Wohlfühlen und Job – der Gegensatz soll keiner mehr sein.

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Wellbeing ist das große Schlagwort, das in Unternehmen während der Pandemiejahre zum Imperativ geworden ist. Verständlich, denn wenn Arbeitsverdichtung, dauernde Erreichbarkeit, fortwährende Beschleunigung durch Digitalisierung und dazu auch noch die Arbeit der fehlenden Kolleginnen und Kollegen auf den Schultern lasten, dann geht’s irgendwann einmal nicht mehr. Wem es schlecht geht aufgrund der ständigen Multiüberlastung, der wird irgendwann einmal krank und fällt aus. Das ist auch für die Firma schlecht. Also: Wellbeing!

In Unternehmen, die es ernst meinen, steckt dahinter ein strategischer Plan, der weit über Obstkörbchen und Fitnessgutscheine hinausgeht und alle Prozesse einbindet, auch das Auszeitenmanagement, auch gesunde Führung, auch neue Benefits wie Gesundheitsvorsorge oder Zuzahlungen zu präventiven Gesundheitsmaßnahmen.

Damit ist auch ein externer Anbietermarkt entstanden, der individuell abrufbare Coachings, Begleitung durch privat schwierige Lebensphasen und sogar therapeutische Interventionen offeriert. Die Plattform Instahelp beispielsweise arbeitet derzeit – eigenen Angaben zufolge – schon mit 150 Unternehmen daran, eine Wellbeing-Kultur zu etablieren. Das ist keine simple Sache, wenn es nicht bei einzelnen Akutmaßnahmen oder lediglich einem Versatzstück für die Arbeitgeberwerbung bleiben soll. Es greift tief in die Organisation ein – und verlangt alle drei: Unternehmen, Führung und Individuen.

Mentale Gesundheit mehr im Fokus

Mit den jüngsten Belastungsfaktoren wie Krieg, Inflation, der Angst vor der Klimakatastrophe wird das Thema brennend. Wer kann das, was ihn als Mensch bedrückt, beim Portier auf dem Weg zum Arbeitsplatz abgeben?

Laut Weltgesundheitsorganisation geben 15 Prozent der Beschäftigten an, trotz mentaler Probleme zu arbeiten. Wer psychisch leidet, ist länger im Krankenstand: 43,2 Tage sind das im Durchschnitt in Österreich. Durchschnittlich benötigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Österreich etwa zehn Krankenstandstage im Jahr – Frauen wie Männer. Und schon jetzt wechseln viel zu viele Menschen nicht direkt tätig aus dem aktiven Erwerbsleben in die Pension, sondern über Krankenstandsumwege.

Viele neue Themen bei ganz Jungen

Angesichts der Verfasstheit der jüngeren Generationen – auch der Generation Alpha, die als nächste in den Arbeitsmarkt vorrückt – kommt da noch einiges auf Arbeitgeber zu. Die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen hat sich in der Corona-Pandemie weiter verschlechtert. Das weisen die Österreich-Daten der aktuellen internationalen HBSC-Studie (Health Behaviour in School-aged Children Study) aus. Besonders deutlich zeigt sich das bei den älteren Mädchen. Auch die Zahl der übergewichtigen Kinder und Jugendlichen habe weiter zugenommen, sagt Studienleiterin Rosemarie Felder-Puig (Gesundheit Österreich).

Für die von der WHO initiierte und alle vier Jahre durchgeführte Studie füllten diesmal insgesamt 7100 Schülerinnen und Schüler zwischen zehn und 17 Jahren einen Online-Fragebogen aus. Demnach sind etwa 44 Prozent der Mädchen und 25 Prozent der Burschen häufig gereizt oder schlecht gelaunt. 30 Prozent der Mädchen und zwölf Prozent der Burschen äußerten, häufig niedergeschlagen zu sein. Einsamkeit, Übergewicht und Adipositas, Substanzen- und bedenklicher Medienkonsum erreichen "besorgniserregende" Ausmaße.

Gesundheitskompetenz fördern

Diese Entwicklungen haben auch die Wellbeing-Initiativen – in der Amtssprache etwas trockener als Gesundheitskompetenz formuliert – des Gesundheitsministers angekurbelt. So laufen nun etwa Programme wie der Wohlfühlpool oder "Ich schaffe das".

Im Hintergrund des anhaltenden Fach- und Arbeitskräftemangels stellt sich verschärft auch die Frage nach dem Ausgleich in der immer mehr auseinanderdriftenden Zweiklassengesellschaft: Was sind wir für jene Tausenden zu tun bereit, die frühe Bildungsabbrecher sind, die leicht ausgetauscht werden können, die unter Bedingungen arbeiten, die keine Forderungen und Ansprüche zulassen? Diese Ungleichheit vergrößert sich gerade. Gesellschaftlich und auch in Unternehmen. Teilhabe, Arbeitsfähigkeit via Begleitung in Gesundheitsfragen wird auch unter diesem Aspekt zentral.

Hirngerecht – das ist die gute Arbeit

Neurobiologe Bernd Hufnagl hat sein Wissen und seine Erfahrungen im Bereich der Unternehmensberatung in ein neues, hilfreiches Praxisbuch gegossen. Grundthese: Durch permanentes, rastloses Funktionieren sind viele Menschen in einem Dauerzustand, in dem sie nicht bemerken, was sie eigentlich konkret tun, wie sich ihr Handeln auf andere und sich selbst auswirkt, wie sie von außen wahrgenommen werden. Durch Druck und chronischen Stress verliert man die Empathiefähigkeit und spürt nicht mehr, was andere Menschen spüren. Unsere sozialen Fähigkeiten leiden, was nicht selten zu einem egoistischen und respektlosen Verhalten führt, sagt Hufnagl.

