Ein Kakerlakenpärchen beim Schäferstündchen. Das Männchen lockt die Angebetete mit selbstproduziertem Zucker an. Seit es Zuckerfallen gibt, ist das allerdings immer seltener eine erfolgreiche Strategie für die Anbahnung von Sex.

Foto: Ayako Wada-Katsumata
Kakerlaken haben sich auf der ganzen Welt ausgebreitet. Ihre Vorliebe für Zucker wird für sie nun zum Problem.
Foto: MR.NATTHAWUT PUNYOSAENG

Küchenschaben gelten als besonders hartnäckige Mitbewohner. Wer sie einmal im Haus hat, wird sie kaum noch los. Das liegt nicht zuletzt an ihrer Anpassungsfähigkeit, die sie auf allen Kontinenten außer der Antarktis heimisch werden ließ. Die neuen genetischen Anpassungen, die Forschende nun nachgewiesen haben, stellen aber alles Bisherige in den Schatten.

Nachdem Menschen lange Zeit gegen Küchenschaben machtlos schienen, brachte eine Innovation vor etwa 40 Jahren eine entscheidende Wendung. Fallen auf Zuckerbasis schienen unwiderstehlich für die allesfressenden Tiere zu sein. Endlich durfte man auf ein effektives Mittel gegen sie hoffen.

Doch schon vor etwa 30 Jahren wurde bei den kleinen deutschen Küchenschaben, der weltweit verbreitetsten Kakerlakenart, entdeckt, dass sie die süßen Köder von Schabenfallen zunehmend verweigerten. Es zeigte sich, dass dahinter eine genetische Anpassung steckte. Zucker aktivierte plötzlich nicht mehr nur die Geschmacksrezeptoren für Süßes, sondern auch jene für Bitteres. Weil Zucker ihnen folglich nicht mehr schmeckte, wichen sie den tödlichen Fallen aus. Innerhalb kurzer Zeit war es ihnen mittels beschleunigter Evolution gelungen, der Gefahr zu entgehen.

Forschende beobachteten, dass die auf Zucker verzichtenden Schaben etwas langsamer wuchsen. Im Wettbewerb gegen kräftige, zuckerliebende Artgenossen hätten diese schmächtigen Schaben keine Chance. Solange diese in Fallen landen, ist die Abneigung gegen Zucker dennoch erfolgreich. Doch wie sich herausstellte, war langsames Wachstum nicht der einzige Preis für die lebensrettende Anpassung.

Verführung gelingt nicht

Das Paarungsritual der Schaben sieht nämlich vor, dass Männchen die Weibchen mit einem fettreichen, süßen Sekret aus einer speziellen Drüse am Rücken anlocken. Die Männchen heben dazu die Flügel und erlauben den Weibchen, sich zu laben. Ist das Sekret geschmackvoll genug, kann das Männchen mit seinem Paarungsritual beginnen.

Küchenschaben sind in der Lage, sich durch enge Öffnungen zu zwängen. Dieser Türspalt misst nur drei Millimeter.
Foto: Tom Libby, Kaushik Jayaram and Pauline Jennings. Courtesy of PolyPEDAL Lab UC Berkeley.

Doch dieser Prozess war nun gestört. Der Malzzucker aus dem männlichen Sekret wird nämlich vom Speichel des Weibchens in Glukose umgewandelt – also in jenen Zucker, der plötzlich bitter schmeckt. Das Weibchen ist vom Werbenden abgestoßen, und es kommt gar nicht erst zum Geschlechtsakt.

Die Zuckerfalle hat die Schaben also offenbar in ein tödliches Dilemma gelockt: Entweder die Spezies gibt genetisch dem Drang nach Zucker nach, und die Tiere werden mit einem funktionierenden Sexualleben und Nachwuchs belohnt, um weiterhin in Insektenfallen zu sterben, oder aber sie weichen den Fallen aus und gehen einsam und kinderlos zugrunde.

Die zweite Variante sollte eigentlich eine evolutionäre Sackgasse sein, denn ohne Fortpflanzung gibt es keine Nachkommen, die sie weitertragen könnten. Doch überraschenderweise fand man diese Anpassung in verschiedenen Teilen der Welt. Was war geschehen?

Video: Zucker als Fallenköder verändert das Liebesleben der Küchenschabe.
SciTech Daily

Eine mögliche Antwort darauf gab eine Studie, die nun im Fachjournal "Proceedings of the Royal Society B" veröffentlicht wurde. Die Forschungen eines Teams um Ayako Wada-Katsumata von der North Carolina State University ergaben, dass die Männchen reagiert und den Anteil einer anderen Zuckerart in ihrem Lockmittel verdoppelt haben. Maltotriose ist bei Weibchen ebenfalls beliebt und braucht länger, um zu Glukose abgebaut zu werden. Das gibt dem Männchen einen entscheidenden Zeitvorteil, um die Paarung doch noch erfolgreich abzuschließen.

Schneller zum Höhepunkt

Dass Zeit eine Rolle spielt, beweist auch eine weitere Anpassung. Die Männchen verkürzten ihr Balzritual. Es dauert nur noch etwas über zwei Sekunden und damit etwa halb so lang wie zuvor. Auch die Weibchen haben sich angepasst, wie Wada-Katsumata und sein Kollege Coby Schal der US-amerikanischen Zeitschrift "The Atlantic" berichten. Ihr Speichel wandelt Malzzucker nicht mehr so effektiv in Glukose um.

Es ist nicht das einzige Beispiel von beschleunigter Evolution bei Tieren unter dem Druck des Menschen. Andere prominente Beispiele sind durch Wilderei entstandene stoßzahnlose Elefanten in Mosambik. Auch der Klimawandel hat einen Einfluss auf die Geschwindigkeit der Evolution von Tieren. Beim Menschen führte einst die Pest zu hohem Selektionsdruck, der sich auch heute noch in den Genen nachweisen lässt. Die zahlreichen Anpassungen der Kakerlaken beeindrucken Fachleute aber besonders. Der Konflikt mit den ungeliebten Mitbewohnern geht also in die nächste Runde. (Reinhard Kleindl, 31.3.2023)