Eigentlich wollte sich Bürgermeister Andreas Babler in seiner Heimatstadt Traiskirchen treffen. Doch wenn ein Parteiurgestein einem die Unterstützung ausspricht, muss man flexibel sein und nach Wien pilgern. Ferdinand Lacina war Bruno Kreiskys Kabinettschef, Minister für öffentliche Wirtschaft und Verkehr unter Fred Sinowatz und Finanzminister für Franz Vranitzky. Jetzt setzt er sich für Babler im Rennen um den SPÖ-Vorsitz ein.

Andreas Babler will SPÖ-Chef werden, Ferdinand Lacina begleitet ihn auf dem Weg.
Foto: Heribert Corn

STANDARD: Herr Lacina, "Chaos" und "Kasperltheater" sind die Wörter, mit denen die SPÖ derzeit beschrieben wird. Was halten Sie von der Situation, in der sich Ihre Partei befindet?

Lacina: Es hat definitiv schon eine bessere Zeit gegeben. In den vergangenen Jahren hat Hans Peter Doskozil die Partei gespalten. Das hat Geduld erfordert. Am Ende haben sich Doskozil und Pamela Rendi-Wagner derart selbst beschädigt und damit auch die Partei, dass man nur hoffen kann, dass die Mitgliederbefragung glimpflich über die Bühne geht. Wenn ich mir das bisher Geschehene so ansehe, ist da aber Skepsis angebracht.

STANDARD: Die Angriffe kamen vor allem aus dem Burgenland.

Lacina: Nicht nur. Man muss sich als Parteichefin die Leute aussuchen, die die Qualität haben, dass man mit ihnen arbeitet. Und man muss einen Weg finden, um die Partei zu einen, auch wenn das schwierig ist. Wenn das zu schwierig ist, muss man härter durchgreifen und nicht gemeinsam bügeln – wie im burgenländischen Wahlkampf.

STANDARD: Unterstützen Sie deshalb Andreas Babler?

Lacina: Mir hat imponiert, dass Babler in einer Stadt Bürgermeister ist, die kein einfaches Schicksal hat. In der von außen willentlich versucht wird, Fremdenfeindlichkeit anzukurbeln. Mit einem derart überfüllten Flüchtlingszentrum, geflüchteten Kindern, die deshalb auf der Straße schlafen mussten. Dass es da gelingt, mit der SPÖ in Wahlen zu gewinnen, hat mich beeindruckt.

STANDARD: Auch Sie kritisieren das Spiel um die Mitgliederbefragung. Im Nachhinein wurden Hürden eingeführt, Sie werden als einer der drei aussichtsreichsten Kandidaten weiter hinten auf dem Stimmzettel gereiht. Will die SPÖ es Ihnen besonders schwer machen?

Babler: Diesen Eindruck kann man gewinnen. Jetzt gilt es, das Momentum zu nutzen. Es ist ein Zeitfenster aufgegangen, um sich die Partei zurückzuholen, Leidenschaft zu wecken, klare Positionierungen zu finden und Menschen mitzunehmen.

Bürgermeister Andreas Babler: "Wer glaubt, dass man es in der Stadt leichter hat als im Bund, der irrt."
Foto: Heribert Corn

STANDARD: Sie sind als Bürgermeister für eine Stadt mit 19.000 Einwohnern verantwortlich. Warum glauben Sie, als SPÖ-Chef und Kanzlerkandidat bestehen zu können?

Babler: Ich bin seit neun Jahren Bürgermeister, 28 Jahre im Gemeinderat. Noch länger in der SPÖ engagiert. Wer glaubt, dass man es in der Stadt leichter hat als im Bund, der irrt. Im Gegenteil, es ist noch viel schwieriger. Als Bürgermeister bin ich von Bund und Ländern abhängig, egal ob es darum geht, die Gehälter von Kinderbetreuerinnen anzuheben oder in der Flüchtlingsthematik etwas voranzubringen. Man wird ausgebremst.

STANDARD: Was würden Sie im Bereich Asyl und Migration ändern, wären Sie in Regierungsverantwortung?

Babler: Arbeits- und Wirtschaftsmigration muss von Flucht getrennt diskutiert und die Dimensionen benannt werden, um Ausländerhass aufzubrechen. Und Asyl soll aus der Sicherheitsdebatte gelöst werden.

STANDARD: Aber wie viele Flüchtlinge verträgt ein Land wie Österreich?

