Falken, Störche, Singvögel – viele Vogelarten nehmen jährlich Reisen von tausenden Kilometern auf sich. Nicht nur die Wegfindung stellte für die Wissenschaft lange Zeit ein Rätsel dar, das sich durch die Entdeckung einer Art inneren Kompasses von Vögeln teilweise aufklärte, auch die schiere Ausdauer der Tiere verblüfft.

Der Streifenwaldsänger kann tausende Kilometer ohne Pause zurücklegen.
Foto: Sherri and Brock Fenton (Western University, London, Ontario)

Bereits bisher war klar, dass Fettreserven eine Rolle spielen. Doch eine neue Studie, die im Fachjournal "Proceedings of the National Academy of Sciences" erschien, zeigt nun, dass die Vögel sehr früh auch Eiweiß aus ihren Muskeln verbrennen. Mit dabei war auch Julia Slezacek vom Konrad-Lorenz-Institut für Vergleichende Verhaltensforschung der Veterinärmedizinischen Universität Wien.

"Vögel sind unglaublich", sagt Erstautor Cory Elowe von der University of Massachusetts im US-amerikanischen Amherst, "sie sind extreme Ausdauersportler: Ein Vogel, der nur etwa 15 Gramm wiegt, kann flatternd 100 Stunden am Stück ohne Unterbrechung von Kanada nach Südamerika fliegen. Wie ist das möglich? Wie tanken sie Energie für ihren Flug?"

Überraschend viel Eiweiß

Elowes neue Untersuchung bestätigt bisherige Vermutungen zum Teil. "Die Vögel in unseren Tests verbrannten während des gesamten Fluges gleichmäßig Fett", sagt Elowe. "Wir haben aber auch festgestellt, dass sie sehr früh im Flug extrem viel Eiweiß verbrennen und dass die Verbrennungsrate mit zunehmender Flugdauer abnimmt." Bisher hatte man geglaubt, dass Vögel erst gegen Ende ihres Fluges Eiweiß verbrennen, wenn die Fettreserven langsam zur Neige gehen.

Das Long Point Bird Observatory war ein Kooperationspartner des Forschungsteams. Hier werden Vögel für Beobachtungszwecke mit Markierungen versehen.
Norfolk County

Die Forschenden nutzten für ihre Untersuchung Ressourcen des Long Point Bird Observatory in Ontario am Nordufer des Eriesees in Kanada. In diesem Gebiet versammeln sich jeden Herbst Millionen von Zugvögeln, um in ihre Winterquartiere aufzubrechen, unter ihnen der Streifenwaldsänger. Die kanadische Vogelbeobachtungsstelle ist darauf spezialisiert, Vögel mit Markierungen auszustatten. Dafür gibt es Netze, mit denen die Vögel gefangen werden.

Ein Schwarm von Staren, die je nach Lebensraum auch zu den Zugvögeln gehören.
Foto: APA/dpa/Karl-Josef Hildenbrand

Auch Elowes Team nutzte diese Netze, um über 60 Vögel zu fangen. Neben den Streifenwaldsängern, die in Nordamerika heimisch sind und als Weitwanderer gelten, fing das Team auch mit ihnen verwandte Kronenwaldsänger, die weniger weit fliegen. Sie wurden in eine weitere Vogelforschungseinrichtung der kanadischen Western University gebracht, die über eine Art Windkanal für Vögel verfügt. In diesem ließen die Forschenden die Vögel, nach Messung von Körpergewicht und Körperfettanteil, bis zu 28 Stunden fliegen. Wenn sie eine Pause machten, wurden sie erneut untersucht. Drei Vögel absolvierten sogar den gesamten geplanten 28-stündigen Flug.

Eiweiß ist der begrenzende Faktor

"Eine der größten Überraschungen war, dass jeder Vogel noch reichlich Fett hatte, als er sich entschied, seinen Flug zu beenden", sagt Elowe. "Aber ihre Muskeln waren abgemagert. Eiweiß, nicht Fett, scheint der begrenzende Faktor zu sein, der bestimmt, wie weit Vögel fliegen können."

Elowes Kollege Alexander Gerson sagt: "Wir wussten, dass Vögel Eiweiß verbrauchen, aber nicht in dieser Geschwindigkeit und nicht so früh im Flug." Das sei eine völlig neue Einsicht, betont Gerson. Bisher sei niemand in der Lage gewesen, die Verbrennung von Eiweiß in Vögeln so genau zu messen.

Der Grund für diesen ungewöhnlichen Effekt ist immer noch unklar. Doch für Elowe eröffnet diese Entdeckung völlig neue Möglichkeiten für die Forschung. Er interessiert sich für das "Frösteln" der Vögel, die nicht in wärmere Gebiete fliegen, sondern mit kalten Temperaturen klarkommen müssen und sich durch Zittern warm halten. "Funktioniert die Energieversorgung bei diesen Vögeln auf dieselbe Weise?", fragt sich Elowe. Der Beantwortung dieser Frage will sich das Team nun widmen. (Reinhard Kleindl, 18.4.2023)