Die Welt wird gerade neu vermessen. Egal ob in den USA, in Europa, Indien, in der Türkei oder in China: Russlands Krieg gegen die Ukraine verschiebt das globale Kräfteverhältnis. Die westlichen Staaten stellen sich hinter die Ukraine, die G7- und Nato-Länder rücken zusammen, während auf der anderen Seite Russland und China eine Zweckallianz eingehen. Der Besuch von Chinas Präsident Xi Jinping in Moskau ist ein Zeichen dieses neuen, vertieften Bündnisses.

Seit für Moskau absehbar geworden ist, dass die Staaten des "Westens" Russland mit Sanktionen belegen würden, sucht Moskau den Schulterschluss mit Peking. Nach dem Motto: Der Feind meines Feindes ist mein Freund. Billige Rohstoffimporte aus Russland tun das ihrige für das wirtschaftlich angeschlagene China, um die von Xi Jinping beschworene "ewigen Freundschaft" mit Moskau noch zu versüßen.

Vertiefte Allianz: der chinesische Präsident Xi Jinping zu Besuch beim russischen Präsidenten Wladimir Putin.
Foto: AP/Sputnik/Sergei Karpukhin

China will sich aber auch geopolitisch und als neutraler und wertvoller Vermittler im Ukrainekrieg positionieren. Nicht mehr der Westen soll vermitteln, sondern der Osten will seinen Einfluss verstärken. Auch die Wiederannäherung zwischen Saudi-Arabien und dem Iran hat China mit ausgehandelt und damit seinen Anspruch auf weltpolitischen Einfluss signalisiert.

Es ist aber auch China geschuldet, dass es dem Westen nicht gelungen ist, die wichtigsten Schwellenländer wie Indien oder Südafrika von den Sanktionen gegen Russland zu überzeugen. Neutrale Mediation sieht anders aus.

Idealvorstellung

Das beobachten die westlichen Demokratien mit Argwohn. Um Einfluss und Wohlstand des Westens zu sichern, machen sich führende Politiker und Politikerinnen eilig daran, bestehende Beziehungen zu anderen – einigermaßen – demokratischen Playern zu stärken und neue Partnerschaften aufzubauen. In dem Lichte sind Bündnisgründungen wie Aukus (Australien, Großbritannien und USA) und die asiatische Quad (USA, Indien, Japan, Australien) zu sehen, die sich gegen die tatsächliche oder befürchtete chinesische Bedrohung richten.

Aber auch Europa versucht, seine Partnerschaften neu zu sortieren, Abhängigkeiten wirtschaftlicher Art abzubauen und neue Verbündete auch in Ost- und Südostasien zu finden. Die "Allianz von Demokratien gegen Autokratien", wie sie US-Präsident Joe Biden nennt, ist dabei freilich mehr eine moralische Idealvorstellung als Realität.

Indien, das nun von allen Seiten umworben wird, nimmt aus dieser Sicht eine spezielle Rolle zwischen den Blöcken ein. Die größte Demokratie der Welt, wie das Land sich gerne nennt, macht gute Geschäfte mit Russland, in der Allianz gegen China ist Neu-Delhi für die USA und Europa wichtig – und umgekehrt. Derzeit überwiegen die strategischen Interessen des Westens, deshalb sieht man über Indiens Haltung zu Russland hinweg. Es gibt auch wenig Alternativen zu dem aufstrebenden Staat, der aufgrund seines wachsenden wirtschaftlichen, demografischen und politischen Gewichts immer wichtiger wird.

Zu billig sollte der Westen seine Loyalitäten aber nicht verkaufen, schließlich ist Indien nach wie vor Nutznießer europäischer Entwicklungshilfe.

An dieser Stellschraube zu drehen, um Indien auch gegen Russland ins Boot zu holen und zu einer politischen Positionierung zu bewegen, wäre zumindest einen Versuch wert.(Manuela Honsig-Erlenburg, 21.3.2023)