Schön, dass sich manche Dinge nicht ändern. "Access granted, welcome", tönt es so vertraut wie monoton aus dem Automaten, während gleichzeitig die hüfthohen Plexiglastüren lautlos auseinanderschwingen. Sobald das passiert, weiß man als langjähriger Besucher der Genfer Uhrenmesse: Jetzt geht’s wirklich los. Die nächsten Tage wird man in diesem Rabbit Hole der hochfeinen Uhrmacherkunst verschwinden, tickende Preziosen betrachten, betasten, besprechen, alte Bekannte wiedertreffen, viele neue kennenlernen. Was uns zur ersten Beobachtung bringt:

1. Die Messe lebt. Noch nie seit dem Bestehen der Watches & Wonders, die aus dem kleinen, höchst exklusiven Genfer Uhrensalon hervorgegangen ist, gab es so viele Besucherinnen und Besucher. 43.000 (2022: 22.000) aus 125 Nationen waren es während der gesamten Woche (27.3. bis 2.4.2023). 5.400 Händler waren vor Ort, 1.400 Journalisten, Influencer, Blogger. Mit 1,8 Millionen Posts unter dem Hashtag "watchesandwonders" in den sozialen Medien und einer geschätzten Reichweite von über 600 Millionen wurden auch in diesem Bereich alle Erwartungen übertroffen und neue Rekorde aufgestellt, frohlockt man bei den Veranstaltern. Mit mehr als 8.000 Terminen bestätigen die Einzelhändler die unverminderte Attraktivität der Uhrmacherei auf allen Märkten, insbesondere in Europa, das allein 70 Prozent der Besucherinnen und Besucher ausmachte.

43.000 Menschen aus 125 Nationen besuchten während der gesamten Woche die Watches & Wonders in Genf.
Foto: APA/AFP/FABRICE COFFRINI

Wer also am Sinn des Konzepts Messe zweifelte, wird hiermit eines Besseren belehrt. Die Schau fand parallel zwar auch digital statt, aber, das hat die Erfahrung während des Corona bedingten Ausfalls gezeigt: Es macht schon einen gewaltigen Unterschied, ob man eine Uhr nur auf dem Bildschirm oder sie in natura zu Gesicht bekommt. Zumal man sicher sein kann, dass man einen Großteil der gezeigten, meist limitierten Modelle nie wieder in Händen halten wird.

2. Genf ist endgültig das neue Basel. Einen Rekord stellte auch die Anzahl der Aussteller dar. 48 waren heuer. So viele wie nie zuvor. Der französische LVMH-Konzern war ebenso mit den drei Manufakturen Hublot, Tag Heuer und Zenith vertreten wie die elf Marken des Schweizer Luxusriesen Richemont, darunter Cartier, Montblanc, IWC und Vacheron Constantin. Aber auch unabhängige Familienunternehmen wie Patek Philippe, Chopard und Hermès. Und natürlich die weltweit größte Luxusuhrenmarke Rolex. Sie alle strebten danach, in den riesigen Veranstaltungshallen der Palexpo ihre Paläste aufschlagen zu können, nachdem die einst größte Uhrenmesse der Welt, die Baselworld, 2020 das Zeitliche segnete.

48 Marken waren heuer vertreten – so viele wie nie zuvor.
Foto: APA/AFP/FABRICE COFFRINI

Ganz friktionsfrei schien es im Vorfeld der Watches & Wonders aber auch nicht zugegangen zu sein. Um die Verhältnisse den neuen Gegebenheiten anzupassen, wurde daher letztes Jahr flugs eine eigene Stiftung gegründet, womit Richemont, dessen Baby Genf einst war, den Lead verlor. Mehr Mitspracherecht war das Ziel. Jean-Frédéric Dufour übernahm die Präsidentschaft dieser Watches & Wonders Geneva Foundation. Was als durchaus symbolträchtig zu sehen ist, handelt es sich bei Herrn Dufour doch um den CEO von Rolex.

