Wer sich in Österreich ein professionelles Urteil über Wein anmaßen will, sollte ein wenig Zeit und Geld mitbringen. Bis zu 150 Lehreinheiten und zwischen 1600 und 2000 Euro sind hierzulande bis zur fertigen Sommelière oder zum ausgebildeten Sommelier von Nöten. Erst dann gilt man offiziell als Weinauskennerin oder qualifizierter Weinhändler – und darf danach die eigentliche Diplomausbildung beginnen.

Die Ungeduldigen und Sparsamen unter uns, werden sich nun fragen: Geht das nicht auch flotter und vor allem deutlich günstiger? Beim Weinhändler des Vertrauens stößt man neuerdings häufiger auf sogenannte Aromabars, die genau das suggerieren. Dank dieser Boxen, in denen ein oder zwei Dutzend Fläschchen mit konzentrierten Weinaromen stecken, kann nun auch zu Hause für kleineres Geld (rund 140 Euro für 24 Weiß- und Rotweinaromen) das komplexe Riechen geübt werden.

Nach zwei Wochen des Riechtrainings stellten sich im Selbstversuch bescheidene Fortschritte beim Zuordnen von Aromen ein.
Foto: Sascha Aumüller

Die Schnüffelei, die einer trockenen Blindverkostung ähnelt, stellt nur einen ganz kleinen Teil einer vollständigen Sommelier-Ausbildung dar. Immer wieder an den unbeschrifteten Flakons zu reichen, zu rätseln und dann aufzulösen, welches Aroma man denn da vor der Nase hat, macht durchaus Spaß. Aber nicht nur, auch Frusterlebnisse sind inklusive. Wenn man etwa nach einer Woche des Übens feststellen muss, dass der Geruch einer Mandel und der einer Pflaume vom eigenen Riechnerv noch immer nicht fehlerfrei unterschieden werden können.

Jeweils zwölf typische Weiß- und Rotweinaromen enthält die Schnüffelbox von Aromabar.
Foto: Sascha Aumüller

Nach gut zwei Wochen, in denen die Ampullen täglich zumindest zehn Minuten geöffnet wurden, stellte sich im Ansatz so etwas wie ein bescheidener Riechfortschritt ein. Zumindest hie und da schien einen das Gehirn daran zu erinnern, dass Waldbeeren eben doch recht anders duften wie Himbeeren und ein Merlot folglich auch nicht mit einem Pinot noir zu verwechseln ist. In welcher Rebsorte welches Beerenaroma steckt, hat man aber spätestens nach dem zweiten Achterl echten Stoffs schon wieder vergessen, weshalb vernünftige Verkoster auch häufiger ausspucken als austrinken.

Der österreichische Sommelier und Weinhändler Suwi Zlatic hat es bei der Sommelier-Weltmeisterschaft in Paris gerade in die absolute Weltspitze geschafft.
Foto: ASI / Bester Sommelier Europas und Afrikas 2021

In der beginnenden dritten Woche der hohen Schule des Schnüffelns holten wir uns schließlich Rat von einem echten Profi. Denn gerade haben wir erfahren, dass es der Tiroler Sommelier und Weinhändler Suwi Zlatic bei der Weltmeisterschaft in Paris in die Top-10 der Weltspitze geschafft hat. Sein 9. Platz bei der Sommelier-WM ist im Jahr 2023 auch deshalb so herausragend, weil die Konkurrenz der besten Sommelières und Sommeliers aus 64 Nationen selten zuvor so groß war wie in diesem Jahr. Wenn also jemand Bescheid weiß, warum das mit dem korrekten Erriechen von Aromen so schwer ist, dann bestimmt Zlatic.

Aromaverwandtschaft

Als sich der Vollprofi am Telefon meldet, relativiert er gleich auf sympathische Weise: "Es wundert mich gar nicht, dass Sie Schwierigkeiten beim Auseinanderhalten von Pflaume und Mandel haben." Zlatic, der erst 2009 die Sommelier-Ausbildung absolviert und seither schon unzählige Preise und Auszeichnungen errungen hat, erkennt eine klare Verwandtschaft bei den Aromen. Steinobst wie die Zwetschke (oder botanisch präziser die Pflaume) würde Blausäure im Kern enthalten, die für die bekannte Mandel- oder Marzipannote verantwortlich sei. Entfernt man die Kerne beim Herstellen der Pflaumenaromen nicht vollständig, schmecken sie eben auch ein wenig nach Mandel.

Es ist keine Schande, wenn Amateure das Aroma von Steinobstkernen mit Mandeln verwechseln, sagen selbst Sommeliers. Riecht und schmeckt halt alles ein wenig nach Blausäure.
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Zlatic, der sich auf die Weltmeisterschaft über Monate hinweg mit täglichem, mehrstündigem Training vorbereitet hat, bastelt sich seine Aromaboxen deshalb am liebsten selber. Er verwendet dafür gewöhnliche Plastikbecher aus Kaffeeautomaten, füllt sie mit frischen Aromen und gibt Alufolie darüber. Durch ein kleines Loch in der Folie riecht er an den Substanzen. Von den fertigen Aromaboxen, die er auch selbst in seinem Weinshop verkauft, hält er dennoch viel, weil man damit überall üben kann und die Düfte sehr lange erhalten bleiben. Dass man Gerüche nach etlichen Jahren des Trainings immer noch verwechsle, sei nicht ungewöhnlich, meint er. "Du musst viel und häufig verkosten haben, damit in deinem Kopf ein Automatismus entsteht und du nach dem Ausschlussverfahren vorgehen kannst." Bei einer WM müsse zudem alles ein wenig schneller gehen, Intuition und Glück helfen zusätzlich, um bei Blindverkostungen den gesuchten Wein unter hunderten Möglichkeiten zu erkennen.

Keine Supermarktbeere

Als tags darauf wieder die Flakons aus der Weinaromabar geöffnet werden, weil der Profi meinte "da hilft nur üben, üben, üben", lässt ein angeblich geläufiger Weißweinduft den Riechkolben ratlos zurück. Er sei für die beliebte Sorte Sauvignon blanc ebenso charakteristisch wie in einem Sylvaner oder in der Scheurebe, kann man in dem Begleitbüchlein zu den Aromafläschchen nachlesen. Und doch kommen wohl nur wenige Städter darauf, um welche Frucht es sich handelt, weil sie in kaum einem Supermarkt zu bekommen ist: die Stachelbeere.

Als Kinder sind wir natürlich gute Verkoster. Die Gewohnheit des Riechens verkümmert bei Erwachsenen.
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"Unser aller Problem ist, dass wir im Kindheitsalter eigentlich sehr gute Verkoster sind", sagt Zlatic. Kleine Kinder stecken alles in den Mund, lecken an vielen Dingen und riechen ganz natürlich daran. Das würden Erwachsene logischerweise bald aufgeben, wodurch die Gewohnheit des Riechens schnell verkümmere. Aber auch die Gepflogenheiten des täglichen Lebens seien eben nicht hilfreich beim Erkennen von Aromen. "Wenn man im Supermarkt an einer Tomate riecht, passiert nicht viel. Aber probieren Sie das einmal mit einem echten Strunk von einer Pflanze aus dem Garten und denken Sie dann an Sauvignon blanc." Bei unserem Test gingen wir gleich im Anschluss den umgekehrten Weg, öffneten ein Flascherl und dachten an Paradeiser. Wow, wie recht Zlatic doch hat! An die dezente Stachelbeere denkt dann wirklich niemand mehr. (RONDO Exklusiv, Sascha Aumüller, 1.4.2023)