Haufenweise Hände feindlicher Kämpfer: Die Wände des Totentempels von Ramses III. in der Nekropole Medînet Hâbu führen den Brauch des Händesammelns vor Augen. Ein Schreiber hält das Ergebnis fest.
Foto: Price

Dem niedergestreckten Feind die rechte Hand abzuschlagen war eine Schmach bis weit über den Tod hinaus: In der altägyptischen Vorstellungswelt spielte für das Weiterleben im Jenseits die körperliche Unversehrtheit eine große Rolle. Hinter der Verstümmelung steckte also vermutlich mehr als bloß ein Akt der kriegerischen Dominanz.

Szenen nach dem Sieg

Spätestens seit dem Neuen Reich (1550 bis 1070 v. d .Z.) dürfte dieses makabre Trophäensammeln im ägyptischen Kriegswesen verbreitete Praxis gewesen sein. Das bezeugen Darstellungen auf Tempelwänden und in Gräbern hoher Militärs. In großen Haufen türmen sich dort die Hände der Besiegten, dem Pharao nach der Schlacht zu Füßen gelegt als Beweis für die Kampfkraft der Truppen.

Die Inschrift im Felsengrab des Ahmose in El-Kab mit der realistischen Darstellung einer Hand berichtet aus dem Leben des hochrangigen Soldaten: "Da machte ich Beute, eine [abgeschlagene] Hand, man meldete es dem königlichen Berichterstatter und man gab mir das Gold der Tapferkeit."
Foto: DAI/Vivian Davies

Eine Inschrift im Grab von Ahmose, dem Sohn von Ibana, einem altägyptischen Marineoffizier, beschreibt, wie der Soldat nach jeder Schlacht gegen die Hyksos bei Avaris und Sharuhen eine feindliche Hand als Trophäe präsentierte und als Belohnung das "Gold der Tapferkeit" erhielt. Auch im Totentempel von Ramses III. findet man solche stereotypen Szenen; ein Beamter erfasst dabei die groteske "Beute".

Ob diese Schilderungen von rituellen Verstümmelungen die Realität darstellten oder bloß Kriegssymbolik waren, blieb lange Spekulation – bis 2011 ein archäologischer Fund im nordöstlichen Nildelta zur Klärung beitrug: Ein Team des Österreichischen Archäologischen Instituts (ÖAI) unter der Leitung von Manfred Bietak stieß bei Ausgrabungen in der ehemaligen Hyksos-Hauptstadt Avaris / Tell el-Dab'a im Vorhof des Palasts auf drei Gruben mit insgesamt zwölf abgetrennten rechten Händen.

Elf Männer und eine (vermutete) Frau

Die Hände aus der Hyksos-Zeit (1640 bis 1530 v. d. Z.) waren mit weit abgespreizten Fingern großteils mit der Handfläche nach unten vergraben worden. Mehr verriet der Fund zunächst jedoch nicht. Nun hat ein Team von Anthropologinnen und Anthropologen die Ergebnisse einer ersten genaueren Untersuchung vorgestellt. Die Analysen der Knochen zeigten vor allem eines: Die Ägypter behandelten ihre Trophäen mit Bedacht.

Die Hände wurden offenkundig ungeordnet in den Gruben im Palastvorhof begraben.
Foto: Österreichisches Archäologisches Institut/Manfred Bietak

Wie die Gruppe um Julia Gresky vom Deutschen Archäologischen Institut (DAI) in Berlin im Fachjournal "Scientific Reports" berichtet, wurden die Hände nach dem Tod vermutlich noch auf dem Schlachtfeld abgetrennt. Unter den zwölf rechten Händen identifizierten die Forschenden elf Hände von männlichen Personen und eine Hand, die wahrscheinlich von einer Frau im jungen Erwachsenenalter stammte.

Sauber präpariert

Auffällig sei, mit welcher Sorgfalt die Ägypter nach der Rückkehr aus dem Kampfgebiet mit den Händen umgingen. "Anschließend hat man sie sauber präpariert und von möglichen Resten des Unterarms befreit", schildert Gresky die Resultate die Untersuchungen. Dies sei sehr vorsichtig geschehen, ohne dabei Schäden an den Handknochen selbst zu verursachen, so die Wissenschafterin.

Vor der rituellen Beisetzung in drei Gruben im Vorhof zum Thronsaal des Palasts wurden die Finger noch weit gespreizt. Sie sollten dem klassischen Prototyp einer Hand entsprechen, außerdem erscheinen die Hände – und damit auch die besiegten Feinde – auf diese Weise größer und eindrucksvoller. Bei der Anordnung der Hände stellte das Team kein augenfälliges Muster fest: Manche lagen einzeln, andere waren in einer kleineren Gruppe übereinandergestapelt.

Die Finger waren weit abgespreizt – so sollten sie eindrucksvoller und größer wirken.
Foto: Österreichisches Archäologisches Institut/Manfred Bietak

Ein Erbe der Hyksos

Die Forschenden vermuten, dass die Kriegstrophäen vor ihrer Beisetzung – ganz ähnlich wie auf den bildlichen Darstellungen – im Rahmen einer öffentlichen Zeremonie dem Pharao präsentiert wurden. Im konkreten Fall handelte es sich möglicherweise um den Hyksos-Pharao Chajan der 15. Dynastie (1590 bis 1549 v. d. Z.), dem die Palastanlage zugeschrieben wird. Die Hyksos waren Fremdherrscher aus dem Norden, die Ägypten während der Zweiten Zwischenzeit ab etwa 1640 v. d. Z. für rund hundert Jahre regierten.

Waren also sie es, die den Brauch des Händeabhackens in Ägypten etablierten? Der Gedanke ist naheliegend und wird auch von den Wanddarstellungen mit abgeschlagenen Händen untermauert: Entsprechende Szene kamen erst im Neuen Reich auf, kurz nachdem Ägypten die Fremdherrschaft abgeschüttelt hatte. Um diese Frage zu klären, seien jedoch weitere Forschungen notwendig, meinen die Wissenschafter. (tberg, red, 13.4.2023)