Trotzdem: Viele, die mitmachen wollten, scheinen nicht zum Zug gekommen zu sein, einige, die zwar letztes Jahr dabei waren, bekamen nicht den gewünschten Platz. H. Moser & Cie zum Beispiel zog es vor, temporär bei Bucherer-Boutique in der Genfer Innenstadt seine Zelte aufzuschlagen. Sinngemäß meinte Moser-CEO Edouard Meylan in einem Gespräch mit dem STANDARD, die Millionen für den Messestand könne man auch sinnvoller einsetzen.

3. Die Uhrenbranche ist krisenresistent. Kaum hatte das neue Jahr begonnen, kamen auch schon die ersten Jubelmeldungen: 2022 kletterten die Schweizer Uhrenexporte um satte elf Prozent auf 24,8 Mrd. Franken (24,8 Mrd. Euro), hieß es ganz offiziell von den eidgenössischen Behörden. Selbst der kleine Knick am Beginn des Jahres 2023 scheint schon wieder ausgebügelt. Die Nachfrage bleibt hoch, hörte man auf der Messe allerorten. Die Marken bedienen dies, indem sie vor allem etablierte Modelle mit langer Historie in neuen Variationen auf den Markt bringen, indem sie aber auch das Angebot verknappen, während Influencer und Markenbotschafter in sozialen Medien den Hype weiter befeuern. Dazu kann man nur gratulieren. Zumal es der Industrie gelungen ist, ein Produkt, das, so ehrlich muss man auch als Aficionado sein, niemand wirklich braucht, so emotional aufzuladen, dass manche dabei ihren Kontostand vergessen. Denn eines hat sich auch gezeigt:

4. Die Uhren werden teurer. Schon wieder. Bereits in den Monaten vor der Watches & Wonders stöhnten Einzelhändler wie Kunden über eine Teuerungswelle. Allein Rolex, berichtet das "Manager Magazin", hatte 2022 die Preise zweimal um insgesamt rund 15 Prozent angehoben, andere Marken folgten diesem Beispiel.

Beispiel für eine noch einigermaßen erschwingliche Uhr: Highlife Ladies Automatic Sparkling von Frederique Constant. Das Modell schlägt sich mit 3.595 Euro zu Buche.
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So war es wenig überraschend, dass man auf der Messe kaum eine schlichte Dreizeigeruhr aus Edelstahl oder Titan unter 5.000 Euro ans Handgelenk bekam. Ausnahmen von dieser Regel waren bei dem Messeneuling Frederique Constant, Tudor, Oris, Baume & Mercier oder Tag Heuer zu finden. Goldmodelle oder solche aus Hightechmaterialien wie Carbon werden mit mindestens fünfstelligen Beträgen bepreist. Das liegt auch daran, dass die Kosten für Edelmetalle stark angestiegen sind. Außerdem gilt die Faustregel: Je komplizierter, desto teurer ist die Uhr.

5. Chronografen, überall Chronografen. Dabei stand heuer mit dem Chronografen eine besonders beliebte Komplikation im Mittelpunkt. Rolex präsentierte anlässlich des 60. Jubiläums der legendären Daytona neue Versionen des Stoppers. 1963 war auch das Geburtsjahr der Tag Heuer Carrera, der man zum 60er ein frisches Outfit und ein neues, hauseigenes Chronografenkaliber verpasst hat. 39 Millimeter misst der Stahlchronograf nun, das ikonische Zifferblatt überspannt jetzt eine Glasbox aus Saphirglas, wodurch die Lünette, auf der sich die Tachymeter-Skala befindet, schlanker wirkt.

