zuzufügen, die empfindlichsten Stellen des Feindes werden gesucht und verletzt, um den Schaden zu maximieren. Wird in weiterer Folge jede Illusion des Gewinnenkönnens ad acta gelegt, so wird auch der persönliche Totalverlust (zum Beispiel in Form der Insolvenz, des Jobverlusts, des Verlusts des Familiengrundstücks oder auch Schlimmeres) in Kauf genommen, um der Gegenseite nur den höchstmöglichen Schaden zuzufügen. Es geht gemeinsam in den Abgrund.

Nein, hier helfen wohl keine Mediationen, zumindest nicht prima vista. Ohne das Einschreiten einer Ordnungsmacht (Gericht, Polizei, Kinder- und Jugendhilfe etc.), welche die Konfliktparteien erst voneinander trennt, um die Köpfe zu kühlen, wird es nun nicht mehr funktionieren. Zu sehr sind sie in ihrem Tunnel gefangen, als dass eine erhellende Außensicht noch eine Chance bekäme.

Selbstbeobachtung als Schlüssel

Kommt Ihnen vielleicht die eine oder andere Stufe der Eskalationstreppe bekannt vor? Springen Sie vielleicht auch manchmal über die ersten Stüfchen gleich auf einen tieferen Eskalationsgrad, um "es dem anderen zu zeigen"? Ja, es ist schlichtweg menschlich, zu hassen und dem anderen nichts Gutes zu wünschen. Vergessen wir nur nicht, dass dieser Strudel eine gefährlich perfide Eigendynamik entwickelt, uns die Sicht trübt und eigene Gesetze aufstellt. Es ist zwar alles andere als einfach, hier einen Schritt aus dem Eskalationstunnel zu machen, doch das Wissen über die Dynamiken kann helfen, den eigenen Standort besser zu bestimmen. Nur wer seinen Standort kennt, kann – wenn man es auch möchte – wieder umkehren. (Ulrich Wanderer, 21.3.2023)