Als Entertainer konnte die Wunderbrille von Magic Leap ihre Versprechen nicht halten. Nun soll Augmented Reality für Unternehmen die Zukunft sein. Eine Zukunft, die man sich mit starker Konkurrenz teilen muss.

Foto: Magic Leap

Im Jahr 2011 war die Welt noch weit entfernt davon, digitale Objekte über eine Datenbrille in realen Umgebungen einbetten zu können. Große Tech-Konzerne legten ihre Schwerpunkte jedenfalls auf andere Bereiche: Vom beginnenden Boom der Tablets abgesehen, der durch das iPad im Jahr davor ausgelöst wurde, stellte Apple erstmals seine Sprachassistentin Siri für das iPhone vor. Google hingegen war vorrangig damit beschäftigt, einen Konkurrenten zu Facebook auf die Beine zu stellen. Vergeblich, wie wir im Nachhinein wissen.

Der mysteriöse Weg zum Hype

Als Rony Abovitz das Unternehmen Magic Leap 2011 offiziell eintragen ließ, war es auch noch relativ ruhig um das Start-up. Der Firmengründer, der sich mit medizinischen Robotern einen Namen und viel Geld gemacht hatte, baute den Hype um sein neues Unternehmen in den folgenden drei Jahren mit viel Geheimniskrämerei auf. Niemand wusste so recht, woran in Dania Beach, Florida, wo der Firmensitz angesiedelt war, wirklich gearbeitet wurde. Ein komplett (w)irrer Auftritt von Abovitz beim TEDx Talk 2012 in Sarasota war auch nicht gerade sachdienlich.

Dennoch: Unter vorgehaltener Hand wollten wenige glückliche Auserkorene, die von Silicon Valley nach Florida zu Demonstrationen eingeflogen wurden, die nächste Tech-Revolution erkannt haben. Sie sollte Endgeräte ablösen, wie wir sie bis heute kennen und nutzen. Ungeahnte Möglichkeiten für Information und Unterhaltung, aber vor allem für E-Commerce machten die Runde und ließen nach und nach Dollarzeichen in den Augen der Investoren aufleuchten.

Auch wenn zum damaligen Zeitpunkt nur sehr wenig über die Hardware bekannt war, die dieses Märchen erzählen könnte. Namhaften Tech- und Finanzgrößen wie Google, Qualcomm, Alibaba oder JPMorgan, die das Projekt mitfinanzierten, reichte das offenbar trotzdem aus: Magic Leap konnte bis 2014 ein beeindruckendes Investitionskapital in der Höhe von mehr als zwei Milliarden US-Dollar aufbauen.

Der Vorhang fällt

Die weit entfernte Zukunft wirkte plötzlich auch greifbar näher, als Magic Leap seine Vision 2015 in ersten Konzeptvideos präsentierte: Losgelöst von gewohnten Geräten wie Desktopcomputern, Smartphones oder Tablets sollten Nutzerinnen und Nutzer in ihrem realen Umfeld Anwendungen auswählen und darstellen können.

So sah 2015 ein Blick in die Zukunft aus.
Magic Leap

Und wie bei neuen Technologien nicht ganz unüblich, mussten Spiele für den besonderen Aha-Effekt herhalten: Sie sollten verdeutlichen, dass Anwendungen nicht nur in einem Fenster, sondern tatsächlich direkt in der Umgebung stattfinden können. Gemeinsam mit Weta Workshop, den Effektspezialisten aus Neuseeland, gelang ein unglaublich überzeugender Marketing-Stunt.

Flop? Megaflop!

Die weit entfernte Zukunft für das Jahr 2011 sollte sich im Endeffekt aber auch als solche entpuppen: Nicht weniger als sieben Jahre nach der Firmengründung wurde mit Magic Leap erst im Herbst 2018 das gleichnamige Gerät veröffentlicht – und floppte ganz hart. Die Datenbrille war extrem klobig, kostete mehr als 2.000 US-Dollar und hatte den zeitlichen Vorsprung der zugrundliegenden Vision längst verspielt – sie hatte mittlerweile Konkurrenz und war technisch nicht mehr im Vorteil.