Babler: Vor der Wahl in Niederösterreich hat das Innenministerium das Aufnahmezentrum in Traiskirchen hochgehen lassen, obwohl andere Quartiere fertig waren. Es ging um 2500 Menschen, das war keine Ressourcenfrage, man wollte das Thema am Kochen halten. Ich lehne es ab, da als SPÖ mitzufischen und nach rechts zu blinken. Das hat noch nie funktioniert. Damit macht man die Rechten groß. Es bringt der österreichischen Arbeiterin oder dem Mindestpensionisten nichts, wenn ein Flüchtling abgeschoben, die Balkanroute für geschlossen erklärt wird oder man Menschen im Mittelmeer ertrinken lässt.

STANDARD: Blinkt Doskozil rechts?

Babler: Ich meine die SPÖ allgemein.

STANDARD: Wie weit sind Sie von der Politik Doskozils entfernt?

Babler: Wir werden uns in 80 Prozent der Überschriften treffen. Die Frage ist, was dahintersteht. Ich will mich aber nicht in den Streit von Rendi-Wagner und Doskozil einmischen und da nicht herumhacken.

Lacina: Wenn ich kurz herumhacken darf: Ich verstehe an Doskozils Politik nicht, dass Landesbedienstete im Burgenland einen gesetzlichen Mindestlohn bekommen, auf den viele in der Privatwirtschaft keine Chance haben. Damit wird eine kleine Gruppe privilegiert. Das ist eine Spaltung der Arbeiterschaft. Das ist nicht sozialdemokratisch. Ein gesetzlicher Mindestlohn ist abzulehnen. Den könnte eine schwarz-blaue Regierung etwa kippen, und die Gewerkschaften wären geschwächt.

"Ich verstehe an Doskozils Politik nicht, dass Landesbedienstete im Burgenland einen gesetzlichen Mindestlohn bekommen, auf den viele in der Privatwirtschaft keine Chance haben. Damit wird eine kleine Gruppe privilegiert. Das ist eine Spaltung der Arbeiterschaft", sagt Ferdinand Lacina.
Foto: Heribert Corn

STANDARD: Frauen verdienen ein Fünftel weniger als Männer. Sie fordern gleichen Lohn, sonst soll es saftige Strafen geben. Wie verpflichten Sie Unternehmen, Herr Babler?

Babler: Die Gehaltsunterschiede müssen endlich transparent gemacht werden. Und zwar gesetzlich. Sonst ändert sich da nichts.

STANDARD: Rendi-Wagner hat bei ihren Unterstützungserklärungen 100 Frauen hinter sich versammelt. Frauensprecherin Eva Maria Holzleitner erklärte, dass die SPÖ in puncto Gleichstellung noch nicht am Ende der Fahnenstange angekommen ist. Ist das Thema Nebensache in der SPÖ?

Babler: Es gibt ein großes Bewusstsein in meinem Umfeld. In meinem Wirken hat das Thema hohe Priorität. Der Kampf hat sich nicht verändert, seit wir in der SPÖ damals das Reißverschlusssystem beschlossen haben. Wir kämpfen Seite an Seite.

STANDARD: Unter Kreisky kam die erste Ministerin der SPÖ.

Lacina: Ja, und es kamen damals vier Staatssekretärinnen, die die Partei sehr schwer ertragen hat. Aber sie hat es ertragen. Und es kamen weitere.

STANDARD: In Ihrem Programm ist viel die Rede von Rechtsansprüchen, etwa in der Pflege – wie sollen all diese finanziert werden?

Babler: Es ist unmoralisch, wie ungerecht Vermögen verteilt wird. Die Konzepte für Vermögens- und Erbschaftssteuern sind fertig und liegen in der Lade. Ich werfe das auch der SPÖ vor, dass sie diese nicht nimmt.

STANDARD: Beides gab es schon. Herr Lacina hat die Vermögenssteuer als Finanzminister abgeschafft.

Lacina: Bei der Vermögenssteuer bin ich vorsichtig. Sie muss sehr klug gemacht werden. Die einstige Vermögenssteuer ist nur auf die Struktur der Unternehmen eingegangen, auch auf jene, die Verluste gemacht haben. Das muss man vermeiden. Einfach ist eine Erbschaftssteuer für sehr hohe Vermögen. Die Finanzierung ist immer eine Frage der Priorität: Wenn ich daran denke, was "Koste es, was es wolle" ausgelöst hat, was an Covid-Förderungen ausbezahlt wurde, wie viel an Reichtumsgewinnung in der Pandemie passiert ist. Plötzlich ist das Geld für Landesverteidigung, für Covid da – nur für soziale Forderungen nicht.

STANDARD: Die SPÖ ist von einer absoluten Mehrheit weit entfernt. Sind Sie bereit, in Koalitionsverhandlungen Kompromisse einzugehen?

Babler: Verhandlungen sind sicher nicht einfach, aber man muss nicht gleich mit Kompromissen reingehen. Das war unser Problem der letzten Jahre. Wenn wir einen Neustart gut hinbekommen, können wir stärker werden. Da kann es viele Überraschungen geben.

