Hoch hinaus ging es nicht nur bei den Termingeschäften von Wien Energie, sondern nun auch bei den Gewinnen.

Foto: Toppress / Karl Schöndorfer

Wien – Mit ihrer eiligen Ankündigung, die von einer Verdoppelung des Preises geplagten Wiener Fernwärme-Kunden finanziell zu entschädigen, versucht die Stadtregierung, Druck aus dem Kessel zu nehmen. Das erschien im Lichte der heute, Freitag, anberaumten Befragung von Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) in der Untersuchungskommission zur Causa Wien Energie offenbar notwendig.

Noch in den vergangenen Tagen hatte Ludwig auf Social Media mit dem Slogan "Wien ist leistbar" geworben. Das als Frohbotschaft Gedachte klingt angesichts der im Sommer des Vorjahres aufgrund massiv gestiegener Gaspreise durchgezogenen Preiserhöhungen fast zynisch. Denn während die Bundesregierung über die Einführung einer Stromkostenbremse diskutierte, hat Wien Energie ihre eigenen Gewinnprognosen für das Gesamtjahr 2022 bereits im dritten Quartal deutlich übertroffen.

Das Ergebnis vor Steuern betrug per 30. September nicht 106,5 Millionen Euro, wie in den Jahresplänen angenommen, sondern hat sich auf 226 Millionen Euro sogar mehr als verdoppelt. Das geht aus den Quartalsreportings hervor, die dem STANDARD vorliegen. Für das Gesamtjahr gehen Beobachter von einer weiteren Steigerung auf gut 300 Millionen Euro aus.

Höhere Gas- und Stromtarife

Zu diesem überraschenden Erfolg trug neben höheren Strom- und Gastarifen (Stichwort "Optima entspannt") für Haushalts- und Gewerbekunden ab September nicht zuletzt die kräftige Preiserhöhung für Fernwärme bei. Das erschließt sich auch aus einem Schreiben von Wirtschaftsprüfer KPMG vom 30. August 2022, das die im Lichte der aus dem Ruder gelaufenen Sicherheitenleistungen ("Margins") für die Termingeschäfte nervös gewordenen Hausbanken des städtischen Versorgers bis zur Vorlage einer Fortführungsprognose beruhigen sollte.

In diesem Attest, das dem STANDARD vorliegt, weist Wirtschaftsprüfer KPMG nicht nur auf "gute wirtschaftliche Kennzahlen" und eine gute Eigenkapitalausstattung von Wien Energie im Jahr 2021 hin, sondern insbesondere auf die behördlich genehmigte Erhöhung der Fernwärmepreise um 92 Prozent, aufgrund der sich die wirtschaftliche Situation in diesem Bereich zwischenzeitlich entspannt habe.

Umsätze übersteigen Kosten

Deutlich wird der positive Beitrag seitens der Wien-Energie-Kunden auch in den Quartalsberichten des Versorgers, die im Rahmen des städtischen Beteiligungsmanagements (MA 5) von der Wien-Energie-Mutter Wiener Stadtwerke vorgelegt wurden. "In Bezug auf das Betriebsergebnis werden höhere Umsatzerlöse für Strom, Gas und Fernwärme prognostiziert, welche in Kombination mit den Kostenersparnissen die erwarteten planüberschreitenden Materialkosten kompensieren werden", heißt es im Quartalsbericht wörtlich.

Unter Materialkosten sind die im Sommer erratisch in bis dahin ungeahnte Höhen geschossenen Gaspreise zu verstehen, zu denen Wien Energie den Rohstoff einkaufen musste. Ebendiese Gaspreise trieben den Strompreis auf Rekordhöhe – und mit ihnen die sogenannten Variation Margins, mit denen Verkäufe des in der Zukunft zu produzierenden Stroms an den Börsen unterlegt werden müssen, sowie die damit einhergehenden Finanzierungskosten.

Stromproduktion gedrosselt

Auffällig ist an den Quartalszahlen: Die Stromproduktion in den ersten neun Monaten des Jahres 2022 lag ab dem ersten Quartal unter Vorkrisenniveau, konstant um rund 300 Gigawattstunden (GWh). An der Strombörse verkauft wurde übers Jahr gerechnet freilich das eineinhalb- bis zweifache der produzierten Menge. Die Differenz sind aufs Jahr gesehen Leerverkäufe auf in den kommenden Monaten oder Jahren zu produzierende Strommengen, die Wien Energie zu- und verkauft. Leerverkäufe wurde von Wien Energie stets vehement bestritten, man spekuliere nicht an den Börsen. "Jede Kilowattstunde Strom, die wir verkaufen, produzieren wir auch. Jeder Stromverkauf wird mit Gaseinkauf rückgedeckt", betonte der Versorger.