Ungeduld, Oberflächlichkeit, Aufmerksamkeitsdefizite und Stresssymptome aller Arten benennt er als die Folgen ungesunder Gestaltung der Arbeitsverhältnisse. Hufnagl räumt mit den Mythen des Multitaskings auf, erklärt, was wie im Gehirn vor sich geht, während wir Mails erledigen vor dem laufenden gestreamten Film, wenn wir dauernd unterbrochen werden und permanent Störfaktoren in der Arbeit haben.

Damit können die vielen Alternativvorschläge, die vielen kleinen und größeren Tipps gut ankommen und bleiben nicht nur ein leeres Gerüst à la "Man sollte doch eher".

Klar, nicht alles ist überraschend, Mikropausen etwa oder das Tagträumen sind Empfehlungen, die wir vielleicht schon öfters gehört haben. In Kombination mit ihrer auch für Laien gut erklärten Entlastungsfunktion für unser Gehirn werden sie allerdings ziemlich attraktiv.

Mehr Leistung – oder eine andere?

Wir sollten, so die Kernaussage, Expertinnen und Experten hirngerechter Arbeit werden. Geht es da wieder nur um die berühmte Entspannung, die berühmte Auszeit, die Offline-Phase? Nein.

Hufnagl stellt eine überraschende These auf: "Wir brauchen mehr Leistungskultur!" Wo wir doch eh schon alle so erschöpft sind? In unserer Erfolgskultur, erklärt der Wissenschafter und Unternehmensberater, entstehe zwangsläufig ein Problem mit der individuellen Belastbarkeit und der Lust an der eigenen Leistung. Weil hauptsächlich der Erfolg des Systems belohnt werde. Spürt die und der Einzelne dann überhaupt noch, was Erfolg ist, wird emotional begreifbar, was Ergebnis der Leistung ist?

Bernd Hufnagl, "Besser fix als fertig. Hirngerecht arbeiten statt digitaler Erschöpfung". Überarbeitete Neuauflage. € 27,– / 208 Seiten. Molden-Verlag 2023

Selfcare – Die Kernkompetenz in der neuen Arbeitswelt

Nur wer ständig unter Strom steht, arbeitet: Noch immer ist dieser Glaubenssatz in vielen Unternehmen tief verankert. Wer von Meeting zu Meeting hetzt, keine Zeit für eine Mittagspause hat, Überstunden noch und noch macht und die Kollegen wissen lässt, was nicht alles noch zu managen ist, erntet Anerkennung. Räumt man seinem körperlichen und geistigen Wohlbefinden ebenfalls Raum auf der To-do-Liste ein, dann hat man mit Sicherheit noch Ressourcen und eindeutig zu wenig Arbeitspakete.

Wellbeing hat auch mit Selbstfürsorge, mit Selfcare, zu tun. Es ist nicht nur der organisationale Kontext, der sich ändern muss. Es sind nicht nur die Führungskräfte, die umlernen müssen. Es geht auch um das eigene "Mindset", in dem Selbstverantwortung gut verankert ist. Um Bewusstheit, was gute Forderung, was Überforderung ist, wo die Grenzen liegen. Vielen Menschen fällt das nicht leicht. Expertentipps dazu klingen simpel – wirksam werden sie aber erst durch konsequente Übung. Hier ein Wegweiser zur Selbstfürsorge:

  • In sich hineinhören: Manchmal macht es einem auch gar nichts aus, länger in der Arbeit zu bleiben, wenn noch etwas zu erledigen ist. Verlassen Sie sich dabei ganz auf Ihre Emotion. Werden Sie wütend, weil Sie schon wieder länger bleiben müssen? Gehen Sie dieser Wut auf den Grund. Liegt es an Ihrem Zeitmanagement oder an der Fülle der Themen, die zu erledigen sind?
  • Das Gespräch suchen: Es ist wichtig, seine Bedürfnisse und Grenzen zu kommunizieren. Wenn diese nicht wahrgenommen oder akzeptiert werden, dann suchen Sie das Gespräch.
  • Sich fokussieren: Vergessen Sie Multitasking. Machen Sie eines nach dem anderen. Tippen Sie nicht gleichzeitig eine E-Mail, während Sie telefonieren. Je mehr Sie gleichzeitig tun, desto schwieriger wird es, fokussiert zu bleiben.
  • Pausen machen: Gönnen Sie sich bewusst kurze Auszeiten während des Tages. Machen Sie Pausen – allein oder mit Kollegen, aber sprechen Sie dabei nicht über die Arbeit.
  • Belohnen: Geschafft! Denken Sie am Ende des Tages darüber nach, was Sie alles abgearbeitet haben, und nicht darüber, was Sie noch erledigen müssen. Und: Feiern Sie Erfolge!
  • Auszeit nehmen: Was und wann genießen Sie? Ist es ein Spaziergang im Wald? Oder ein Spielnachmittag mit der Familie? Solche Fixpunkte planen.

(Karin Bauer, 30.3.2023)