Wer ist die Beste? In dem von Regisseurin Laura N. Junghanns mit dem Volkstheater-Ensemble und der Autorin Nava Ebrahimi entwickelten Stück wollen sich drei Bewerberinnen gegenseitig ausstechen.

Foto: Marcel Urlaub

Wohl eine der größten Errungenschaften der westlich-neoliberalen Gesellschaft ist es, dass offener Zwang überhaupt nicht mehr nötig ist – das Individuum richtet sich liebend gern in Eigenregie zu.

In diesem Geiste agieren auch die drei Schauspielerinnen in Die Cousinen, das Regisseurin Laura N. Junghanns mit dem Ensemble und der Autorin Nava Ebrahimi entwickelt hat. 2021 gewann Ebrahimi mit Der Cousin den Bachmannpreis – einem Text, der auf dichtem Raum viel verhandelt, von Migration und Exil über Identität bis zu Traumata und sexueller Identität. Erzählt wird in der Ich-Perspektive von der Cousine.

Sehr unterschiedliche Figuren

Für deren Rolle bewerben sich im Stück nun drei Frauen, die unterschiedlicher kaum sein könnten: Die von verblichenem Ruhm zehrende Schweizer Schauspielerin Sabine Ursina Homberger (großartige Rolle für Volkstheater-Veteranin Claudia Sabitzer), die nach der Menopause kaum noch Engagements bekommt und die Rolle dringend braucht – der außer Kontrolle geratene Mietmarkt hat wenig übrig für alleinerziehende Dreifachmütter wie sie.

Wobei: Dringend brauchen alle drei den Job, auch die junge Türkin Sibel Su Tașcan (Irem Gökçen) und die gerade aus der Karenz zurückgekehrte Iranerin Sepideh Ghaemmaghami (Hasti Molavian mit Säugling im Koffer). Auf der Bühne der Dunkelkammer im Volkstheater (Bühne, Kostüme: Michael Sieberock-Serafimowitsch) absolvieren sie alleine ihr Vorsprechen, hinter ihnen nur eine kleine Kamera und viele Bildschirme (kunstvoll mit Live- und Fake-Bildern, Social-Media-Elementen und verzerrten Gesichtern: Marvin Kanas).

Fotogene Biografien

Die Regie bleibt anonym, beobachtet – oder vielleicht auch nicht? Zurichten und fertigmachen können sich die drei Schauspielerinnen auch ganz allein. In insgesamt drei Wiederholungen treffen sie in unterschiedlichen Konstellationen zum Vorsprechen aufeinander: Beim ersten Mal wird mit einem Privilegien-Profil begonnen (mittlerweile State of the Art, wie die Karenz-Rückkehrerin erfährt), beim zweite Mal werden die eigenen Traumata aufgelistet. (Migrations-)Biografien und Rassismuserfahrungen müssen in Stellung gebracht werden, die eigene "Identität" muss möglichst fotogen und verwertbar präsentiert werden.

In der dritten Wiederholung bleibt schließlich nur noch gnadenlose Ehrlichkeit: Was hilft die Kunst, wenn die Arbeitsbedingungen mies und die eigenen Verhältnisse prekär sind? Das gerät bisweilen etwas bemüht und akademisch, ist aber dank der furios aufspielenden Schauspielerinnen vor allem ein authentischer, 90-minütiger Abend mit bissigem Witz. (Andrea Heinz, 3.4.2023)