Im Gastblog stellt Peter Reischer ein Restaurant vor, das in einer alten Kapelle seinen Platz gefunden hat.

In den Beneluxländern herrscht ein wesentlich lockererer Umgang mit historischer Architektur als bei uns. Die meisten Kirchen, die in diesen Ländern profanisiert werden, und das sind zurzeit circa 40 pro Jahr, werden in Bibliotheken, Wohnräume oder Hotels umgewandelt. In Antwerpen wurde 2014 aus der Kapelle eines ehemaligen Militärspitals das Top-Restaurant "The Jane". Waren die kranken und verwundeten Soldaten damals schon in einem eher großzügigen Ambiente untergebracht, so hat die Atmosphäre durch die Gestaltung und das Design vom Studio Piet Boon noch gewonnen.

Außenansicht von "The Jane".
Foto: Richard Powers

Das Designstudio entwarf eine speziell, auf die Wünsche des Klienten zugeschnittene moderne Architektur, Innenraumgestaltung und auch die Einrichtungsgegenstände, bis zum Porzellan und den Accessoires. Zusammen mit Michelin-Starkoch Sergio Herman and Chefkoch Nick Bril entwickelte man das Konzept für das Restaurant mit dem Motto "fine dining meets rock 'n roll". Drei Jahre dauerte der Prozess in einer wahrlich, mystischen Location in Amsterdam – der Kapelle eines ehemaligen Militärspitals. Das Studio von Piet Boon war für die gesamte Inneneinrichtung und das "styling" des Restaurants verantwortlich und hat den früheren Sakralbau in einen einzigartigen "High-End-Tempel" des zeitgenössischen Genusses mit allen internationalen Allüren und Erfahrungen verwandelt.

Zwischen Alt und Neu

Als Ausgangspunkt diente des Designers Glaube an Authentizität, Funktionalität und Materialien, die "in Schönheit altern". Man beschloss, nur das wirklich Notwendige in der Kapelle zu restaurieren und den Rest einfach zu erhalten. Die Originaldecke zum Beispiel, vermittelt das Reine, betont und respektiert die Umgebung, die als glaubwürdiger Gastgeber für die ultimative Erfahrung eines Dinners dient.

Die alte Decke wurde in ihrem Zustand belassen.
Foto: Richard Powers

Der Altar machte der Küche Platz, diese ist – wie ein Atelier – mit Glaswänden umrahmt, gleich einem modernen Schrein. Sämtliche Gäste sind Zeugen und Zeuginnen für alles, das in der Küche passiert und jedes Gericht, welches das Team für sie zubereitet.

Küche an der Stelle des Altars.
Foto: Richard Powers

Die Mitarbeiter, Mitarbeiterinnen, Gäste und der Essenstransport benutzen idente Wege. Fünf verschiedene Aufzüge wurden eingebaut, zusätzlich zu den existierenden Stiegen, um alle drei Ebenen des Restaurants miteinander zu verbinden. So wird ein sanfter, unsichtbarer Workflow gewährleistet. Die Küche für die "Upper Room Bar" ist aus diesem Grund ausgelagert und mit einem Aufzug mit der Vorbereitungsküche im Keller verbunden. Die Größe der Hauptküche mit 14 Quadratmeter ergab sich aus der Beschränktheit der Lagermöglichkeiten. Deshalb wurde ein eigener Keller zusätzlich unter dem existierenden Gebäude geschaffen.

Kunst in der Kapelle

Die gemeinsame Leidenschaft von Herman, Bril und Boon, mit reinen und qualitativen Materialien zu arbeiten, drückt sich im Inneren in der Verwendung von Naturstein, Leder und Eichenholz aus. Neben dem Studio Piet Boon waren noch einige andere Kunstschaffende, führende Persönlichkeiten auf dem internationalen Geschehen rund um Kunst und Essen mit Teilaspekten befasst:

Die 500 Stück Glasscheiben für die Fenster sind von Job Smeets und Nynke Tynagel von Studio Job entworfen worden. Inspiriert von der ehemaligen Funktion der Kapelle sind Schaumspachteln, Sonnenblumen, Teufel, Totenschädel, kleine Kinder, Jesus am Kreuz, Würfelbecher, Eistüten, Croissants, Pinguine etc. als moderne Übersetzung und Transformation der alten, kirchlichen Glasfenster zu sehen. Archetypen verschiedener Welten, jede erzählt eine Geschichte von Gott und Teufel, reich und arm, Leben und Tod genauso wie von Nahrung und Religion.

Die Glasscheiben verbinden die Kapelle mit ihrer neuen Funktion.
Foto: Richard Powers

Das "piece de résistance" (in der Speisefolge eines Menus wird damit das Hauptgericht bezeichnet) ist im Herzen der Architektur ein 800 Kilo schwerer, gigantischer Kandelaber mit den Maßen 12 x 9 Meter. Er hängt in dem zwölf Meter hohen Gewölbe, hat über 150 Lichter und ist vom in Beirut ansässigen Atelier PSLAB entworfen. Der Kerzenleuchter ist ein Tribut an die intime und innerliche "Heiligkeit" dieses Kapellenraumes. Das Team aus Beirut, das auf das Design von ortsspezifischen, modernen Beleuchtungen spezialisiert ist, erstellte einen kompletten Beleuchtungsplan für "The Jane". Er sollte die einzigartigen Elemente, sowohl der Architektur wie auch der Inneneinrichtung zur Geltung bringen. Die Atmosphäre verbindet sich hier nahtlos mit Kunst und Technik.

Ein riesiger Kandelaber sorgt in "The Jane" für Licht – und Begeisterung.
Foto: Richard Powers

Zusammen mit der belgischen Firma Serax hat Boon eine "Tableware" entworfen, die seine Aufmerksamkeit für Detail und auch Perfektion vermittelt. Der hochqualitative Scherben des weißen Porzellans vereint Funktion und Qualität, das Geschirr ist hoch hitzebeständig, blei- und kadmiumfrei und wird in der Upper Room Bar von "The Jane" verwendet.

Die Upper Room Bar von "The Jane".
Foto: Richard Powers

Das Gesamtkunstwerk "The Jane" zeigt einen neuen Zugang zu Restaurant- und Beherbergungskonzepten. Nicht mehr Massenproduktion und Fastfood zählen – zumindest in gewissen Kreisen –, sondern in der Qualität, im Besonderen liegen die Nischen für neue Marktsegmente.

Wartzeiten für einen Tisch betragen um die drei Monate.
Foto: Richard Powers

Ein "göttliches", jedoch zeitgemäßes, multisensorisches Restaurant, das den Gästen ein Erlebnis vermittelt und es ihnen ermöglicht, jeden Augenblick und wo immer sie sich hinwenden, an Kunst, Musik, Geschichte teilzuhaben und gleichzeitig außergewöhnliche kulinarische Spezialitäten zu genießen. Und die Reservierungszeiten für die im Restaurant 65 Gäste und in der "Upper Room Bar" 40 Gäste fassende Lokalität geben dem Konzept recht. Sie betragen auch heute noch im Durchschnitt drei Monate. (Peter Reischer, 20.4.2023)