"Unscharf mit Katze" heißt das erste Lied auf dem neuen Element-of-Crime-Album. Es vereint zehn Songs im typisch verschrammelt-melancholischen Sound der Berliner Band.

Charlotte Golterman

Sven Regener spielt auf vielen Hochzeiten. Seit beinahe 40 Jahren ist er Sänger, Gitarrist und Trompeter bei der deutschen Folkrock-Band Element of Crime, mit den Büchern rund um Herrn Lehmann landete er gleich mehrere Bestseller, er arbeitet für das Theater und tourt nebenbei mit seinem eigenen Jazz-Projekt durch die Lande. Jetzt erscheint das 15. Studioalbum von Element of Crime. Morgens um vier heißt es, und es vereint zehn Songs im typisch verschrammelt-melancholischen Element-of-Crime-Sound. Die Videofassung dieses StandArt-Gesprächs finden Sie hier.

STANDARD: Im ersten Song Ihres neuen Albums gibt es die Liedzeile "Wir haben keine Lösung, wir haben Lieder". Misstrauen Sie Menschen, die Antworten auf alles haben?

Regener: Man sollte diesen Satz nicht überbewerten, aber ich sehe ihn als Antwort auf die Forderung, dass Künstler für alle möglichen politischen Inhalte Lösungen parat haben. Das ist Quark, warum sollten Künstler sonderlich viel schlauer sein als andere Menschen? Die Aufgabe der Kunst ist nicht, Hilfstruppe politischer Anliegen zu sein.

STANDARD: Sie sind aber ein durchaus politischer Mensch.

Regener: Und eben deswegen bin ich nicht dafür, in der Politik zu singen. Es will auch kein Mensch Protestsongs hören.

STANDARD: Es gibt Musiker, die das anders sehen, von Campino von den Toten Hosen bis zu Bono von U2.

Regener: Jeder Mensch hat das Recht, als politischer Mensch seine Meinung zu äußern. Aber aus dem Umstand, dass Campino bei den Toten Hosen singt, ergibt sich keine spezielle politische Kompetenz. Dasselbe gilt für Bono. Ich würde davon abraten, Kunst und Politik zu vermischen.

STANDARD: Wie wählen Sie Ihr politisches Engagement aus? Vor ein paar Tagen etwa sind Sie mit Element of Crime bei einer Klimademo in Berlin aufgetreten.

Regener: Ich glaube nicht an diese Prominenzgeschichte. Den Auftritt bei der Klimademo fanden wir einfach richtig. Es ist wahrscheinlich auch der kleinste gemeinsame Nenner bei uns in der Band. Wir sind keine politische Aktivistengruppe, wir machen Lieder. Das Mal davor, dass wir bei einer Demo gespielt haben, war Anfang der Neunzigerjahre, als in Deutschland so viele Asylbewerberheime brannten.

STANDARD: In Ihrer Jugend waren Sie Mitglied beim Kommunistischen Bund Westdeutschland. Damals hatten Sie wahrscheinlich auf die meisten Fragen Antworten. Wie blicken Sie heute auf diese Zeit zurück?

Regener: Die K-Gruppen der 70er-Jahre waren ein arger Anachronismus, man kann sich das heute nicht mehr so richtig vorstellen. Ich bin mit 19 ausgetreten. Gott sei Dank haben wir niemandem etwas Böses getan, man möchte sich nicht wünschen, dass die Revolution, die wir angepeilt haben, gelungen wäre.

STANDARD: Sie gründeten in den 1980ern Element of Crime und wurden bald mit Liebesliedern bekannt. War diese Hinwendung zu poetischer Musik eine Gegenreaktion auf die hochpolitische Zeit ihrer Jugend?

Regener: Nein. Das war einfach gespeist aus einer tiefen Liebe zu Musik und Literatur.

STANDARD: Auch Ihr Romanheld Herr Lehmann, mit dem Sie zum Bestsellerautor wurden, ist alles andere als eine politische Figur ...

Regener: Herr Lehmann ist nicht apolitisch, aber er hat andere Sorgen. Seine Eltern kommen zu Besuch, er ist verliebt, sein bester Freund wird verrückt, und am Ende fällt auch noch die Mauer.

STANDARD: "Herr Lehmann" fängt morgens um vier an. Das neue Element-of-Crime-Album trägt genau diesen Titel. Was verbinden Sie mit dieser Uhrzeit?

