Neben Innenminister Karner sieht nun auch seine Parteikollegin Edtstadler das Vorhaben in Niederösterreich als rechtlich problematisch an.

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Wien – Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) zeigt sich skeptisch, was die im schwarz-blauen Arbeitsübereinkommen in Niederösterreich vorgesehene Rückzahlung von verfassungswidrigen Corona-Strafen anbelangt. "Für mich geht sich das weder als Juristin noch als Verfassungsministerin aus", sagte die Verfassungsministerin zur "Krone".

Der frühere ÖVP-Spitzenpolitiker Franz Fischler zeigte sich erzürnt über die angekündigte Rückzahlung von Bußgeldern: "Es ist inakzeptabel, wie wenig Respekt man in einem Arbeitsübereinkommen der Verfassung entgegenbringt", sagte Fischler der "Kleinen Zeitung". Alle Verfassungsrechtler würden diesen Punkt höchst kritisch sehen.

Auch Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) hatte in der ORF-"Pressestunde" am Sonntag eingeräumt, dass die Rückzahlung rechtlich schwierig werden könnte. Es gehe aber darum, in der Pandemie entstandene Gräben zuzuschütten. Darüber hinaus hatte Karner das auf massive Kritik stoßende schwarz-blaue Bündnis in Niederösterreich verteidigt.

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Auch Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) habe in seiner Zukunftsrede ausgerufen, die in der Corona-Pandemie entstandenen Gräben zuzuschütten. Die Freiheitlichen hätten damals statt von Versöhnung von Verhöhnung gesprochen, so der aus Niederösterreich stammende Innenminister. Jetzt sei die FPÖ offenbar doch bereit dazu. Ob die schwarz-blaue Zusammenarbeit auch ein Modell im Bund sein könnte, wollte Karner nicht beantworten.

Rauch-Kallat: Frauenpolitik "nicht besonders glaubwürdig"

Mit dem Arbeitsübereinkommen will Türkis-Blau zwar das Gendern per Kurzform im Landesdienst verbieten, unter den 20 inhaltlichen Kapiteln findet sich aber kein einziges zu Frauenpolitik. An sich seien Frauenagenden Bundessache, sagt die frühere Frauenministerin Maria Rauch-Kallat (ÖVP) dazu zum STANDARD. "Und ich habe auch nicht erwartet, dass die FPÖ ein Frauenkapitel hineinreklamiert", witzelt sie.

Das als ÖVP zu tun, wäre "mit den zwei Frauen, die in Niederösterreichs ÖVP noch als Abgeordnete verblieben sind, wahrscheinlich auch nicht besonders glaubwürdig gewesen", sagt sie. Hintergrund: Nur zwei der 23 Landtagsmandate der ÖVP werden künftig mit Frauen besetzt. "Es ist immer dasselbe, wenn eine Partei viel verliert", sagt Rauch-Kallat. "Frauen sitzen dann wieder auf den hinteren Plätzen."

Grundsätzlich werde die Koalition mit der FPÖ sicher nicht einfach werden, sagt die Ex-Ministerin. "Da tut mir die Frau Landeshauptfrau jetzt schon leid." Man werde "genau aufpassen müssen", aber die Koalition sei auch kein Grund für große Aufregung: "Davon geht die Welt nicht unter."

Deutschpflicht in der Pause: "Missachtung der Kinderrechte"

Für das Arbeitsübereinkommen von ÖVP und FPÖ hat es am Montag zudem von anderen Seiten Tadel gegeben. Konkret kam dieser von der Wiener Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, die Kritik an der geplanten Forcierung der deutschen Sprache in Pausen in Bildungseinrichtungen sowie am Schulhof übte. Der Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde Wien (IKG), Oskar Deutsch, legte indes in Richtung der Freiheitlichen nach.

