US-Außenminister Antony Blinken auf den Straßen Hanois – am Wochenende stattete er Vietnam einen Besuch ab. Sein Chef Joe Biden könnte es ihm noch heuer nachmachen.

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Schon Barack Obama richtete seinen Blick nach Südostasien und sprach noch in seiner ersten Amtszeit vom Beginn eines "pazifischen Zeitalters". Dass Vietnam dabei eine strategische Schlüsselrolle einnimmt, war spätestens seit seinem Hanoi-Besuch 2016 klar. Die USA sehen ihre globale Vormachtstellung durch China gefährdet, mehr und mehr. Wenn, so die Vermutung in den diplomatischen Büros in Hanoi, US-Präsident Joe Biden noch heuer den einstigen Kriegsgegner besucht, wird das der Höhepunkt der amerikanischen Charmeoffensive sein.

Mag sein, dass die umfassende Partnerschaft irgendwann wirklich zu einer strategischen Partnerschaft aufgestuft wird, wie es sich die USA schon länger wünschen. Doch weiter werden die Entscheidungsträger in Hanoi nicht gehen, trotz der Streitigkeiten mit Peking um Inselgruppen im Südchinesischen Meer und trotz der chinesischen Drohgebärden im Taiwan-Konflikt, wo sich eine Eskalation natürlich auch auf Vietnam auswirken würde.

Denn Vietnam teilt mit China eine knapp 1.300 Kilometer lange Grenze, die Hauptstadt Hanoi ist vom großen Nachbarn gerade einmal eine dreistündige Autofahrt entfernt. Außerdem ist China das mit Abstand wichtigste Importland Vietnams. Es ist aus Sicht Vietnams also verständlich, dass man sich nicht komplett mit den USA ins Bett legt. Und Washington weiß das auch: Im Zweifelsfall hat man Vietnam wohl nicht auf seiner Seite.

Hồ Chí Minhs jährlicher Russland-Aufenthalt

Bleibt das Verhältnis Vietnams zu Russland, das Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) dieser Tage in Hanoi angesprochen hat. Russland ist der größte Waffenlieferant Hanois und bildet vietnamesische Offiziere aus. Vor der vietnamesischen Küste wird bei der Erschließung von Gas- und Ölfeldern kooperiert. Der einbalsamierte Leichnam von Vietnams Ikone Hồ Chí Minh wird jährlich für zwei Monate zur Pflege nach Russland geschickt. Die Beziehung zwischen den einstigen kommunistischen Bruderstaaten ist also traditionell innig. Da passt es ins Bild, dass sich Vietnam bei UN-Abstimmungen enthielt, als es darum ging, Russlands Invasion in die Ukraine zu verurteilen.

Auch hier ist nicht zu erwarten, dass Hanoi einen kompletten Schwenk vollzieht. Doch Vietnam arbeitet – schon vor dem russischen Angriffskrieg in der Ukraine – daran, seine Abhängigkeit von Russland in Sachen Waffen zu minimieren. Mit Indien ist man im Gespräch, auch Japan oder Südkorea sind potenzielle Alternativen. Das macht zumindest ein bisschen Hoffnung.

Und Europa? Das mag wirtschaftlich in Vietnam eine Rolle spielen. Geopolitisch so gut wie gar nicht. (Kim Son Hoang, 18.4.2023)