Eine Dame (Corinna Kirchhoff) mit Hund, der zurückträllert.
Foto: Ruth Walz

Eine Dame mit Hut singt auf dem Sofa ihren Kunsthund an, bis das Tier final einen Takt zurückträllert. Die Interpretin einer französischen Coverversion von Fever verheddert sich bei ihrem Auftritt mit den Strumpfhosenbeinen seltsamerweise am Handtaschengurt. Ein Mann gibt durch ein Festnetztelefon manisch Anweisungen zur heimischen Zimmerbelüftung, ein weiterer wird in einem voluminösen Koffer auf die Bühne gefahren, hält dabei eine Gießkanne in der Hand und verendet blutig.

Warum, das ist natürlich die falsche Frage an einem Abend, der Ich hab die Nacht geträumet heißt. Aus einer Auswahl von über fünfhundert literarischen Texten sowie "Musik- und Fundstücken aus dem Internet", so heißt es im Programmheft, habe Andrea Breth ihre neue Inszenierung am Berliner Ensemble collagiert: einen knappen 200-Minüter unter musikalischer Leitung von Adam Benzwi, der offensiv seine REM-Phasen-Dramaturgie vor sich herträgt.

Sie sei "ratlos und sprachlos", wird die jahrzehntelang als Meisterin des psychologischen (und namentlich des tragödischen) Realismus gefeierte Regisseurin im Programmheft zitiert. "Ich sehe mich nicht in der Lage, ein stringentes Drama zu inszenieren, was ich eigentlich gern tue. Meine ganze Ratlosigkeit macht sich breit in einer Art von leiser Zerfetzung."

Warum, das ist natürlich die falsche Frage an einem Abend, der "Ich hab die Nacht geträumet" heißt.
Foto: Ruth Walz

Mit dem Unsinn zum Sinn

Ganz neu sind diese Töne freilich nicht. Schon als Breth vor zwölf Jahren in Wien an der Burg unter dem Motto Zwischenfälle mit Texten von Charms, Courteline und Cami als Regisseurin der absurden Komödie überraschte, hatte sie von einer "Traumdramaturgie" gesprochen und die Gegenwart für Logos-untauglich erklärt: "Unter Umständen leben wir in einer Zeit, in der uns mehr der Unsinn zum Sinn führt", äußerte sie seinerzeit in einem Interview. Dort wie hier, damals wie heute also: Miniaturszenen, Absurditätenkabinettstückchen – und ein ausdrückliches Aus-der-Zeit-Fallen, vielleicht sogar -Flüchten.

Breths Abend, der im Parkett für den höchsten Branchenpromiauflauf der laufenden Berliner Saison sorgte, verschließt sich hermetisch jedweder Gegenwart. Optisch regiert der Bleistiftrock im gediegenen Grau (Kostüm: Jens Kilian). Und der neben Schumann oder Grieg überraschend präsente Schlager- und Friedrich-Holländer-Sound zieht musikalisch entsprechend mit.

Atmosphärisch wehen einen aus dieser betonten Zeit- und Ortlosigkeit heraus am ehesten die 1950er an, was sich auch dann nicht ändert, wenn Textausschnitte etwa von David Lynch rezitiert werden. Von Eichendorff über Adorno bis zu Heiner Müller, von Ingeborg Bachmann bis zu Ulrich Seidl reicht der Inspirationspool, und doch schnurrt alles in gleichbleibender Tonlage ab.

Dort wie hier, damals wie heute also: Miniaturszenen, Absurditätenkabinettstückchen – und ein ausdrückliches Aus-der-Zeit-Fallen, vielleicht sogar -Flüchten.
Foto: Ruth Walz

Körperverbiegungen

Zwar öffnet sich ständig irgendwo eine Tür in Raimund Orfeo Voigts Zimmerfluchtbühnenbild, oder es fährt überraschend eine Wand herauf beziehungsweise herunter. Aber weil in diesen Miniaturszenen keine Figur ein Gesicht bekommt, weil keine die Chance hat, so etwas wie eine innere Not, auch nur Notwendigkeit zu entwickeln, die sich dann buchstäblich hochnotkomisch nach außen stülpen könnte, liegt eine seltsam angestrengte Mechanik über allem.

Sicher: Von Corinna Kirchhoff oder Johanna Wokalek, die beide damals in den Zwischenfällen dabei waren, ragt hier mal ein Lied und dort mal ein besonders kunstvoller Körperverbiegungseinsatz heraus. Martin Rentzsch wird als stoischer Träger eines Vogelwink-Elements zum Lied vom Kleinen Dompfaffen in Erinnerung bleiben und Alexander Simon als Akteur, der in allen erdenklichen Körperpositionen in Telefonhörer hineinsprechen kann. Ob dieser Abend allerdings eine längere Halbwertzeit hat als die Träume der letzten Nacht, ist fraglich. (Christine Wahl aus Berlin, 17.3.2023)