Die SPÖ-Chefin und ihr Widersacher: Spätestens im Sommer wird feststehen, ob Pamela Rendi-Wager bleibt oder ob Hans Peter Doskozil übernimmt.
Foto: Heribert Corn

Nachdem er in der Diskussion davor von mehreren SPÖ-Spitzenfunktionären angesprochen, attackiert und hinterfragt wurde, ergreift Hans Peter Doskozil, der Herausforderer der Parteichefin, selbst das Wort. Als "der Rechte" will sich Burgenlands Landeshauptmann nicht abstempeln lassen. Nicht von Genossen. In der Sitzung des SPÖ-Vorstands am vergangenen Mittwochnachmittag wiederholt Doskozil also eine von ihm bekannte Ansage, die nun zur Kronzeugin seiner linken Flanke werden soll: Sein Ziel sei eine Ampelkoalition, also eine Zusammenarbeit von SPÖ, Grünen und Neos nach der nächsten Wahl.

Es ist ein nicht unwesentlicher, aber vor allem bezeichnender Unterschied zwischen Pamela Rendi-Wagner und Doskozil. Die SPÖ-Chefin schließt jegliche Zusammenarbeit mit der FPÖ dezidiert aus, zu einer Koalitionsansage will sie sich aber nicht hinreißen lassen. Doskozil ist weniger explizit, wenn es um die FPÖ geht, er könne sich lediglich keine Koalition mit Herbert Kickl vorstellen, erklärt er seinen Parteifreunden in der Vorstandssitzung. Dafür stehe er klar für die Ampel – und die Idee, eine Regierung ohne ÖVP zu bilden.

Zwischen links und rechts

In vielen Fragen vertreten Rendi-Wagner und Doskozil weitgehend die gleiche Linie. Sie sind trotz jahrelanger Rivalität beide jeweils Teil ein und derselben Partei. Was sie vor allem unterscheidet, ist das, was sie repräsentieren. Sie sind unterschiedliche Politikertypen: Rendi-Wagner ist vorsichtig, überlegt, selten meinungsstark. Doskozil gilt als getrieben und emotional, eine Meinung hat er zu allem – so eben auch dazu, welche Koalition er präferiert; eine Frage, bei der sich Politiker sonst selten in die Karten schauen lassen.

Die beiden Kontrahenten um den Parteivorsitz repräsentieren aber auch unterschiedliche Wählerschichten, die sie ansprechen können und wollen. Rendi-Wagner ist eine urbane Akademikerin, ihre Zielgruppe sind weltoffene Linksliberale. Doskozil, sagen Meinungsforscher, könne neben der roten Kernwählerschaft auch Menschen aus dem Mitte-rechts-Lager ansprechen. Dadurch würde durch ihn eine Ampelkoalition überhaupt erst wahrscheinlicher. Es klingt nur im ersten Moment paradox: Für eine linke Mehrheit muss jemand links der Mitte nach rechts rücken.

Zukunftsmusik

Doch das alles ist Zukunftsmusik. In den kommenden Wochen geht es ausschließlich um ein sehr spezielles Wählersegment der SPÖ: Parteimitglieder. Sie werden in einer Mitgliederbefragung darüber entscheiden, wer die SPÖ in die nächste Wahl führt. Doskozil? Rendi-Wagner? Wer darf sich in den eigenen Reihen bessere Chancen ausrechnen?

Geht es nach Harald Bergmann, ist die Antwort eindeutig. Man müsse nicht alles super finden, was Doskozil im Burgenland mache, sagt der Bürgermeister von Knittelfeld: "Aber er ist einer, der gestalten will." Rendi-Wagner hingegen stehe in seiner Heimatregion, in der Obersteiermark, auf verlorenem Posten: "Man versteht sie auf dem Land nicht. Als Antwort kommt ein Satz, der eine Minute dauert.

Etappensieg Mitgliedervotum

Bergmann ist nicht irgendein Ortschef. Als Initiator eines offenen Briefes hat er publikumswirksam vor dem Showdown auf ein Mitgliedervotum gedrängt – und so zum ersten Etappensieg seines Idols beigetragen. Die rund 120 Lokalpolitiker, die unterschrieben, stünden tendenziell wohl alle auf Doskozils Seite, sagt Bergmann.

Ist das repräsentativ für die Basis, die nun das letzte Wort hat? DER STANDARD hat bei Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern von Ost bis West nachgefragt, doch die Offenherzigkeit Bergmanns blieb – vorerst – die Ausnahme. Das gilt für den Traiskirchener Andreas Babler, einen Helden der Parteilinken, ebenso wie für seine Amtskollegin Karin Baier aus Schwechat. Sie wolle sich erst im Kreis der Stadtpartei beraten. Keinen Zweifel gebe es aber, dass die Mitgliederbefragung der richtige Weg sei: "Die Leute fühlen sich nicht mehr abgeholt, wenn irgendetwas in einem kleinen Gremium ausgehandelt wird."

