Als Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron im November 2019 die Nato als "hirntot" bezeichnete, saß Donald Trump im Weißen Haus. Das US-europäische Verhältnis war zerrüttet und das westliche Verteidigungsbündnis ohne klare Mission. Heute ist die Allianz lebendiger denn je.

Neuzugang beim Atlantikbündnis: Finnlands Flagge wird vor dem Nato-Hauptquartier in Brüssel gehisst.
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Mit Joe Biden wurde ein überzeugter Atlantiker zum US-Präsidenten gewählt, der die Reaktion der Nato auf den russischen Überfall auf die Ukraine mit großem Erfolg orchestriert. In Europas Hauptstädten herrscht heute weitgehend Einigkeit darüber, dass für die Sicherheit auf dem Kontinent das Bündnis mit den USA unverzichtbar ist und die Nato dafür dringend benötigt wird.

Die Aufnahme Finnlands stärkt das Bündnis nun auf mehrfache Weise. Das 31. Mitglied bringt militärische Kapazitäten mit, die jene größerer Staaten übertreffen, eine 1.344 Kilometer lange Landgrenze mit Russland und eine geografische Lage, die die strategische Lücke zwischen dem Baltikum und Skandinavien schließt. Wenn Wladimir Putin mit seinem Angriffskrieg die Nato schwächen wollte, so hat er das Gegenteil erreicht.

Wertvoller Partner

Dass Schweden mit dem Beitritt warten muss, weil die beiden Autokraten Tayyip Erdoğan und Viktor Orbán noch innenpolitisches Kleingeld zu wechseln haben, schmälert die politische Bilanz der Erweiterung, militärisch aber ist Finnland der wertvollere Partner, vergleichbar mit Polen, das 1999 beitrat. Die diffusen Drohungen, die nun aus Moskau kommen, dürften leeres Gerede bleiben. Russland verbrennt gerade seine militärischen Kapazitäten in der Ukraine und kann der Nato kaum etwas entgegensetzen.

Aber die dramatische Wiederbelebung der Allianz darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Probleme, die Macron damals bewegten, nicht gelöst sind. Im Gegenteil: Gerade weil die Nato heute wieder so sehr gebraucht wird wie auf dem Höhepunkt des Kalten Kriegs, sind ihre Schwächen umso bedrohlicher. Europas Sicherheit liegt in den Händen eines Bündnispartners, dessen Bereitschaft, Weltpolizist zu spielen, immer weiter sinkt. Es muss gar nicht Trump sein: Der Wahlsieg eines Republikaners 2024 könnte eine neue Ära des Isolationismus einleiten. Auch sein derzeit stärkster Gegenspieler Ron DeSantis lässt sich nur unter großem Druck zu Solidaritätsbekundungen für die Ukraine hinreißen. Und Biden hat mit seinem überstürzten Rückzug aus Afghanistan gezeigt, dass auch bei den Demokraten die Lust auf endlose militärische Engagements begrenzt ist. Die massive Hilfe für Kiew gegen Putins Armee ist eine wertvolle strategische Investition. Aber Europas Verteidigung wollen die USA langfristig nicht mehr bezahlen.

Nationale Rivalitäten überwinden

Umso wichtiger wäre es, wenn die Europäer angesichts der neuen Bedrohung aus dem Osten ihre nationalen Rivalitäten überwinden und ihre großen militärischen Kapazitäten so bündeln würden, dass sie auch ohne die USA Demokratie und Freiheit auf dem Kontinent verteidigen können. Das kann nur innerhalb der Nato geschehen, die keine Parallelinstitutionen benötigt. Aber deren europäische Säule muss endlich auch allein tragfähig werden.

Der Beitritt Finnlands ist ein kleiner Schritt in diese Richtung. Noch wichtiger wäre es, wenn Paris und Berlin im Gleichschritt marschierten, statt ständig außer Rhythmus zu geraten. Gerade weil es für die Nato so gut läuft, ist jetzt die Zeit für Weichenstellungen gekommen. (Eric Frey, 4.4.2023)