Es ist ein gewohntes Bild an der Ecke Kohlmarkt und Graben in Wien: Vor den Geschäften diverser Luxusmarken steht sich die kaufkräftige Kundschaft ihre Beine in den Bauch, bis ihr endlich Einlass gewährt wird. Bei Louis Vuitton oder Cartier ist das schon lange Usus, doch seit einiger Zeit ist auch vor der kleinen Parfümerie am Petersplatz Nummer 3 immer wieder mit Wartezeiten zu rechnen. Die Rede ist von "Le Parfum", wo sogenannte Nischendüfte verkauft werden. Dabei handelt es sich um exklusive, ausgefallene Kompositionen. Diese sind eigentlich nicht für die breite Masse gedacht, trotzdem ist die Nachfrage enorm, wie die Warteschlangen vor dem Fachgeschäft illustrieren. Angesichts dieses Booms stellt sich die Frage, ob man überhaupt noch von einer "Nische" reden kann und was das Wachstum in dem Segment für kleine feine Duftlabels bedeutet.

Vor dem Geschäft "Le Parfum" bilden sich immer wieder Menschenschlangen.
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Ursprünglich beschrieb man als Nischendüfte Parfums kleiner Labels, die in geringer Stückzahl, unter Verwendung hochwertiger sowie hauptsächlich natürlicher Inhaltsstoffe entstehen und bei deren Komposition den Kreativen völlig freie Hand gewährt wird. Die Kunst steht im Vordergrund, Marketingüberlegungen spielen keine Rolle. Die speziellen und komplexen Düfte sind die Gegenthese zu den massentauglichen Parfums, die man üblicherweise in großen Parfümerien oder im Duty-free-Shop auf dem Flughafen findet. Doch seit einigen Jahren gibt es einen wahren Nischenduft-Boom, das Segment wächst, und auch große Konzerne drängen in den Spezialmarkt. Die Nische platzt aus allen Nähten.

Kirkè erfuhr durch Social Media einen Hype
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Bei "Le Parfum", das zur Parfümeriekette Nägele & Strubell gehört, beobachtet man seit ungefähr fünf Jahren eine Erweiterung der Kundschaft. Waren es früher vor allem eingefleischte Parfumfans und kunstaffine Klientel, entdecken heute auch viele junge Menschen das Thema Nischenduft für sich. Sie kämen oft mit ganz konkreten Vorstellungen, erzählt ein Mitarbeiter: "Sie wollen so riechen wie ihre Idole und fragen nach den Parfums, von denen Fußballstars oder Rapper auf Social Media schwärmen."

Auch Naxos wurde durch Influencer bekannt.
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Kurze Zeit später betritt tatsächlich eine junge Frau den Laden, hält einer Mitarbeiterin ihr Smartphone entgegen und fragt, ob sie jenes Parfum führt. Die Antwort lautet Ja. Das Angebot einer Riechprobe lehnt die Kundin ab, sie kauft den Flakon einfach und verlässt das Geschäft schnurstracks, nachdem die Transaktion beendet ist. Welchen Duft sie erstanden hat? "Kirkè von Tiziana Terenzi", sagt ein Kollege der Verkäuferin. "Den hat mal ein Fußballer auf Instagram promotet, seitdem wird er gehypt." Ein ähnliches Schicksal ereilte den Duft Naxos von Xerjoff. Deutschrapper Shindy hatte sich auf Social Media zu dem Nischenduft bekannt, und seine Fans kauften ihn brav nach. Einschlägige Influencer und Youtuber wie Jeremy Fragrance oder Marc Gebauer behandeln die Trendparfums daraufhin in ihren Videos und kurbeln die Umsatzzahlen noch weiter an.