Wen die Gewerkschaft will

Jetzt geht es also um Mobilisierung. Die SPÖ hat nicht ganz 140.000 Parteimitglieder, die meisten in Wien und Niederösterreich. An der jüngsten Mitgliederbefragung nahm nicht einmal die Hälfte aller Wahlberechtigten teil.

Das Team rund um Doskozil rechnet mit Unterstützung aus jedenfalls zwei Bundesländern: Salzburg und Niederösterreich. Das rote Burgenland wird sowieso für seinen Landeschef laufen und werben. Darüber hinaus sollen die roten Parteigrößen in Oberösterreich und in der Steiermark eher mit Doskozil sympathisieren. Tirol gilt als unentschlossen, Kärnten hält sich derzeit heraus.

Pamela Rendi-Wagner hat Vorarlberg und vor allem Wiens Bürgermeister Michael Ludwig hinter sich stehen. Wie in allen Bundesländern werden aber auch in Wien ganz gewiss nicht alle Genossen im Sinne der Landesspitze votieren. Im Wiener Rathaus ist viel Missmut über Rendi-Wagner zu hören.

Pamela Rendi-Wagner und Hans Peter Doskozil im Parlament am Mittwoch.
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Kampf um die Arbeitnehmerlobby

Als Stütze der Parteichefin galt stets die Gewerkschaft. Sollte die rote Arbeitnehmerlobby für sie trommeln, wäre das ein unschätzbarer Vorteil. Der Apparat habe immer noch eine Mobilisierungskraft, von der so manche rote Landespartei nur träumen könne, sagt ein Gewerkschaftsvertreter.

Darf die Amtsinhaberin darauf hoffen? Tatsächlich gab Doskozil den Wortführern der roten Arbeitnehmerlobby reichlich Anlass, auf ihn "haaß" zu sein, wie es ein Wiener Repräsentant ausdrückt. Das beginnt bei den mannigfaltigen Störaktionen, die ihm als "unsolidarisch" ausgelegt werden. Doch der Rückhalt für Rendi-Wagner resultierte vor allem aus einer prinzipiellen Haltung heraus, erläutert ein Spitzengewerkschafter: "Wer beim Parteitag gewählt wurde, wird unterstützt." Daraus lasse sich nicht schließen, dass die Chefetage nun, wo die Mitgliederbefragung eine Gegenposition legitimiert, per se für Rendi-Wagner Stimmung macht. Eine Empfehlung an die Basis zeichnet sich derzeit nicht ab.

Abgesehen von der Quertreiberei sprechen gegen Doskozil aus Gewerkschaftssicht zwei handfeste Gründe. Erstens: Doskozils Forderung nach einem gesetzlichen Mindestlohn. Die Gewerkschafter sehen darin eine Gefahr für das sozialpartnerschaftliche Modell, die Löhne in Kollektivverträgen mit den Arbeitgebervertretern auszuhandeln. Zweitens hatte Doskozil freimütig vorgeschlagen, dass die Gesundheitskasse abgeschafft werden könnte. "Die Sozialversicherung", sagt ein Arbeitnehmervertreter, "ist ein Baby der Gewerkschaft."

Oder doch eine dritte Alternative?

In der Präsidiumssitzung am Mittwoch hat Wolfgang Katzian, Präsident des Gewerkschaftsbundes, beide Kritikpunkte angesprochen – und als No-Go definiert. Doskozil soll sich dem Vernehmen nach einsichtig zeigen.

An Rendi-Wagner haben die Gewerkschafter zwar in der Sache nichts auszusetzen. Doch so wie im Rest der SPÖ haben viele schlicht den Glauben verloren, dass mit ihr noch viel zu gewinnen sei. "Wer für sie eintritt, ist in erster Linie mehr gegen Doskozil als für Rendi-Wagner", sagt ein Spitzenfunktionär.

Zu wessen Gunsten das Pendel letztlich ausschlägt, traut sich keiner der vom STANDARD Angesprochen vorauszusagen. Viele hätten im Dauerstreit selbst die Orientierung verloren, sagt einer. Rasant wachse jene Fraktion, die nach einer dritten Alternative rufe, ist von allen Seiten zu hören, auch wenn das kaum jemand für sehr realistisch hält: "In Wahrheit sind Rendi-Wagner wie auch Doskozil beschädigt bis zum Ende." (Gerald John, Katharina Mittelstaedt, 18.3.2023)