Klimaschutzministerin Leonore Gewessler und Heinz Hackl wollen das Flächenrecycling in Österreich vorantreiben.

Foto: Heribert Corn

Allzu oft wird bei Bauprojekten in Österreich die "grüne Wiese" einer schon einmal bebauten, aber brachliegenden Fläche vorgezogen. Um das sogenannte Flächenrecycling bekannter zu machen und ihm einen Schub zu verleihen, rief Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (Grüne) im Vorjahr den "Brachflächendialog" ins Leben, außerdem wurden aus den Mitteln des EU-Wiederaufbaufonds bis 2026 acht Millionen Euro für die Förderung von Flächenrecycling bereitgestellt.

Im vergangenen November fand der erste "Brachflächengipfel" statt, hier wurde auch erstmals der "Erdreich-Preis" für besonders vorbildliche Projekte verliehen. Den Preis wird es nun jährlich geben, denn Best-Practice-Projekte herzuzeigen sei extrem wichtig, sagt die Ministerin im gemeinsamen Gespräch mit Heinz Hackl von der Initiative Bauen ohne Boden. Auch diese Initiative will das Flächenrecycling vorantreiben und hier nun auch stärker mit dem Klimaschutzministerium zusammenarbeiten – so kam das folgende Gespräch mit dem STANDARD zustande.

STANDARD: Frau Ministerin, vor ziemlich genau einem Jahr hat Ihr Haus die Richtlinien für die Förderung zum Flächenrecycling herausgegeben. Zwei Vergabesitzungen fanden bereits statt, Anfang Mai ist die nächste. Acht Millionen Euro stehen dafür bis 2026 zur Verfügung – wie viel ist davon schon vergeben?

Gewessler: Es sind schon erste innovative Projekte in der Höhe von 700.000 Euro realisiert worden. Wir haben uns sehr dafür ins Zeug gelegt, dass es diese Förderung gibt. Boden und Bodenschutz sind zentrale Fragen, Boden ist unsere Lebensgrundlage im wörtlichen Sinn, Erholungsraum, Fläche, Nahrungsmittelproduktion – und für Biodiversität, aber auch für den Klimaschutz ein wichtiger Verbündeter, denn Boden ist auch Kohlenstoffspeicher. Leider sind wir beim Flächenverbrauch trauriges europäisches Schlusslicht, mehr als elf Hektar werden in Österreich täglich in Anspruch genommen und intensiv genutzt, vieles davon auch versiegelt. Das muss sich ändern. Deshalb haben wir den Brachflächendialog ins Leben gerufen, hier ist das Klimaschutzministerium das Kompetenzzentrum. Mit dem Erdreich-Preis wollen wir jedes Jahr vorbildliche Projekte vor den Vorhang holen.

STANDARD: Man hat den Eindruck, es gibt viele Gemeinden, die das Thema sehr ernst nehmen, aber das Gros ist das noch nicht. Wie schafft man es, dass möglichst viele Gemeinden an Bord sind?

Hackl: Ja, Sie haben recht. Die Bürgermeister brauchen sicher teilweise Coachings, um überhaupt auf das Potenzial aufmerksam zu werden. Aber erst kürzlich habe ich gelesen, dass gerade mehrere Lagerhaustürme, etwa in Bernhardsthal, revitalisiert werden. Solche Projekte sollte es noch viel mehr geben.

Gewessler: Über den Erdreich-Preis schaffen wir die Vernetzung mit den Bundesländern und zeigen ihnen mit den Positivbeispielen, dass es geht. Das sind gute und attraktive Projekte, die wir da im November ausgezeichnet haben, und den Preis wird es nun jedes Jahr geben. Wir arbeiten aber auch intensiv mit den Bundesländern zusammen, um überhaupt einmal den Status quo zu erheben, also was es an ungenutzten Flächen gibt. Oberösterreich ist da schon weiter, Niederösterreich zieht jetzt nach, insgesamt ist das bisher aber sehr unstrukturiert erhoben worden. Doch das Thema Flächenverbrauch ist ein zentrales, wir können unseren Kindern nicht eine zubetonierte Betonwüste hinterlassen. Vielen ist bewusst: So kann es nicht weitergehen. Deshalb ist da momentan wirklich viel Bewegung drin.

