Benjamin von Stuckrad-Barre schrieb einen MeToo-Schlüsselroman.

Foto: IMAGO/Eventpress Golejewski

In den Jahren tiefster Verbundenheit mit der Axel Springer AG passte zwischen Benjamin von Stuckrad-Barre (48) und seine Freunde vom Verlag kein Blatt, jedenfalls kein Stück Zeitungspapier. Aus Anlass einer Feierstunde nannte der Popliterat mit der geschmeidigen Zunge drei für sein Leben ausschlaggebende Vorbilder: den Nuschel-Barden Udo Lindenberg, BRD-Autor Walter Kempowski – und schließlich den Medientycoon Springer selbst. Von 2008 bis 2018 ackerte Stuckrad-Barre unermüdlich für die Zeitungen der Springer-Welt, flutete sie mit Interviews, präsentierte schnoddrige Ansichten zur Zeit.

Und nun das: Jetzt, am 19. April, erscheint brühwarm Stuckrads neuer Roman Noch wach? Um einen schonungslosen Schlüsselreport aus dem finsteren Bauch des Verlags soll es sich handeln, um eine Abrechnung mit Ex-Chefredakteur Julian Reichelt. Dem wird bekanntlich übergriffiges Verhalten nachgesagt, die Inanspruchnahme sexueller Gefälligkeiten durch Mitarbeiterinnen: "Sex on demand".

Bundesdeutscher MeToo-Fall

Stuckrad-Barre will vor Reichelt gewarnt haben – sein Name fiel wiederholt in dem Compliance-Verfahren, das gegen den Ex-Bild-Chef lief. Jetzt darf man, fiktional gepuffert, Stuckrads Sicht auf die Springer’schen Dinge erfahren. Der Verlag Kiepenheuer & Witsch geizte sicherheitshalber mit der Ausgabe von Rezensionsexemplaren. Dafür fanden sich 70 und mehr Prominente bereit, einige Kapitelüberschriften aus Noch wach? via Instagram zu verlesen.

Für den in Göttingen aufgewachsenen Pastorensohn Benjamin von Stuckrad-Barre könnte sich der bundesdeutsche MeToo-Fall als sein ganz spezieller Glücksfall erweisen. Seit seinem Romandebüt Soloalbum (1998) ist es ihm mit eindrucksvoller Beharrlichkeit gelungen, sich selbst als bundesdeutschen Dorian Gray zu inszenieren.

Sketches für Harald Schmidt

Wer für Harald Schmidt Sketches schreibt und mit der B-Prominenz durch alle Fernsehkanäle schippert, den bläst kein Sturm mehr vom Deck. Keinen kleidete so gut das Büßerhemd, als er vom Kokskonsum abließ und den anschließenden Entzug auch noch filmen ließ.

Der heute spindeldürre Stuckrad -Barre schreibt hochwirksame Literatur zur Zeit: autobiografisch getönten Stoff, der Jahrgänge von Betroffenheitsromanen hinter sich lässt. Für Figuren im sexistischen Zwielicht weiß der Vater eines Kindes mit der Journalistin Inga Grömminger guten Rat: "Hose anlassen, ganz einfach, Hose bleibt an, egal in welcher Situation und Stimmung." (Ronald Pohl, 19.4.2023)