Martina Lang, Sibel Ada und Jakob Osawaru sind drei der bislang 60 Bewerberinnen und Bewerber für den neuen Lehrgang.

Foto: Christian Fischer

An den Hebeln der Macht mitmischen, eigene Ideen umsetzen, die Zukunft eines Landes mitgestalten: Nicht wenige junge Menschen können sich eine solche Karriere vorstellen. Doch der Einstieg in das politische Geschäft ist nicht ganz einfach. Eine klassische Ausbildung oder ein Studium zur Politikerin beziehungsweise zum Politiker gibt es nicht. Große Karrieren beginnen hier oft ganz unten – in Jugendorganisationen der Parteien oder im Ehrenamt auf Lokalebene. All das ist verbunden mit viel Klinkenputzen.

Die klassische Ochsentour, bei der sich Jungpolitikerinnen und -politiker mühsam nach oben kämpfen, ist zwar immer noch der gängigste Weg zum Berufspolitikerdasein – zahlreiche Quereinsteigerinnen und Quereinsteiger sind allerdings der Beweis, dass dies nicht der Einzige ist.

Neue Generation für politische Ämter

Einen weiteren Weg will nun eine Initiative des Vereins Love Politics aufzeigen. Ein neuer Lehrgang, für den Bewerbungen seit Donnerstag möglich sind, will jungen Menschen eine Alternative zur klassischen Ochsentour und zu Parteiakademien bieten. Versprochen wird ein "politisch unabhängiges, überparteiliches und berufsbegleitendes Ausbildungsprogramm". Der Lehrgang umfasst neun Module über einen Zeitraum von neun Monaten. Auch Praktika und Hospitanzen in politischen und politiknahen Institutionen und Organisationen sollen im Rahmen der Ausbildung vermittelt werden. Vorbild sind ähnliche Initiativen in Schweden, Portugal und Südafrika.

Gesucht wird nach "neuen Talenten" aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. Der Verein setzt es sich zum Ziel, "eine neue Generation von Politikerinnen und Politikern in die Parlamente und politischen Ämter zu bringen". Ziel der Initiative ist außerdem, "die Anteile von bislang in den Parlamenten zu wenig vertretenen Gruppen zu erhöhen". Daher werden anteilig mehr Frauen, Menschen mit Migrationshintergrund, mit Behinderungen und ohne akademischen Abschluss aufgenommen als derzeit in den Parlamenten vertreten sind.

"Ich will Politikerin werden"

Eine Bewerberin ist Sibel Ada. Für die 29-Jährige war es "als Kind einer migrantischen Arbeiterfamilie lange unvorstellbar, ein politisches Amt zu bekleiden". Ada, die in Österreich geboren ist und deren Eltern aus der Türkei kommen, ist allerdings der festen Überzeugung, dass das politische System und seine Vertreterinnen und Vertreter "ein Abbild der Gesellschaft" sein müssen, sagt sie im STANDARD-Gespräch. Und dazu will Ada, die derzeit ein Doktoratsstudium an der Uni Wien macht und Vorständin der Sorority, einer Vernetzungsplattform für Frauen, ist, "einen Beitrag leisten".

"Ich will Politikerin werden", sagt auch die einstige Leistungssportlerin Martina Lang. Die 34-jährige Steirerin, die seit über einem Jahrzehnt in Wien lebt, ordnet sich selbst (noch) keiner Partei zu und kann daher auch nichts mit einer klassischen Parteikarriere anfangen. "Das ist auch der Grund, weshalb ich mich für den Lehrgang bewerbe", sagt sie zum STANDARD.

Schon jetzt gibt es 60 Bewerberinnen und Bewerber; 35 Personen werden letztendlich in das Ausbildungsprogramm aufgenommen. Die Kurskosten für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer belaufen sich auf rund 1.000 Euro.