STANDARD: Sollte da nicht der Gemeindebund auch eine viel aktivere Rolle spielen?

Gewessler: Das Thema in den Griff zu bekommen ist eine große Herausforderung. Da ist es notwendig, dass alle Akteure auf ihrer Ebene Verantwortung übernehmen. Im Klimaschutzministerium machen wir das, da haben wir etwa mit der Evaluierung des Asfinag-Bauprogramms dem Bodenverbrauch die entsprechende Bedeutung gegeben, zuletzt auch mit der Novelle des UVP-Gesetzes flächensparsames Bauen im Genehmigungsprozess verankert. Und auch der Brachflächendialog gehört dazu. Die Kompetenz für die Koordinierung der Raumordnung ist auf Regierungsebene aber im Landwirtschaftsministerium angesiedelt. Ich erwarte mir, dass wir die Zielvorgaben, die wir uns hier gesetzt haben, auch umsetzen.

STANDARD: Sie sprechen die Bodenstrategie an, die ja eigentlich schon 2022 hätte fertig werden sollen, sich aber verzögert. Wann wird sie beschlossen?

Gewessler: Zuständig ist wie gesagt das Landwirtschaftsministerium. Das Thema drängt, damit drängt auch die Zeit. Wichtig ist aber, dass die Strategie Substanz hat, dort sind wir noch nicht ganz.

STANDARD: Beobachterinnen und Beobachter befürchten aber auch, dass die Bodenstrategie immer mehr verwässert werden könnte, je länger die politische Abstimmung noch dauert.

Gewessler: Der Zeitdruck und auch die Notwendigkeit sind auch dem Landwirtschaftsministerium klar.

STANDARD: Auch dem Gemeindebund? Oder anders gefragt: Ist die Widmungskompetenz auf Gemeindeebene gut aufgehoben?

Gewessler: Wir müssen herauskommen aus der Verschiebung von Verantwortung, sondern es muss jede und jeder dort, wo er oder sie tätig ist, diese Verantwortung übernehmen. Es braucht sicher Begleitung, dafür gibt es institutionalisierte Organisationen wie den Gemeindebund, aber auch andere Organisationen und Initiativen, die sich des Themas annehmen – etwa auch die Initiative "Bauen ohne Boden".

STANDARD: Herr Hackl, wie entstand diese Initiative?

Hackl: Velux ist Mitglied in der IG Innovative Gebäude, die sich aus der ehemaligen IG Passivhaus heraus entwickelt hat. Die hat sich etwas breiter aufgestellt und neben dem Thema gesundes Wohnen auch in Richtung Serielles Sanieren gearbeitet. Hier sind wir schnell beim Bodenverbrauch gelandet, denn wir haben festgestellt: Eigentlich ist Österreich eh schon fertig gebaut, wir müssen nur alles besser nutzen. Gerade die Gewerbe- und Industriebrachen sind der "Godzilla des Leerstands", wie das einmal jemand nannte. Kaum jemand weiß etwas darüber – oder jedenfalls viel zu wenig. Ich bin froh, dass es da nun in Oberösterreich schon gute Vorarbeiten gibt, um ein wenig Licht ins Dunkel zu bringen. Und jetzt wollen wir auch mit dem Umweltbundesamt und dem Klimaschutzministerium noch besser zusammenarbeiten, wir wollen das vorantreiben.

Gewessler: Niemand ist stolz darauf, dass man Österreich zubetoniert. Wir sollten eine intakte Natur weitergeben, unsere Nahrungsmittel selbst produzieren können, das gilt es zu erhalten.

