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Die ÖVP trommelt immer lauter. Der Takt geht so: Es reicht jetzt mit der Ambition in der Klimapolitik. Für die "Untergangsapokalypse" gebe es keine Beweise, sagte Karl Nehammer in seiner Kanzlerrede im März. Innovation sei gefragt, um der Klimakrise zu begegnen. Mit dem Anstieg des Meeresspiegels könne man umgehen lernen. Die gerade erst eingeführte CO2-Steuer sollte bei nächster Gelegenheit gekippt werden, legte ÖVP-Abgeordneter und Wirtschaftskammer-Generalsekretär Karlheinz Kopf prompt nach. Der Plan der türkis-grünen Koalition, Österreich bis 2040 klimaneutral zu machen, werde dem Land noch "viele Kopfschmerzen bereiten".

Wo sind, bei solchen Aussagen, die Grünen? Gelaufen ist es bisher vielversprechend. Die österreichische Politik erreichte in Klimafragen in den vergangenen drei Jahren deutlich mehr als in den Jahrzehnten davor. Wohl vor allem auf Druck der Grünen wird seit Jänner jede Tonne CO2, die im Verkehr und beim Heizen und Kühlen ausgestoßen wird, mit 32,50 Euro bepreist. Das Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz steckt hohe Ziele und soll die Energiewende mit mehr Geld beschleunigen. Ein anderes Regelwerk, das Erneuerbaren-Wärme-Gesetz, soll dafür sorgen, dass in Neubauten keine Gasheizungen mehr installiert werden. Der Exit aus fossilen Heizsystemen wird vorbereitet. Auch eine Strategie für eine Kreislaufwirtschaft hat Österreich bekommen, inklusive Reparaturbonus für kaputte Geräte. Im Verkehrssektor wurde die gewerbliche Anschaffung von Nutzfahrzeugen verteuert, das Klimaticket verbilligt die regelmäßige Bahnfahrt.

Die Kennzahl, die zählt

Aber dann ist da noch diese eine Kennzahl, um Erfolg oder Misserfolg der Klimapolitik zu bewerten. Und da sieht es trist aus. Die Treibhausgasemissionen verharren etwa auf dem Niveau von 1990 und sind seit den drei Jahren grüner Regierungsbeteiligung nicht gesunken. Doch für die Klimaneutralität bis 2040 muss es schnell gehen. Um dort hinzukommen, sollten die Emissionen bereits um 24 Prozent niedriger sein als 2020, rechnet das Österreichische Institut für Wirtschaftsforschung vor. Für die Grünen wird es schwer, das Land noch auf Kurs zu bringen.

Das "Beste aus beiden Welten" sollte diese Regierung bringen, so hatte es Ex-Kanzler Sebastian Kurz beim Amtsantritt der Regierung formuliert. In der Migrationspolitik hat die ÖVP das Sagen, beim Klimaschutz die Grünen, lautete die Formel. Kurz ist Geschichte. Der neue Ton in der ÖVP deutet darauf hin, dass diese Formel auch Geschichte ist.

Punkte, um anzusetzen, hätte die Koalition ja genug. In vielen Gesetzen werden ambitionierte Ziele gesetzt, aber zu wenige Maßnahmen dazu, wie sie auch erreicht werden können. Große Brocken des Regierungsprogramms bleiben offen: Das neue Klimaschutzgesetz mit einem verbindlichen Reduktionspfad für Emissionen lässt auf sich warten. Und es gibt zwar einen CO2-Preis, gleichzeitig betragen Österreichs klimaschädliche Subventionen aber bis zu 5,7 Milliarden Euro pro Jahr. Darunter fallen die privilegierte Besteuerung von Diesel und die Pendlerförderung. Dabei hat die Koalition in ihrem Programm "Kostenwahrheit" bei Emissionen versprochen.

Rückschritte

Und es gibt auch Rückschritte: Die Regierung hat erst im Dezember einen Energiekostenzuschuss für Unternehmen fixiert, der laut Fiskalrat 4,2 Milliarden Euro kosten könnte. Im Namen der Wettbewerbsfähigkeit der Industrie werden dabei Betrieben 2023 bis zu 60 Prozent ihrer Zusatzkosten bei Energie subventioniert. Gefördert wird Strom, aber auch Gas, Sprit und Heizöl. Es ist die teuerste Einzelmaßnahme, mit der fossile Energien in Österreich je gestützt wurden – und das, obwohl die Grünen mit in der Regierung sitzen.

Damit wird es nicht nur zusehends unwahrscheinlich, dass das Klimaziel der Regierung erreicht wird. Auch das EU-Ziel, Emissionen bis 2030 um 48 Prozent zu reduzieren, wird mit jedem Jahr unrealistischer.