STANDARD: Herr Lacina, Sie wissen, wie kompromissfähig man sein muss in einer Koalition. Holen Sie Babler wieder in die Realität zurück?

Lacina: Ohne Kompromisse geht es sicherlich nicht. Aber: Wir haben etwa gegen ÖVP, Industriellenvereinigung und Wirtschaftskammer eine Besteuerung der Zinsen von Spareinlagen durchgesetzt.

"Hände soll man sich nie abhacken", findet Ferdinand Lacina.
Foto: Heribert Corn

STANDARD: Sven Hergovich wollte sich in Niederösterreich die Hände abhacken, bevor er von seinen Forderungen abgeht. Ist es das Wichtigste, Schwarz-Blau zu verhindern, oder muss man auf dem eigenen Standpunkt beharren?

Lacina: Hände soll man sich nie abhacken.

Babler: Die ÖVP ist heute eine andere als zu Ferdinands Zeiten – besonders in der Radikalität des Sozialabbaus. Da ist es auch schwierig, Kompromisse zu verhandeln. Im Diskurs wird laviert, mit der Kickl-FPÖ nicht oder der FPÖ überhaupt. Es braucht eine klare Linie. Der Anspruch muss sein, Flagge zu bekennen.

STANDARD: Ein Kandidat sagt, er ist der Einzige, der Schwarz-Blau verhindern kann.

Babler: Sie meinen mich?

STANDARD: Hans Peter Doskozil.

Lacina: Er hat ja Erfahrung mit Rot-Blau.

STANDARD: Sie aber auch.

Lacina: Ich habe damals an einer Regierung teilgenommen, bei der der Versuch da war, eine liberale Partei aus der FPÖ zu machen. Sobald das aus war und Jörg Haider kam, war es auch aus mit der Regierung. Die FPÖ von damals war eine andere als die, die wir heute treffen.

STANDARD: Ex-Kanzler Vranitzky hat damals die Doktrin ausgegeben: Keine Koalition mit der FPÖ. Sie wurde unter Rendi-Wagner aufgeweicht. Muss die SPÖ sich klar gegen die FPÖ aussprechen?

Lacina: Mit einer Partei unter Kickl, Strache, Hofer oder eben Haider ist eine Zusammenarbeit nicht möglich.

STANDARD: Mit der ÖVP wollen Sie auch nicht. Bleibt dann nicht wenig über?

Babler: Wenige SPÖ-Mitglieder haben nach 37 Jahren Regierungsbeteiligung der ÖVP Interesse daran. Die ÖVP hat sich radikalisiert – nicht nur in Bezug auf Ausländer, sondern überhaupt in ihrem Menschenbild. Sie zerschlägt alles, das nicht den Interessen ihrer Großspender dient.

Lacina: Nicht nur die FPÖ, sondern auch die ÖVP stellt die Europäische Menschenrechtskonvention infrage. Da habe ich große Schwierigkeiten. Eine Koalition mit der ÖVP mit August Wöginger oder auch dem jetzigen Kanzler Karl Nehammer kann ich mir schwer vorstellen.

Andreas Babler zu einer Koalition mit der ÖVP: "Wenige SPÖ-Mitglieder haben nach 37 Jahren Regierungsbeteiligung der ÖVP Interesse daran."
Foto: Heribert Corn

STANDARD: Welche Rolle soll Christian Kern spielen, würden Sie Parteichef und Spitzenkandidat?

Babler: Man muss ihn fragen, was er will – das ist das große Rätsel der letzten Wochen. Er hat Expertise in den Bereichen Energie und Verkehr. Ich werde mit allen reden, die etwas Positives beitragen wollen.

Lacina: Nicht jeder, der etwas kann, will in einer Regierung sein.

STANDARD: Wenn die Mitgliederbefragung nicht so ausgeht, wie Sie es sich wünschen: Akzeptieren Sie das?

Babler: Das ist die Grundbedingung.

Lacina: Auch Anton Benya war kein besonderer Freund von Bruno Kreisky. Sie haben einen Weg gefunden: Benya als Nationalratspräsident, Kreisky Kanzler. Es geht, wenn man die Sache vor die Person stellt. Ich verstehe es nicht, dass der Abgeordnete Max Lercher sagt: Wenn Doskozil nicht gewählt wird, könnt ihr mich vergessen. Da hätte ich schon oft aus der Partei austreten müssen.

STANDARD: Können Sie sich eine solche Zusammenarbeit mit Rendi-Wagner oder Doskozil vorstellen?

Babler: Darüber unterhalte ich mich dann, wenn es so ist – mit den Betroffenen. (Oona Kroisleitner, Jan Michael Marchart, 6.4.2023)