Tages- und Nachtcremes, Botox, Gesichtshautstraffung, Hyaloronsäure in allen Varianten – wer es sich leisten kann und Wert darauf legt, dem bietet die Kosmetikindustrie bereits eine breite Palette an Möglichkeiten, den körperlichen Verfallsprozess zumindest äußerlich zu verlangsamen. Am Weg, den jeder von uns beschreitet, ändert das freilich wenig: Spätestens nach dem 30. Geburtstag geht es physiologisch bergab, und ab dem 50er muss man sich der Tatsache stellen, dass man mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr so lange leben wird, wie man bereits gelebt hat.

Daran konnte bisher auch die moderne Forschung wenig ändern. Nach wie vor gilt Benjamin Franklins Zitat "Nichts in dieser Welt ist sicher, außer dem Tod und den Steuern." Am Mangel an wissenschaftlichem Ehrgeiz, dem Tod ein Schnippchen zu schlagen, liegt es nicht. Auf zellulärer und molekularer Ebene konnten Fachleute in den vergangenen Jahrzehnten zahlreichen Faktoren auf die Spur kommen, die zum komplexen Alterungsprozess beitragen.

Gesund und einigermaßen beschwerdefrei älter werden wollen wir alle. Wo die Obergrenze für das menschliche Lebensalter liegt, darüber gehen die Meinungen der Fachleute auseinander.
Foto: Getty Images/iStockphoto

Physiologie des Alterns

Eine entscheidende Rolle spielt dabei der sogenannte Telomerverschleiß. Als Telomere bezeichnet man Schutzkappen an den Enden der Chromosomen. Mit jeder Zellteilung verkürzen sich diese aus DNA und Proteinen bestehenden Enden, bis nicht mehr genug davon übrig ist, die zelleigenen Reparatursysteme versagen und die betroffenen Zellen ihre Teilung einstellen. Diese gleichsam vergreisten Zellen können zu lokalen Entzündungen führen und das Gewebe schädigen.

Doch das ist nur ein Teil der Ursachen für das physiologische Altern – und nicht einmal der wichtigste: Umwelteinflüsse wie Luftverschmutzung, Sonneneinstrahlung, unausgewogene Ernährung, Krankheiten oder psychische Belastungen bestimmen wahrscheinlich sogar deutlich mehr, wie lange ein Mensch lebt. Forschende gehen heute davon aus, dass die Gene insgesamt nur zu rund einem Viertel dafür verantwortlich sind, wie viel Lebenszeit uns letztendlich bleibt.

Verdoppelte Lebenszeit

Einen Beleg dafür liefert der Blick zurück: Den medizinischen Fortschritten, vor allem aber höheren Standards bei Hygiene und Ernährung ist es zu verdanken, dass sich die Lebenserwartung in den vergangenen 150 Jahren etwa verdoppelt hat. Ob sich dieser Aufwärtstrend auch weiterhin fortsetzt, darüber wird in der Fachwelt heute lebhaft diskutiert.

Entwicklung der Lebenserwartung
Grafik: STANDARD, APA, red

Eine in der vergangenen Woche präsentierte statistische Studie hält das sogar für wahrscheinlich. Noch gilt Jeanne Calment als offizielle Altersrekordhalterin. Die Südfranzösin aus Arle starb 1997 im Alter von 122 Jahren. Ein US-Forschungsteam rechnete im Fachjournal "Plos One" nun vor, dass Calment womöglich schon bald vom Spitzenplatz verdrängt wird. Mehr noch: Falls es eine Höchstgrenze für die menschliche Lebenserwartung gibt, sei diese derzeit noch nicht annähernd erreicht.

Für ihre Arbeit haben Davis McCarthy und Po-Lin Wang historische und aktuelle Daten über Menschen im Alter von 50 bis 100 Jahren in 19 Industrieländern miteinander verglichen. Im Zentrum ihrer Studie stand die Frage, ob der kontinuierliche Anstieg der Durchschnittslebenserwartung inzwischen ein Plateau erreicht hat. Dies wäre ein starkes Indiz dafür, dass sich die Lebenserwartung einer Höchstgrenze nähert.

Statistik vs. Biologie

Die Ergebnisse sprechen jedenfalls dagegen, so die Forscher: Die statistischen Analysen ergaben, dass jene Jahrgänge, die am stärksten von Verbesserungen der Lebensbedingungen profitierten, erst jetzt in ein hohes Alter kommen. Damit sollten zumindest rein rechnerisch einige Menschen, die vor 1950 geboren wurden, in den kommenden Jahrzehnten neue Rekorde bei der Lebenserwartung aufstellen können. "Wir stellen fest, dass die Jahrgänge, die zwischen 1900 und 1950 geboren wurden, einen historisch beispiellosen Aufschub der Sterblichkeit erleben", schrieben die Forscher.

Während hier Statistiker am Werk waren, sehen Biologen die Entwicklung der Lebenserwartung nicht ganz so optimistisch. Eine unbegrenzte Verlängerung der maximalen Lebensjahre sei nach weitgehend übereinstimmender Ansicht unwahrscheinlich. Die meisten Fachleute sehen die biologische Grenze daher bei etwa 115 Jahren, mit einigen wenigen Ausreißern nach oben. Aber auch unter Naturwissenschaftern herrscht in dieser Frage keineswegs Einigkeit: Israelische Molekularbiologen kamen 2017 zu dem Schluss, dass Veränderungen der Ernährung, gentechnische Eingriffe und medikamentöse Behandlungen die maximale Lebensspanne künftig um bis zu 30 Prozent steigern werden.

Video: Raymond Kurzweil über die baldige Singularität, Superintelligenz und Unsterblichkeit.
Lex Fridman

Futuristische Aussichten

Noch viel fantastischer hören sich die jüngsten Prognosen des Autors und Futuristen Raymond Kurzweil an. Der US-Amerikaner war Leiter der technischen Entwicklung bei Google LLC und arbeitete dort unter anderem an der menschlichen Unsterblichkeit mittels Technologie. Seiner Mitte März geäußerten Einschätzung nach wird die Menschheit bereits in weniger als zehn Jahren den Schlüssel zur Unsterblichkeit in Händen halten. Ob wir das tatsächlich auch wollen, steht auf einem ganz anderen Blatt, schon ein überdurchschnittlich hohes Alter ist nicht für jeden oder jede etwas: Wie eine Studie aus dem Jahr 2019 zeigte, würden es mehr als ein Drittel der österreichischen Bevölkerung ablehnen, 150 Jahre alt zu werden. (Thomas Bergmayr, 10.4.2023)