Anders etwa als bei der Hololens von Microsoft war die Hauptplatine nicht in der Brille selbst verbaut, sondern in einem externen Gerät, das über eine mühsame Verkabelung mit der Brille verbunden war. Dieses Design machte die Brille selbst zwar angenehm leicht, erforderte aber auch einen handtellergroßen Klotz, den man mit sich herumschleppen musste. Zudem wurde von Testern bemängelt, dass das Sichtfeld zu schmal und die Qualität der Anwendungen mangelhaft seien. Anstatt der Verkaufszahlen in Millionenhöhe, die man ursprünglich angepeilt hatte, konnte man innerhalb des ersten Jahres gerade einmal wenige tausend Stück verkaufen. Magic Leap wirkte wie die Lösung für ein Problem, das es nie gab.

Es kam, wie es kommen musste: Interne Streitereien und Beschuldigungen, dass Firmengründer Abovitz etwa Luftschlösser gebaut habe, die technisch nicht realisierbar waren, kamen nach und nach über Fachmedien ans Tageslicht und ließen erkennen, dass Magic Leap intern zu bröckeln begann. Rückblickend soll Abovitz selbst eingeräumt haben, dass der aufgebaute Hype um die Brille ein großer Fehler war. Dennoch hielt er am Konzept fest und war von einer Zukunft des Produkts überzeugt.

Kurz vor dem Aus

Im Frühjahr 2020 blickte das Unternehmen dennoch tief in den Abgrund. Zwar befand man sich bereits bei der Entwicklung des Nachfolgers, mangels Umsatz und mit aufgebrauchtem Investitionskapital stand man aber kurz vor der Insolvenz. Erst eine erneute Investitionsrunde in letzter Sekunde und der Abbau von rund 600 Jobs ermöglichte es dem Unternehmen weiterzumachen.

Magic Leap trennte sich in dieser Phase aber nicht nur von hunderten Mitarbeitern, sondern auch vom Gründer selbst. "Als der Vorstand und ich die Veränderungen planten, was Magic Leap für diese nächste fokussierte Phase braucht, wurde uns klar, dass eine Veränderung meiner Rolle ein natürlicher nächster Schritt war", richtete Abovitz damals den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern per E-Mail aus. "Ich habe dies mit dem Vorstand besprochen, und wir sind übereingekommen, dass es jetzt an der Zeit sei, einen neuen CEO einzustellen, der uns helfen kann, unseren fokussierten Plan für Spatial Computing in Unternehmen zu kommerzialisieren."

Damit waren die Variablen für einen Neustart vollständig: Neben frischem Geld und der Einsicht, dass das Produkt einen Strategiewechsel auf Unternehmen als alleinige Zielgruppe benötigt, wurde ein neuer CEO installiert. Als Peggy Johnson im August 2020 Rony Abovitz ablöste, bestätigte sie diese Neuausrichtung von Magic Leap, indem sie meinte, dass nur der Fokus ein bisschen verändert werden müsse.

Die Neuausrichtung

Tatsächlich dürfte diese Erkenntnis intern aber schon kurz vor der Krise im Frühjahr 2020 zu reifen begonnen haben. In einem Gespräch mit "TechCrunch" erklärte CTO Daniel Diez, dass die Verlagerung des Schwerpunkts auf Unternehmen Ende 2019 begonnen hatte. "Das Feedback, das wir bekamen, gab uns auch Aufschluss darüber, wie das Produkt weiterentwickelt werden musste, um wirklich für Unternehmen geeignet zu sein, und das ist es, was man in Magic Leap 2 sieht", erklärte Diez.

Magic Leap 2 ist auf den Einsatz in Unternehmen fokussiert.
Foto: Magic Leap

Magic Leap hat im Rahmen seines Early-Access-Programms mit Unternehmen wie Cisco, Neuro Sync und Brainlab zusammengearbeitet, um sein Headset zu optimieren und zu verbessern. Das Ziel dieser Zusammenarbeit war es, das Headset für den Einsatz in verschiedenen Umgebungen wie Kliniken, Industrieumgebungen, Einzelhandelsgeschäften und sogar in der Verteidigung geeignet zu machen. Konkret wurden Trainings-, Kommunikations- und Fernunterstützungsfunktionen entwickelt, um den Anforderungen dieser Umgebungen gerecht zu werden. Tatsächlich ist Magic Leap unter anderem schon dafür zertifiziert, in Operationsälen eingesetzt werden zu können.