Noch ein neuer Chrono: Jaeger-LeCoultre hat bei der Reverso Tribute Chronograph das Chronografenwerk mit Handaufzug in eine rechteckige Form gebracht.
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Grand Seiko brachte den Tentagraph mit. In ihm tickt das erste mechanische Chronografenwerk der Marke, das High-Beat-Kaliber 9SA5. Dank einer energieeffizienten Hemmung und der zwei Federhäuser läuft die Uhr drei Tage lang, auch wenn der Chronograf in Betrieb ist, worauf die Japaner besonders stolz sind. Freude herrschte auch bei A. Lange & Söhne. Denn die deutsche Uhrenmanufaktur erweitert seine Odysseus-Linie um einen Chronografen. Nichts Außergewöhnliches, könnte man meinen, aber es ist das erste automatische Chronografenwerk der Marke. Mit einem Gehäusedurchmesser von 42,5 Millimeter gehörte der Edelstahlticker bereits zu den größeren Exemplaren, die man auf der Watches & Wonders zu sehen bekam. Denn:

6. Die Uhren werden kleiner – und bunter. Vorbei sind die Zeiten des Maximalismus bei den Gehäusen, der Trend geht eindeutig hin zum Downsizing. Wobei 40 Millimeter die magische Grenze zu sein scheint, die kaum ein Hersteller überschreiten möchte, aber auch Ührchen mit 25 Millimeter Durchmesser waren zu sehen. Während das Dreizeigermodell der Carrera von Tag Heuer zum Beispiel schlanke 36 Millimeter misst, kommt die Pro Pilot X Kermit Edition von Oris auf 39 Millimeter. Auf ihr grüßt Kermit aus dem Datumsfenster, das Zifferblatt ist entsprechend in Froschgrün gehalten. Die Titanuhr ist somit auch ein Beleg für die Beobachtung, dass die Uhrenhersteller den Farbtopf für sich entdeckt haben.

Sieht aus wie eine Süßigkeit: Die Lili Candy von Beauregard. Für den Zuckerleffekt hat man bei der 33-Millimeter-Uhr unter anderem Opale, Topase und Amethysten verarbeitet.
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Hublot zum Beispiel ließ sich vom japanischen Künstler Takashi Murakami lächelnde Edelsteinblüten in allen Farben des Regenbogens auf das Zifferblatt der Classic Fusion zaubern, Patek Philippe verpasste der eleganten 35-Millimeter-Calatrava ein violettes Outfit, und über das Ziffernblatt der Lili Candy von Beauregard möchte man gleich drüberlecken, sieht es doch aus wie ein klassischer Schlecker vom Jahrmarkt.

Eine bunte Oyster Perpetual Day-Date 36 lieferte Rolex.

Für das meiste Gerede sorgten in diesem Zusammenhang die bunten Modelle von Rolex, allen voran eine Day-Date 36 mit bunten Emaille-Puzzleteilen auf dem Ziffernblatt und Emojis im Datumsfenster.

7. Secondhand bleibt heiß. Bleiben wir gleich bei Rolex, um die letzte Beobachtung zu untermauern. Kaum hatte die Marke bekanntgegeben, dass sie die 1953 eingeführte Milgauss-Linie nicht weiterführen werde, schnellte der Traffic wegen der Suchanfragen nach dem Modell bei Chrono24, dem weltweitgrößten Uhrenmarktplatz, auf 681 Prozent hinauf. Man konnte in Echtzeit beobachten, wie hier ein Sammlerstück geboren wurde, das dem Secondhanduhrenmarkt einen weiteren Auftrieb bescheren wird. Rolex selbst hatte schon Ende letzten Jahres ein eigenes Certified-Pre-Owned-(CPO-)Programm ins Leben gerufen, um diesem Geschäft eigene Regeln aufzuerlegen. Ein Modell, das immer mehr Nachahmer findet. Just zur Watches & Wonders verkündete Cartier, das wertvollste Pferd im Stall des Richemont-Konzerns, ebenfalls mit einem CPO-Modell zu starten. Partner dafür ist der Gebrauchtuhrenspezialist Watchfinder, der praktischerweise ebenfalls zu Richemont gehört. Die Plattform wird in Zukunft für die Verifizierungs- und Authentifizierungsprozesse einer gebrauchten Cartier-Uhr verantwortlich sein. Kundinnen und Kunden wird eine zweijährige Garantie gewährt. (Markus Böhm, 5.4.2023)