Regener: Es ist die einzige Zeitspanne des Tages, in der eine Stadt innehält, die letzte Straßenbahn ist gefahren, die erste kommt erst. Wenn man da aufwacht, ist man allein, auch mit seinen Gedanken. Solch ein Moment ergibt guten Stoff für Songs, vor allem für solche, wie sie bei Element of Crime vorkommen. Wir machen ja zuerst immer die Musik und dann erst den Text.

STANDARD: Der Musik von Element of Crime wird gerne als traurig-melancholisch beschrieben. Wie gehen Sie mit diesem Etikett um? Sie weisen ja immer wieder auf den Humor hin, der in Ihrer Musik liegt.

Regener: Musik kann keinen Humor haben. Aber in Texten kann man mit Humor arbeiten, etwa die starke gefühlsmäßige Aufladung eines Songs mit Humor durchbrechen.

STANDARD: Wie viel Humor steckt im neuen Album?

Regener: Zehn bis zwölf Prozent werden es schon sein. Das ist sehr viel, Humor ist in der Musik selbst keine wichtige Kategorie. Man kann musikalische Witze machen, die sind meist allegorischen Charakters und fast immer schlecht. Das ist unsere Sache nicht. Auch in den Texten liegt der Humor ansonsten in den Augen des Betrachters. Man möchte nur hoffen, dass kein unfreiwilliger dabei ist.

STANDARD: Wie kann man sich das Verhältnis zwischen dem Musiker Regener und dem Literaten Regener vorstellen?

Regener: Sie sind Freunde, aber keine Kollegen. Musik macht man immer. Es ist kein Problem, mit Element of Crime auf Tournee zu gehen, während ich an einem neuen Roman arbeite. Aber Songs kann ich keine schreiben, während ich an einem Roman arbeite. Mein Gehirn ist dann mit zu vielen Figuren beschäftigt. Umgekehrt genauso!

STANDARD: Schreiben Sie derzeit an einem neuen Herr-Lehmann-Band?

Regener: Nein, wir bringen jetzt die Platte heraus, es ist wichtig, sich im Leben ein bisschen Platz zu schaffen, bevor man mit einer neuen Sache anfängt. Ein Roman muss mit einer guten, tragfähigen Idee beginnen. Da ist es erst einmal gut, etwas länger darüber nachzudenken.

STANDARD: Das neue Element-of-Crime-Album klingt wieder sehr vertraut. Wenn Sie sich einmal ganz anders ausdrücken wollen, wechseln Sie dann das Genre? Sie arbeiten auch fürs Theater, haben Jazzalben gemacht.

Regener: Ich habe noch nie Kunst gemacht, um mich auszudrücken. Es geht nicht um mich. Wenn ich der Welt von Sven Regener erzählen will, dann stelle ich mich aufs Dach und schreie mit dem Megafon runter, so wie andere Verrückte.

STANDARD: Die Frage ist, wie das eine Genre mit dem anderen zusammenhängt.

Regener: Es gibt keinen Zusammenhang, außer meine Person. Ich nehme das eine nicht für das andere in Geiselhaft. Ich sage nicht, geht ins Thalia-Theater, weil da der Sänger von Element of Crime ein Theaterstück geschrieben hat. Nein, das ist ein Stück von Sven Regener und Leander Haußmann, entweder man interessiert sich dafür oder nicht. Dass Haußmann die neue Single Unscharf mit Katze in der Inszenierung verwendet, wollte ich ihm noch verbieten, aber er hat es halt getan. Ich mache das alles jedenfalls nicht, um mich als Person darzustellen.

STANDARD: Gar kein Verständnis für die Neugierde der Öffentlichkeit an Ihnen als Person?

Regener: Ja, aber da kommt nichts dabei heraus. Ich erkläre mich nicht selbst.

STANDARD: Dann reden wir über das neue Album, das wieder viele Liebeslieder enthält. Warum?

Regener: Weil Sie mit Liebesliedern alles erzählen können. Was immer Sie sonst noch an Geschichten loswerden wollen, können Sie da Huckepack nehmen. Cole Porter hat auch nur Liebeslieder geschrieben, aber alle seine Songs hatten mehrere Ebenen. Und genau das ist wichtig bei einem guten Song.

STANDARD: Was macht ein gutes Liebeslied aus?

Regener: Das weiß ich nicht, ich kann da kein Rezept anbieten.

(Stephan Hilpold, 9.4.2023)