Ein Soldat der ukrainischen Streitkräfte neben einem Starlink-Empfänger in der Nähe von Bachmut.

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Russlands Vorhaben, den Internetzugang der ukrainischen Streitkräfte durch Starlink-Satelliten zu sabotieren, dürfte weiter fortgeschritten sein als bisher angenommen, wie aus einem US-Geheimdienstbericht hervorgeht.

Moskau arbeitet demnach seit Monaten an dem sogenannten Tobol-Komplex, einem System zur elektronischen Kriegsführung. Dieses soll die Übertragungen von Starlink in der Ukraine stören, wie die "Washington Post" berichtet. Das Dokument selbst dürfte aus den Discord-Leaks stammen.

Defensivsystem wird offensiv genutzt

Zwar ist nicht ganz klar, ob die russischen Tests von Tobol erfolgreich waren, die nachrichtendienstliche Erkenntnis über das System gilt aber als wertvoll, weil sie bestätigt, was im Westen bislang nur vermutet wurde: Das eigentlich zum Schutz der russischen Satelliten entwickelte Programm wir nun offensiv gegen die Signale der Satelliten von Space X eingesetzt.

Schon im vergangenen Frühjahr ging Firmenchef Elon Musk auf die Versuche des Kreml ein, die Technologie seines Unternehmens ins Visier zu nehmen. Im Mai schrieb er auf Twitter, dass Starlink zwar seine Widerstandsfähigkeit gegen solche "Stör- und Hacking"-Versuche unter Beweis gestellt habe, die Russen ihre Bemühungen jedoch zu intensivieren scheinen.

Starlink hat sich für das ukrainische Militär als lebenswichtig erwiesen, da es die kleinen tragbaren Terminals möglich machen, auf dem Schlachtfeld zu kommunizieren und Informationen auszutauschen. Den russischen Streitkräften ist es bereits gelungen, andere Kommunikationsmittel wie Funkgeräte und Mobiltelefone zu deaktivieren, aber die Satellitensignale sind schwerer zu stören.

Starlink ist für die Ukraine unerlässlich

"Diese Systeme stellen eine wichtige Schicht im ukrainischen Kommunikationsnetz dar", sagte Major Charlie Dietz, ein Sprecher des US-Verteidigungsministeriums. Er fügte hinzu, das Ministerium konzentriere sich weiterhin darauf, den Ukrainern die benötigten Satellitenfähigkeiten zu verschaffen. Kostiantyn Schura, ein Sprecher des ukrainischen Verteidigungsministeriums, sagte, dass man sich in Kiew der russischen Bemühungen bewusst sei und "Maßnahmen ergreift, um sie zu neutralisieren".

Ukrainische Truppen berichteten, dass es im Oktober zu Störungen ihrer Starlink-Kommunikation kam, als sie sich während der erfolgreichen Gegenoffensiven im Süden und Osten des Landes auf russische Stellungen zubewegten. Ob diese Störungen durch das Tobol-System entstanden sind, ist aber nicht ganz klar. Laut dem Bericht gibt es mindestens sieben dieser Systeme in Russland.

Die Ursache für die Ausfälle könnte auch bei Starlink selbst liegen. Musk hatte ja kurzfristig seine Meinung geändert und den Ukrainern den Einsatz von Starlink bei "Offensivoperationen" untersagt. Später gab Musk an, der Betrieb von Starlink für die Ukraine sei zu teuer.

Tobol-1 arbeitet wohl mit Uplink-Jamming

Doch wie stört man einen Satelliten? Dafür gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder sabotiert man den Satelliten direkt im Orbit, oder man stört die Empfänger. Bei der Sabotage im Weltraum, dem sogenannten Uplink-Jamming, wird ein Signal mit der ursprünglichen Übertragung vermischt. Dadurch werden die Informationen für die Empfangenden unbrauchbar. Laut Bart Hendrickx, einem Forscher, der das Programm schon länger verfolgt, funktioniert Tobol mit ziemlicher Sicherheit auf diese Weise.

Bei der bodengestützten Methode, dem sogenannten Downlink-Jamming, wird ein Signal auf der gleichen Frequenz wie der Satellit gesendet, sodass die Empfängergeräte das echte Satellitensignal nicht empfangen können. Diese Methode hat einen kleineren Wirkungsbereich, und derartige System verfügen nur über eine geringe Reichweite.

Tobol dürfte die gesamte Ukraine umfassen

Das geleakte Dokument beschreibt drei Standorte von Tobol-1: die Krim, einen Ort nahe Moskau und die Exklave Kaliningrad. Das "geschätzte Zentrum" des Einsatzes liegt in der Nähe von Bachmut in der ostukrainischen Region Donezk, wo in diesem Jahr die schwersten Kämpfe des Krieges stattgefunden haben.

Laut den Dokumenten dürfte der Erfassungsbereich von Tobol-1 die gesamte Ukraine umfassen, sagte Brian Weeden von der Secure World Foundation. Dennoch dürfte es Russland nicht gelingen, alle Starlink-Satelliten über der Ukraine zu stören – dafür ist ihre Zahl einfach zu groß. (pez, 20.4.2023)