Liquidität hoch

Hochgeschossen ist damit einhergehend auch die Liquidität, sie übertraf die geplanten 238 Millionen Euro bis Ende September deutlich, stieg auf 4,1 Milliarden Euro – und überstieg damit bekanntermaßen die finanziellen Möglichkeiten von Wien Energie und ihres Mutterkonzerns Wiener Stadtwerke. In der Spitze Ende August betrug der Liquiditätsbedarf für Strom 9,5 Milliarden Euro und jener für Gas fünf Milliarden, ehe sich die Lage am 30. August wieder (auf hohem Niveau) normalisierte. Zu diesem Ergebnis kommt die Vermögensberatung Zmuegg, die die Quartalsberichte für den STANDARD ausgewertet hat (siehe Grafiken).

Die Verluste mussten, wie mehrfach berichtet, nicht realisiert werden. Wien Energie bezeichnete die aus den Abweichungen bei Liquidität, Erzeugung und Ergebnis abgeleiteten "Interpretationen" als "nicht zulässig". "Generell bieten diese internen Quartalsberichte der MA 5 kein Gesamtbild, und Detailzahlen ohne Kontext herauszugreifen ist problematisch", wurde von Wien Energie in einer schriftlichen Stellungnahme betont. Der gesteigerte Liquiditätsbedarf sei nicht vorhersehbar gewesen und auf extreme Marktverwerfungen zurückzuführen, das sei gutachterlich bestätigt.

Hilfe von oben

Ohne fremde Hilfe löste sich dieses Problem bei Wien Energie natürlich nicht. Zunächst musste im Sommer die Stadt Wien im Wege der bürgermeisterlichen Notkompetenz mit zweimal 700 Millionen Euro beispringen, und als am letzten Augustwochenende auch das nicht reichte, besorgte sich das Land Wien im Wege der Rechtsträgerfinanzierung ein Darlehen des Bundes über zwei Milliarden Euro. Genau den Einsatz dieser Notkompetenz untersucht die Untersuchungskommission des Gemeinderats.

Die Konsequenzen sind wohlbekannt: Angesichts der Bocksprünge der Gas- und Strompreise explodierte die Liquidität, weil für die enorm gestiegenen Strommengen, die über die Börse verkauft wurden, bis zum Abreifen der Termingeschäfte (Derivate) Milliarden hinterlegt werden müssen. Sinkt der Verkaufspreis von Strom bis zum Termin, fällt beim Verkäufer ein Körberlgeld an, womit sich der Kreis zum nun in Aussicht gestellten Gewinn des Versorgers schließt. "Zwischen Ergebnis und Liquidität besteht kein unmittelbarer Zusammenhang", betont man seitens von Wien Energie.

Investitionen verschoben

Die unangenehmen Nebenwirkungen dieses Geschäftsmodells: Der hohe Liquiditätsbedarf ließ den operativen Cashflow schrumpfen, "den Planwert signifikant unterschreiten", wie es im Quartalsreport lapidar heißt. Um dies zu kompensieren und den Gesamtcashflow zu verbessern, wurden die Investitionstätigkeit zurückgefahren und die Verbindlichkeiten gegenüber der Konzernmutter Stadtwerke ausgeweitet. Welche Investitionen konkret aufgeschoben wurden, war seitens von Wien Energie nicht in Erfahrung zu bringen. Es handle sich um Projektverzögerungen, unter anderem aufgrund von Lieferzeiten und der Dauer von Ausschreibungen.

EU-Gaspreisdeckel

Gemessen am hohen Einsatz scheint ein Gewinn von rund 300 Millionen Euro übrigens nicht überschwänglich ertragreich. Durch die Dividende der Verbund AG, an der Wiener Stadtwerke und Wien Energie zusammen rund 13 Prozent halten, erhöht sich der Jahresüberschuss des Versorgers freilich weitere 140 Millionen Euro. Eine Ausschüttung ist allerdings verboten. Denn aufgrund des staatlichen Schutzschirms, den die Stadt für längstens drei Jahre bis Mai 2026 aufgespannt hat, dürfen Dividenden (an die Stadt) nicht ausgeschüttet werden. Dieses Geld soll nun quasi als Bonus an Fernwärme-Kunden ausgezahlt werden.

Kleiner Trost für Steuerzahler: Nahezu unbegrenzt wie im Vorjahr ist das Risiko nun nicht mehr. Denn die EU hat einen Gaspreisdeckel verhängt, der Ausreißer wie nach dem von Russland verhängten Stopp der Gaslieferungen über die Pipeline Nordstream 1 im Vorjahr verhindert. Ob der ab Mai seitens der Stadt aufgespannte Schutzschirm in Form von Kreditlinien bei insgesamt zehn Geschäftsbanken im Volumen von 3,7 Milliarden im Fall neuerlicher Verwerfungen auf den Strommärkten groß genug ist, bleibt ein Risiko. (Luise Ungerboeck, 31.3.2023)