Grelles Neonlicht, sterile Kabinen, effiziente Massenmenschhaltung: Alles von gestern. Jetzt kommt das Wohnzimmer ins Büro – statt umgekehrt.

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Workstation, Messengerdienst, Arbeiten von überall – so stellte sich die BBC im Jahre 1979 das Büro der Zukunft vor. In diesem Jahr ging der Informationsdienst CompuServe an den Start, Queen Elizabeth hatte drei Jahre zuvor ihre erste Mail verschickt, doch in den meisten Büros kommunizierte man immer noch per Fernschreiber und Rohrpost. Dagegen mutet es fast schon futuristisch an, wie sich die Frau in dem Video mit einer persönlichen Karte einloggt, eine Nachricht an einen Kollegen in die Tastatur hackt und über einen Datendienst ein Flugticket in die USA bucht. Nur die Sache mit der Concorde wirkt aus heutiger Sicht etwas antiquiert. Obwohl das Arpanet, der Vorläufer des Internets, in der Fläche kaum verbreitet war, hat das Video die Entwicklung der modernen Arbeitswelt vorweggenommen.

Technologien benötigen Zeit, bis sie implementiert werden, und manchmal braucht es auch externe Schocks, dass etwas vorangeht. Die Corona-Pandemie war so ein externer Schock. Weil von einem auf den anderen Tag die Leute nicht mehr ins Büro gehen konnten, wurden Küchentische zu improvisierten Konferenztischen, Kleiderschränke zu Hörfunkstudios, Kinderzimmer zu Klassenzimmern.

Längst sind die Angestellten wieder zurück in den Büros, doch die Work-from-anywhere-Kultur ist geblieben: Mobiles oder hybrides Arbeiten wird immer mehr zum Standard. Die Idee, dass die Arbeit nur an einem bestimmten Ort erbracht werden kann, gilt einer digitalen, zunehmend ortlosen Gesellschaft als gestrig; im kognitiven Kapitalismus findet Arbeit eben nicht nur am Arbeitsplatz statt, sondern auch beim Joggen oder Kaffeetrinken. Die fabrikmäßige Organisation von Büroarbeit in Großraumbüros ist ein Relikt des Industriezeitalters. Schon kurz nach Ausbruch der Corona-Pandemie, im April 2020, sagte der Chef der Großbank Barclays, Jes Staley, 7000 Menschen in ein Gebäude zu packen sei "ein Ding der Vergangenheit".

Offener und flexibler

Zahlreiche Firmen haben mittlerweile teure Büroflächen in Innenstädten gekündigt und ihre Zelte für digitale Nomaden in "Zoom-Towns" aufgeschlagen. Die Frage ist: Wie sieht das Büro der Zukunft aus? Die Entwürfe, die derzeit diskutiert werden, changieren zwischen Campus-Architektur, Coffee-Shop und Outdoor-Office. Tischgruppen werden zwischen Kaffeebars geschoben, Whiteboards und Zimmerpflanzen fungieren als Raumteiler, großzügige Grünflächen im Außenbereich ermöglichen kreative Pausen und und bieten Platz für Yogamatten.

Offener, flexibler, modularer soll das Büro von morgen werden. Statt streng funktionalistischer Architektur mit klarer Raumaufteilung soll die Raumnutzung fluider werden und dem Workflow hybriden Arbeitens folgen. Die Idee: Statt das Büro in das Wohnzimmer zu verlegen, soll das Wohnzimmer ins Büro kommen. Sofas, Leseecken und Wuzeltisch sollen eine Wohlfühloase in einer hektischen Arbeitswelt schaffen. Mehr Home statt Homeoffice also.

Konkrete Umsetzungen gibt es bereits: Das neue, dreistöckige Bürogebäude von IBM in Toronto etwa wartet mit flexiblen Räumen auf, die sich dank beweglicher Wände und Leichtgewichtmöbel je nach Bedarf neu arrangieren lassen. Mit dem Wandel zu hybriden Arbeitsformen werden die Anforderungen an das Büro höher. Um die Mitarbeiter ins Büro zu locken, muss der Arbeitgeber etwas bieten. Es reicht heute nicht mehr aus, eine Kantine und eine Teeküche in ein Gebäude zu integrieren – es braucht neben der besonders von der Generation Z eingeforderten Work-Life-Balance auch Gebets-, Meditations- und Rückzugsräume, um Mitarbeiter bei Laune zu halten.

Google ist wieder mal vorn

Unter dem Stichwort "Resimercial" wird ein neuer Einrichtungstrend diskutiert, der die Bereiche Wohnen und Arbeit vermischt. Wer heute in ein Autohaus geht, sitzt unter Umständen nicht mehr im grellen Neonlicht in einer mit Glaswand abgetrennten sterilen Kabine, sondern an einem hippen Holztisch, wo der Verkaufsberater seinen Laptop aufklappt. Die Botschaft: Man soll sich auch beim Autokauf wohlfühlen. Und auch die Büroräume sollen in Zukunft eine Wohnzimmeratmosphäre verströmen.

Der Vorreiter dieser Entwicklung ist Google: Am Standort Zürich können die Mitarbeiter des Techkonzerns von der hauseigenen Chillout-Lounge in das darunter gelegene Bistro rutschen. Arbeit soll einem nicht wie Arbeit vorkommen, sondern wie Freizeit.

In ihrem aktuellen Buch Unworking: The Reinvention of the Modern Office beschreiben die Autoren Jeremy Myerson und Philip Ross, wie die "alten Demarkationslinien" zwischen Zuhause, Arbeit und Freizeit in der modernen Arbeitswelt verschwinden. Das Büro, das mit Le Corbusier gedacht als eine Art Arbeitsmaschine ersonnen worden sei, verflüchtige sich in der Cloud. "Bei Design und Planung des Büros ging es vorwiegend darum, was die Leute bei der Arbeit tun; heute geht es darum, was sie über Arbeit fühlen", schreiben die Autoren.

Die Feel-good-Architektur kommt nun auch ins Büro – eine Mischung aus Wohnzimmer, Café und Hotellobby. Doch egal, ob E-Mails nun auf der Couch oder am Schreibtisch beantwortet werden – Arbeit wird am Ende immer Arbeit bleiben. (Adrian Lobe, 4.4.2023)