Begleiter auf der Duftreise

Doch nicht immer werden die Empfehlungen der Idole stur nachgekauft. Wenn die Düfte so gar nicht dem Geschmack der jungen Klientel entsprechen, kommt das Verkaufsteam ins Spiel. "Das macht Spaß, wenn man ins Gespräch kommt und herausfindet, was den Kunden gefällt, und schlussendlich etwas findet, von dem sie plötzlich begeistert sind – unabhängig davon, ob das ein Fußballer oder Rapper trägt", sagt der Mitarbeiter. Aufgrund ihrer komplexen Zusammenstellungen braucht es beim Kauf von Nischenparfums nämlich entsprechende Beratung und vor allem auch Zeit – daher auch die Beschränkung auf acht Personen bei "Le Parfum". Die Kundschaft soll sich nicht alleingelassen fühlen. Denn obwohl das Geschäft nur wenige Quadratmeter groß ist, bietet es eine ganze Bandbreite an Nischendüften.

Klein, aber fein: große Auswahl auf wenigen Quadratmetern im "Le Parfum".

Für Orientierung in dem bunten Sortiment sorgt das Personal. Oft sind es Quereinsteiger, vom BWL-Studenten bis zum Elektroinstallateur. Interesse und Leidenschaft sei wichtig für den Job, erklärt ein Mitarbeiter, Schulungen gebe es aber natürlich auch. "Trotzdem kann schon mal eine Stunde dauern, bis die Kundschaft das passende Parfum gefunden hat", sagt der Mitarbeiter. Und seine Kollegin fügt an: "Oder manchmal findet man es nicht. Auch okay."

Alessandro Gualtieri (Nasomatto) verwandelt eine vermeintliche Blamage in einen Triumph.
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Das Sortiment sollte aber möglichst viele Geschmäcker abdecken, sagt Georg Oelschlägel. Er ist Geschäftsführer von Nägele & Strubell und somit auch für "Le Parfum" zuständig. Auch er nimmt einen Boom der Nischendüfte wahr. Den Begriff hält er nur mehr teilweise für angebracht und plädiert für eine weitere Unterteilung des Segments: Als "große Nische" bezeichnet der Fachmann Marken, die vor einigen Jahren ganz klein begonnen haben und stetig gewachsen sind, sodass sie mittlerweile den Konzepten großer Player nahekommen oder an Kosmetikkonzerne wie Puig, Estée Lauder oder Nobilis verkauft haben. Beispiele hierfür wären etwa Byredo, Penhaligon's oder Francis Kurkdjian.



Der Duft "but not today" von Filippo Sorcinellis Label Unum ist Clarice Starling und Hannibal Lecter aus "Das Schweigen der Lämmer" gewidmet.
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Auf der anderen Seite gibt es für Oelschlägel die "kleine oder echte Nische" im ursprünglichen Sinn des Begriffs – also Duftkünstler, die ihre Kreationen abseits von Verkaufspotenzial und Marketingüberlegungen komponieren. Diese würden sich bewusst dazu entscheiden, klein zu bleiben, sagt Oelschlägel und nennt Labels wie Nasomatto oder Unum als Beispiele.


Die Nische in der Nische

Auch Karin Singer kann man in der "kleinen Nische" verorten. Die gebürtige Wienerin lebt seit drei Jahren in Los Angeles, war ursprünglich in der Kommunikationsbranche tätig und hat 2018 ihr Duftlabel "Meckiie" gegründet. Sie definiert die Kreation von Nischendüften als einen egoistischen Akt. Ihr eigenes Projekt sei dadurch entstanden, dass sie mit dem Angebot an Bio-Parfums unzufrieden war. So hat sie sich selbst an die Arbeit gemacht und ein Parfumtrio herausgebracht, das aus biozertifizierten Inhaltsstoffen besteht. 75 ml ihrer Kreationen kosten 169 Euro. Stolze Preise sind bei Nischendüften gängig. Einen Umstand, den sich auch Konzerne zunutze machen, wie Singer erzählt. Mit dem exklusiv anmutenden Etikett "Nische" wolle man hohe Preise legitimieren.

Das Parfumtrio von Karin Singers Label Meckiie.
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"Aber nur weil sich der Kommerz so positioniert, ist es nicht automatisch das Geld wert", sagt Singer. Auch sie plädiert für eine Unterscheidung zwischen der echten Nische im ursprünglichen Sinn und der neuen großen Nische. Worin sich alle aber einig sind, ist, dass der Boom eine positive Wirkung hat: Aufmerksamkeit und Wertschätzung für die Parfumkunst. (RONDO Exklusiv, Michael Steingruber, 3.4.2023)