Hackl: Genau das war für mich ein Erweckungserlebnis, als die Hagelversicherung darauf aufmerksam machte, dass wir uns mit den vorhandenen Ackerflächen in Österreich nicht mehr selbst versorgen können. Im Oktober hatten wir dann einen Roundtable mit allen Bautensprechern, da wurde wirklich extrem konstruktiv geredet. Die Gefahr besteht aber, dass wir in drei Jahren wieder hier sitzen und feststellen werden, dass nichts passiert ist. Wir müssen also dranbleiben, und dazu ist wichtig, dass wir den Leerstand gut kennen, um etwas daraus machen zu können. Wenn es dann schon Beispiele gibt, die man den Bürgermeistern zeigen kann: super! Dass man beim Bauen auf vorgenutzten Flächen auf Schwierigkeiten stößt, Stichwort Bodenkontamination – ja klar. Aber es heißt viel zu oft: "Was, das wirst du dir antun? Geh, schau dass du ein Grundstück kriegst auf der grünen Wiese, da ist alles ja viel einfacher." Nein, man muss es wenigstens probieren.

STANDARD: Wäre es nicht auch schon gut, wenn bloß nichts mehr neu gewidmet würde, sondern nur auf dem Baulandüberhang, also auf den schon gewidmeten Flächen gebaut würde?

Hackl: Ja, aber das ist nur die zweitbeste Lösung. Schön wäre es, wenn die Flächen, die noch nicht bebaut sind, auch Grünflächen bleiben könnten. Das sogenannte "Embodied Carbon", also die CO2-Bilanz von Materialien, darf man nicht unterschätzen. Hätte man die Universalversandhallen in Bergheim bei Salzburg abgerissen, wären dort 0,5 Prozent des gesamten Abfalls in Österreich angefallen. Aber die Smartvoll Architekten, die bei unserer Initiative dabei sind, haben sie zu einem gemischt genutzten Gewerbeobjekt umgebaut. Und so ein Lagerhausturm ist ähnlich gut. Die vorhandene Substanz so umzugestalten, das sollte der Normalzustand sein.

Gewessler: Je mehr gute Beispiele bekannt sind, umso mehr steckt das an. Und die öffentliche Meinung zu dem Thema verändert sich.

STANDARD: Frau Ministerin, Ihr Haus hat vor kurzem Empfehlungen in Sachen EU-Taxonomie herausgegeben. Da geht es darum, unter welchen Bedingungen noch auf Acker- oder Kulturflächen gebaut werden darf, damit das als taxonomiekonform gilt. Das wird in Österreich nun aber sehr weit ausgelegt: Taxonomiekonformität wird auch dann angenommen, wenn bereits Flächenwidmungs- und Bebauungspläne für diese Flächen existieren, und sogar wenn neu gewidmet wird, aber "besonderes Augenmerk auf die Ziele der Taxonomie gelegt wird", darf dort weiterhin gebaut werden. Professionelle Beobachter kritisieren das stark und halten das für viel zu milde. Wie kam es dazu?

Gewessler: Die Frage der Umsetzung der Taxonomie ist eine, die uns zwischen Praktikabilität und der Frage einer sehr konsistenten Umsetzung fordert. Die Empfehlungen unseres Hauses entsprechen der Auslegung der Europäischen Kommission. Aber ja, wir brauchen eine gute und klare Taxonomieumsetzung, dafür kämpfe ich auch auf europäischer Ebene. Wir haben das Feedback bekommen, und ich werde mir das auch persönlich nochmals anschauen.

STANDARD: Und zum Schluss noch kurz zum Finanzausgleich, der heuer neu verhandelt wird: Die Wohnbauförderungen der Länder sind da noch immer viel zu sehr darauf ausgelegt, das Bauen auf der grünen Wiese zu fördern anstatt Sanierungen und Flächenrecycling. Sind da die Länder gefordert?

Gewessler: Die Zweckbindung der Wohnbauförderung hat ja kürzlich auch der Herr Bundeskanzler angesprochen, das ist sicher auch ein Instrument, um das Thema anzugehen. Wie Sie wissen, wird der Finanzausgleich aber im Finanzministerium verhandelt. Aber ja, da sollte man tatsächlich auch Weichen stellen. (Martin Putschögl, 16.4.2023)