Man stelle sich vor, man kann nur im Bett liegen. Sitzen, Essen, Körperpflege, sogar Sprechen sind so anstrengende Tätigkeiten, dass sie nicht möglich sind. Im schlimmsten Fall überfordern sogar Licht und Lärm.

So sieht das Leben von vielen ME/CFS-Betroffenen aus. Das steht für Myalgische Enzephalomyelitis / Chronisches Fatigue-Syndrom, eine neuroimmunologische Multisystemerkrankung infolge einer Viruserkrankung, die immer noch weitgehend unbekannt ist – obwohl es geschätzt rund 36.000 Betroffene in Österreich gibt.

Die Zahl der Betroffenen von ME/CFS und Long Covid steigt. Darauf muss sich das Gesundheitssystem einrichten.
Foto: APA/DPA/Annette Riedl

Und es werden täglich mehr. Denn durch die Corona-Pandemie sind Unzählige dazugekommen, in der schwersten Form von Long Covid. Experten befürchten eine Steigerung der Zahlen um bis zu 200 Prozent. Und obwohl die Erkrankung seit 1969 von der Weltgesundheitsorganisation WHO anerkannt ist, es dazu internationale Leitlinien und Kriterien gibt, scheint das Wissen dazu noch nicht in Österreich angekommen zu sein. Viel zu viele Ärztinnen und Ärzte haben noch nie etwas davon gehört, dadurch wird die Krankheit viel zu selten diagnostiziert. Das bedeutet wiederum viel zu wenig Anerkennung und Zuerkennung etwa von Pflegegeld für die Betroffenen. Immerhin sind über 60 Prozent von ihnen arbeitsunfähig, ein guter Teil der Übrigen arbeitet nur Teilzeit, weil die Energie für mehr nicht reicht. Es ist ein echter Teufelskreis.

VIDEOREPORTAGE: Simone und Sarah leiden am Chronischen Fatigue-Syndrom – eine mögliche Folge einer Coronavirus-Infektion. Unser Videoteam hat sie einen Tag in ihrem Alltag begleitet.



DER STANDARD

Besonders häufig betroffen sind junge Frauen. Auch das trägt mit Sicherheit dazu bei, dass die Krankheit nicht genügend ernst genommen wird. Die gesundheitlichen Probleme des weiblichen Geschlechts werden in der Medizin von vielen immer noch nicht entsprechend anerkannt. Beschwerden werden dann gerne als psychosomatisch abgetan. Das ist immer inakzeptabel, bei ME/CFS-Betroffenen ist es aber sogar schädigend. Eines der wesentlichen Merkmale der Krankheit ist, dass Überanstrengung den Zustand teilweise massiv verschlimmern kann.

Machtinteressen

Das Thema ME/CFS wird fast wie eine heiße Kartoffel zwischen den einzelnen Institutionen hin und her geschoben. Das liegt auch daran, dass die Krankheit keine Lobby hat. Für Betroffene sind bereits banale Tätigkeiten des alltäglichen Lebens so anstrengend, da bleibt wenig bis keine Kraft für politischen Aktivismus. Auch das trägt dazu bei, dass sich niemand zuständig fühlt, weder Ministerium noch Sozialversicherung oder Gesundheitskasse. Doch diese Situation ist für die Betroffenen eine Katastrophe.

Am Ende scheint wieder einmal das österreichische System des Föderalismus an der Misere mit schuld zu sein. Deshalb ist die Finanzierung des Gesundheitssystems so komplex, dass es selbst mit der Materie Vertrauten manchmal schwerfällt, diese zu durchblicken.

Die Hoffnung, dass hier endlich etwas weitergeht, liegt auf den Verhandlungen zum Finanzausgleich. Dort diskutieren Bund und Länder derzeit über die Strukturen und Verantwortlichkeiten im Gesundheitswesen und die Verteilung der Gelder. Die Aussicht, dass sich in diesem Gremium etwas bewegt, scheint allerdings eine geringe, Machtinteressen und politische Befindlichkeiten sind zu stark.

Dabei wäre es extrem wichtig, dass endlich Lösungen auf den Tisch gelegt werden. Nicht nur wegen ME/CFS, sondern auch wegen des gesamten Gesundheitssystems. Schließlich kracht das an allen Ecken und Enden – und das schadet allen Menschen in Österreich. (Pia Kruckenhauser, 22.3.2023)