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Das 36 Seiten starke Übereinkommen von Volkspartei und FPÖ enthält, dass "die Verwendung der deutschen Sprache auch in Pausen und am Schulhof durch Aufnahme in die schulautonom zu beschließenden Hausordnungen" vorangetrieben werden soll. Die Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie verwies in einer Aussendung darauf, dass "evidenzbasierte Beispiele für die Wirksamkeit solcher Maßnahmen" fehlen würden. Die geplanten Schritte würden die Schulautonomie konterkarieren, weiters liege "eine klare Abkehr von Multi- und Plurilingualität im Bildungsbereich" vor, die in Opposition zu den Zielen der EU gesehen werden könne.

Zu beachten seien insbesondere die Konsequenzen auf Schülerinnen und Schüler mit fremdsprachigem Hintergrund. Es sei "eindeutig davor zu warnen sozialen Ausschluss durch eine politische Maßnahme gezielt zu befördern". Gesehen wurde in dem Schritt eine "Missachtung der Kinderrechte": "Es bleibt zu hoffen, dass Lehrerinnen und Lehrer diese Forderung im Sinne der Schulautonomie vollkommen ignorieren."

Frühere ÖVP-Vizebürgermeisterin tritt aus Partei aus

Für Unmut sorgt das schwarz-blaue Bündnis in Niederösterreich auch auf regionaler Ebene. Cornelia Sturm-Wagner, ehemals ÖVP-Vizebürgermeisterin von Aschbach-Markt (Bezirk Amstetten) trat laut einem Onlinebericht der "NÖN" ("Niederösterreichische Nachrichten") aus der Volkspartei aus. Verständnis zeigte ihr Parteikollege, Ortschef Martin Schlöglhofer: "Ich verstehe ihre Handlungsweise und wenn ich nicht die Funktion als Bürgermeister innehätte, würde ich eine ähnliche Reaktion ins Auge fassen und mich von der jetzigen Landes-ÖVP distanzieren."

IKG-Präsident über FPÖ: "Fast alle Kellernazis"

IKG-Präsident Deutsch, der das Bündnis bereits in der Vorwoche kritisiert hatte, sagte dem ORF am Sonntag in der "ZiB 1": "Die FPÖ Niederösterreich ist aufgrund ihrer Mandatare, die mehr oder weniger fast alle Kellernazis sind, eine ganz spezielle." Er sei gegen jede Koalition mit den Freiheitlichen – im Bund ebenso wie in den Ländern.

Von den Freiheitlichen wurden die Vorwürfe zurückgewiesen. "Das Muster ist bekannt. Kurz vor Wahlen oder Eintritten der FPÖ in diverse Regierungsämter wird alles daran gesetzt, Mitglieder, Funktionäre, Abgeordnete und die Wählerschaft der FPÖ in ein schlechtes Licht zu rücken."

"Beißreflex der Öffentlichkeit"

Die niederösterreichische ÖVP ortet einen "Beißreflex" der Öffentlichkeit. Klubobmann Jochen Danninger sieht in dem umstrittenen Übereinkommen jedenfalls auch Grundprinzipien der Volkspartei gestärkt, wie er am Montag vor Journalisten betonte. Die von Expertinnen und Experten kritisch betrachtete Rückerstattung von verfassungswidrigen Covid-Strafen erachtet er – mit Verweis auf beigezogene Juristen – als rechtlich machbar. Der Corona-Fonds sei naturgemäß ein "Zugeständnis der ÖVP" im Rahmen der Verhandlungen mit der FPÖ gewesen. Das Geld komme nicht nur Maßnahmenkritikerinnen und – kritikern zugute, so Danninger: "Menschen, die sich an alles gehalten haben, dürfen jetzt nicht die Dummen sein."

"Wir wissen, dass es da jetzt natürlich eine große Aufregung gibt", betonte auch ÖVP-Landesgeschäftsführer Bernhard Ebner zur herrschenden Kritik am schwarz-blauen Übereinkommen. Er verwies darauf, dass es bereits in der Vergangenheit auf diversen Ebenen Bündnisse von Volkspartei oder auch SPÖ mit den Freiheitlichen gegeben habe. Generell sei der "Aufschrei erwartbar laut", aber auch einer, "den man im Detail anschauen muss". (APA, tschi, 20.3.2023)