Namhafte Finanzgeber

Die Gesamtkosten des Lehrgangs sind um ein Vielfaches höher: Winfried Kneip, Vorstandsmitglied und Gründer, beziffert diese auf 350.000 Euro. Finanziert wird das Programm von mehreren namhaften Finanzgebern. Darunter die Erste-Stiftung, die Österreichische Forschungsförderungsgesellschaft, das Bundesministerium für Landesverteidigung, das Europäische Forum Alpbach und die US-Botschaft in Wien.

"Dafür haben wir Sorge getragen, dass das nicht der Fall ist"*, sagt Kneip auf die Frage des STANDARD, ob die Sponsoren eigene Interesse verfolgen und möglicherweise Einfluss auf den Lehrgang oder Bewerberinnen und Bewerber geltend machen wollen. Und zwar, indem man man nur mit Fördergebern und Sponsoren zusammenarbeiten würde, "die das Programm nicht beeinflussen". Und man habe auch vorgebeugt: "Der Lehrgang ist vollkommen unabhängig konzipiert worden"; auch in der Jury, die für die Auswahl der Bewerberinnen und Bewerber zuständig ist, seien keinerlei Vertreterinnen und Vertreter der oben genannten Institutionen vertreten.

"Nicht verhindern" könne er, dass Geldgeber an die Bewerberinnen und Bewerber mit Begehrlichkeiten herantreten, wenn diese eines Tages tatsächlich in der Politik Fuß gefasst haben. "Das wäre fatal, wenn dem so wäre", sagt Kneip. Ein Vertreter der US-Botschaft in Wien sagt im STANDARD-Gespräch, dass man sich deshalb finanziell an der Initiative beteiligt, um Österreich und die USA "einander näherzubringen" und weil es sich um ein Projekt handelt, das sich der Themen "Diversität und Inklusion" annimmt.

Nur FPÖ nicht Teil der Initiative

Die Initiative kann jedenfalls mit prominenten Namen aufwarten, die sich laut eigenen Angaben ehrenamtlich beteiligen. Ex-EU-Kommissar Franz Fischler (ÖVP), Vorstandsmitglied und Gründer, spricht etwa von einer "Verantwortung, engagierte Menschen zu befähigen, den Job eines Politikers zu machen". Als Co-Gründer und Co-Gründerinnen sind Altbundespräsident Heinz Fischer (SPÖ), Neos-Abgeordnete Karin Doppelbauer und Wiens Grünen-Chefin Judith Pühringer an Bord. Laut Doppelbauer, die als Quereinsteigerin den Weg in die Politik gefunden hat, müssen angehende Politikerinnen und Politiker "Resilienz und ein Körnchen Selbstbewusstsein mitbringen". Pühringer meint, dass es dringend "auch Menschen von den Rändern der Gesellschaft" in der Politik brauche.

Damit ist bis auf die FPÖ das gesamte politische Spektrum Teil der Initiative. Laut Gründern sei man deshalb nicht auf die FPÖ zugegangen, weil die Partei aus deren Sicht die Werte des Vereins nicht umfassend genug teilen würde – Stichwort Bekenntnis zur liberalen Demokratie, Anerkennung des Europäischen Grundrechtekatalogs und Vertrauen in Lösungen auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse.

Die Chancen, als Berufspolitikerin oder Berufspolitiker Karriere zu machen, stehen derzeit jedenfalls besser als in der Vergangenheit. Etablierte Parteien haben nämlich mit schwindenden Mitgliederinnen- und Mitgliederzahlen und zunehmend auch mit Überalterung zu kämpfen. Junge Köpfe, die sich für Politik begeistern und politisches Talent mitbringen, sind in der politischen Landschaft also willkommen. Geschenkt wird aber auch ihnen nichts. Das wird den angehenden Nachwuchspolitikerinnen und -politikern wohl auch auf ihrer neunmonatigen "Lernreise" vermittelt werden. (Sandra Schieder, 24.3.2023)