Der zweite Wurf

Im Herbst des Vorjahres war es dann so weit: Mit Magic Leap 2 wurde der zweite Anlauf des Unternehmens veröffentlicht und dürfte nach Angaben vieler Tester eine der besten Brillen am Markt für Augmented Reality sein. Im Vergleich zum Vorgänger, aber auch zu konkurrierenden Headsets ist die Brille leichter zu tragen und verfügt über ein größeres Sichtfeld. Ein Betriebssystem auf Android-Basis macht zudem die Entwicklung von Anwendungen einfacher.

Das Sichtfeld soll sich bei Magic Leap 2 deutlich vergrößert haben.
Foto: Magic Leap

Am meisten soll allerdings eine neue Dimming-Technologie beeindrucken, mit der man Teile des Sichtfelds abdunkeln kann, um einen stärkeren Kontrast zu den virtuellen Objekten zu erzeugen und somit den Fokus der Wahrnehmung auf sie zu lenken. Die Stärke dieses Effekts lässt sich von leichter Verdunkelung bis hin zu starker Finsternis stufenlos anpassen.

Magic Leap 2 scheint einen klaren Fortschritt in der Entwicklung von Augmented Reality gemacht zu haben.
Foto: Magic Leap

Mögliche Haken hat die Sache allerdings weiterhin: Die Brille ist nach wie vor über eine externe Hardware verbunden, die man quasi als Umhängetasche bei sich tragen muss. Immerhin hat das System nun mit Zen-2-Hauptprozessor und RDNA-2-Grafikchip von AMD ein empfindliches Upgrade erfahren. Mit einem Verkaufspreis von mehr als 3.000 US-Dollar ist das Headset auch eines der teureren auf dem Markt.

Die Konkurrenz wächst

Ob sich der Strategiewechsel als richtig erwiesen hat, lässt sich noch nicht abschätzen. Geldsorgen dürften mittelfristig jedenfalls nicht auftreten, die Entwicklung eines Nachfolgers scheint gesichert: Wie "The Telegraph" Ende letzten Jahres berichtete, hat sich der saudi-arabische Staatsfonds Public Investment Fund (PIF) mit mehr als 50 Prozent an dem Unternehmen beteiligt und damit die Mehrheitskontrolle übernommen. Mit der Beteiligung steigt auch die Mitsprache: "Ab November 2022 ist der PIF berechtigt, vier der acht Direktoren des Verwaltungsrats von Magic Leap zu ernennen", heißt es in der Bilanz.

Magic Leap

Tatsache ist aber auch, dass sich Magic Leap spätestens in der dritten Version seiner AR-Brille neuer Konkurrenz stellen muss. Facebook-Mutter Meta investiert zwar auch schon massiv in das Geschäftsmodell alternativer Realitäten und hat mit der Meta Quest Pro bereits einen Konkurrenten veröffentlicht, der sich explizit an Unternehmen richtet. Die größere Gefahr dürfte allerdings von Apple ausgehen: Der Konzern könnte bereits im Juni auf der WWDC ein AR-Headset vorstellen und noch heuer auf den Markt bringen. Letzten Gerüchten zufolge soll es preislich ähnlich gestaltet sein wie Magic Leap 2 und in erster Linie auch Unternehmen ansprechen. Ein Schlagabtausch scheint vorprogrammiert.

Zumindest nach außen hin macht CEO Peggy Johnson einen gelassenen Eindruck, was ihr bisheriges Engagement betrifft und auch was die Übermacht neuer Konkurrenten anbelangt. Am Rande des Weltwirtschaftsforums in Davos meinte sie in einem Interview mit "Business Insider", dass es immer gut sei, wenn mehr Geld in die Branche fließe. Nach mehr oder weniger zwölf Jahren im Alleingang sei es positiv zu bewerten, dass sich auch andere in diesem Bereich engagieren, selbst wenn es Konkurrenten seien. Inwieweit die Realität der Konkurrenz Magic Leap überholen wird oder die Perspektive des Unternehmens tatsächlich erweitern kann, wird sich im Lauf des Jahres erst zeigen. (Benjamin Brandtner, 15.4.2023)