Bei der Polizei wurden in den vergangenen Jahren die meisten Fälle sexueller Übergriffe gemeldet.

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Sexuelle Belästigung in der Arbeitswelt ist allgegenwärtig – im privatwirtschaftlichen Bereich genauso wie im öffentlichen Dienst. Medial bekanntgewordene Vorwürfe von sexuellen Übergriffen im Verteidigungs- und im Außenministerium haben die Neos-Abgeordnete Henrike Brandstötter zu einer Anfrageserie zum Thema "Sexuelle Übergriffe in Ministerien" veranlasst.

Laut der Auswertung, die dem STANDARD vorliegt, ist es in den vergangenen fünf Jahren im Innen-, im Verteidigungs- und im Justizministerium am häufigsten zu internen Meldungen aufgrund von sexueller Belästigung gekommen. Spitzenreiter ist das Innenressort mit 25 internen Meldungen, gleich darauf folgt das Verteidigungsressort mit 24 Meldungen, danach kommt das Justizressort mit 15 Meldungen. Auch in anderen Ministerien wurden sexuelle Übergriffe gemeldet, wenngleich auch etwas weniger. Jeweils sieben Meldungen gab es im Außen- und im Bildungsministerium, im Landwirtschaftsministerium waren es fünf, im Kanzleramt und im Klimaschutzministerium jeweils zwei, im Arbeits- und im Wirtschaftsministerium eine. Zu keinen Meldungen kam es im Gesundheits- sowie im Kultur- und im Sportministerium.

Hierbei handelt es sich lediglich um offiziell gemeldete Fälle, die Dunkelziffer dürfte weit höher sein. Davon geht auch Brandstötter aus: "Die Dunkelziffer ist enorm hoch, denn nicht jede hat den Mut, sexuelle Übergriffe auch zu melden." Die Neos-Mandatarin rechnet damit, dass die Dunkelziffer umso höher liegt, desto "restriktiver und hierarchischer" das Ministerium organisiert ist. Dass Polizei, Heer und Justiz mit den meisten Fällen von sexuellen Übergriffen zu kämpfen haben, würde "auch auf ein strukturelles Missverständnis von Macht" in diesen Ministerien hinweisen.

Nur ein Bruchteil angezeigt

Gleich 80 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter waren laut Auswertung der Anfrageserie in den vergangenen fünf Jahren im Innenministerium von sexueller Belästigung betroffen. 24 Betroffene waren es im Verteidigungsressort, 17 im Justizressort. In allen anderen Ressorts ist die Anzahl Betroffener einstellig. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die in den vergangenen fünf Jahren der sexuellen Belästigung beschuldigt wurden, gibt es im Innenministerium 41, im Verteidigungsministerium 24 und im Justizministerium 13. In allen anderen Ressorts ist die Anzahl Beschuldigter ebenfalls einstellig.

Zur Anzeige gebracht wurde übrigens nur ein Bruchteil der intern gemeldeten Fälle sexueller Übergriffe. In den meisten Ministerien wurden entweder keine oder lediglich einer bis drei Fälle zur Anzeige gebracht. So wurde etwa im Verteidigungsministerium kein einziger Fall angezeigt. Im Justizressort waren es drei. Lediglich das Innenressort brachte 34 Fälle zur Anzeige. Ein ähnliches Bild zeigt sich in der Frage, ob in Fällen sexueller Übergriffe Disziplinarverfahren eingeleitet wurden: Im Innenministerium kam es zu 34 solcher Verfahren, im Justizressort zu drei und im Verteidigungsministerium zu acht.

Gerichtsverfahren in den seltensten Fällen

Zu Gerichtsverfahren kam es daraufhin allerdings in den allerseltensten Fällen – nämlich über alle Ministerien hinweg insgesamt zu acht. Kein einziges Mal kam es zu Schadensersatzzahlungen seitens des Ressorts an von sexueller Belästigung betroffene Personen. Vereinzelt musste immerhin die belästigende Person Schadensersatz an das Opfer zahlen. Auch zu Änderungen bei der Diensteinteilung und Versetzungen aufgrund von sexueller Belästigung ist es bis auf wenige Ausnahmen in der Regel nicht gekommen. Zu Entlassungen aufgrund von sexueller Belästigung kam es in sechs Ministerien, insgesamt waren es in den vergangenen fünf Jahren sieben Entlassungen. Darüber hinaus kam es deshalb in vier Ministerien zu sieben Kündigungen.

In neun der zwölf Ministerien gibt es immerhin Weisungen, wie mit Meldungen aufgrund von sexueller Belästigung umgegangen werden soll. Weisungen für Führungskräfte, sofern sie von derartigen Vorwürfen in ihrem Zuständigkeitsbereich erfahren, gibt es in sechs Ministerien. Laut Brandstötter sei es jedenfalls an der "Zeit, dass die Ministerien hier beginnen, noch strenger vorzugehen, damit Belästigung nicht länger als Kavaliersdelikt gesehen wird". (Sandra Schieder, 22.3.2023)