Die Grünen haben das Problem, dass sich an dieser Konstellation so schnell nichts ändern wird. Je näher der Wahltermin rückt, umso mehr scheint die ÖVP auch in Sachen Klimapolitik in Richtung FPÖ zu rücken, sagt Reinhard Steurer, Professor für Klimapolitik an der Universität für Bodenkultur Wien. "Das Regierungsprogramm wurde 2019 und 2020 im Geiste der Klimaproteste von Fridays for Future verfasst. In diesem Licht muss man das Papier sehen", sagt er. Dann kamen die Pandemie, Russlands Krieg in der Ukraine, die hohen Energiepreise – und eine Art Krisenmüdigkeit der Bevölkerung. Die Klimapolitik geriet einmal mehr ins Hintertreffen.

Teurer Einkauf

Für die Grünen wird es auch schwieriger in der verbleibenden Legislaturperiode, die im Herbst 2024 endet, Druck gegenüber der ÖVP aufzubauen. Schon die bisherigen Errungenschaften der Klimapolitik mussten die Grünen teuer erkaufen. Im Gegenzug für die Einführung der CO2-Steuer wurde etwa die Senkung der Gewinnsteuern für Unternehmen in Kauf genommen.

Aber die ÖVP hat die für sie wichtigen Pflöcke bereits eingeschlagen. Die Klientel der Volkspartei, der obere Mittelstand, Unternehmer, Landwirte, ist versorgt. Die kalte Progression wurde abgeschafft, die Unternehmensförderungen sind nach der Pandemie wieder auf Rekordhoch. Die Landwirte haben Steuerzuckerln bekommen. Zum Eintauschen ist kaum mehr etwas da. Und Finanzminister Magnus Brunner verkündet bereits, die Zeit des großen Geldausgebens sei nun vorbei. Die Grünen müssen sich auch die Kritik gefallen lassen, Chancen, die sich ihnen zuletzt geboten haben, nicht genutzt zu haben.

Als im Dezember 2022 die ÖVP die Unternehmenshilfen durchboxen wollte, hat der Juniorpartner das Ja dazu billig hergegeben. Die Energiesparvorgaben an Betriebe, die Hilfen beanspruchen, sind lax und werden de facto kaum kontrolliert. Die Grünen haben von der ÖVP damals die Zusage für das Energieeffizienzgesetz bekommen. Dieses ist aber nicht beschlossen, weil die SPÖ im Nationalrat blockiert – für den Beschluss braucht es die Zweidrittelmehrheit. Auch das Erneuerbaren-Wärme-Gesetz ist Zweidrittelmaterie. Theoretisch muss es also gar nicht immer die ÖVP sein, die Nein sagt, um etwas zu verhindern.

Von Milliarden und Millionen

Wer die Grünen nach dieser Schieflage befragt, bekommt zu hören, dass die Vorwürfe unfair seien. Die grüne Handschrift sei klar zu erkennen. Man habe allen wichtigen Gesetzesmaterien einen Stempel aufgedrückt, nicht nur in der Klima-, sondern auch in der Steuer- und Sozialpolitik. Das ist richtig. Aber in Relation ergibt sich an so mancher Stelle eine Schieflage: Bis 2026 sind für die grüne Transformation der Industrie 600 Millionen Euro vorgesehen. Ein Bruchteil der 4,2-Milliarden-Förderung bei Unternehmen, die zu einem Großteil für fossile Energie eingesetzt wird. Die Grünen haben erreicht, dass viele Sozialleistungen künftig mit der Inflation mitsteigen. Die SPÖ ist daran gescheitert. Aber das kostet nur einen Bruchteil der Abschaffung der kalten Progression.

Genauso richtig ist, dass massive Veränderungen notwendig sind, um eine lebenswerte Zukunft zu sichern. Diese verantworten alle Parteien, und während die Grünen auf Klimaschutz drängen, ist es die ÖVP, die blockiert. Die Grünen haben noch ein gutes Argument: Die vergangenen 30 Jahre sei in Österreich fossile Politik betrieben worden. Zu glauben, das ließe sich in drei Jahren ändern, sei naiv. Bis sich der Wandel in Kennzahlen wie bei Emissionen bemerkbar macht, brauche es Zeit. Auch stockt die Energiewende zum Teil in den Bundesländern, die sich gegen den Erneuerbaren-Ausbau sperren. Trotzdem: Für kommendes Jahr ist sogar ein leichter Anstieg der Emissionen prognostiziert. Das Tempo für die Politik gibt die Klimakrise selbst vor. (András Szigetvari, Alicia Prager, 16.4.2023)