Könnte der Restaurantführer 2024 nach Österreich zurückkehren?

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In der kleinen Welt der heimischen Spitzengastronomie herrscht Aufregung – und Verwirrung. Schuld daran ist eine unbestätigte Meldung, die seit einigen Tagen durch die Mailboxen der Wirte und Gastrojournalisten geistert und von gleich mehreren Fach- und sonstigen Medien teilweise mit Euphorie aufgegriffen wurde. Laut dieser plane der Guide Michelin, seines Zeichens der wohl einflussreichste und international meistbeachtete Restaurantführer der Welt, eine Ausgabe für Österreich.

Der große Knackpunkt liegt an der Finanzierung: Der Guide Michelin finanziert sich aus öffentlichen Geldern. Das bedeutet, dass das Land Österreich den Restaurantführer mit mehreren hunderttausend Euro fördern müsste, damit er überhaupt erscheinen kann.

14 Jahre später

Dabei würde es sich in Wahrheit um ein Comeback handeln. Denn einen Österreich-Guide gab es in der Vergangenheit bereits. Allerdings nur für ein paar Jahre, bis er im Jahr 2009 wieder eingestellt wurde. Was daran lag, dass die Welt damals noch eine andere war. Und Erfolg und Wirtschaftlichkeit eines Restaurantführers noch an der Anzahl der verkauften Printexemplare gemessen wurden. Inzwischen hat sich, genau wie die Welt, auch das Geschäftsmodell des Michelin verändert. Dieser bewertet heute Länder und Städte rund um den Erdball, erscheint in einigen davon nur mehr online und lässt sich in vielen Fällen (nicht in allen!) dafür auch bezahlen. Und genau darin, nämlich im Bezahlsystem, sehen viele das Hauptproblem.

"Ich bin da ziemlich zweigeteilt, was das Erscheinen eines Guide Michelin für Österreich betrifft", sagt etwa Christian Grünwald, mit dem A-la-Carte-Guide selbst Herausgeber eines Restaurantführers, "einerseits wäre es fürs heimische Gastgewerbe mehr als begrüßenswert, würde Österreich endlich auch seine eigene Ausgabe und damit gesteigerte internationale Aufmerksamkeit erzielen. Andererseits finde ich es ziemlich bedenklich, dass hier eine kolportierte Million Steuergeld in die Hand genommen werden soll, um Restaurants bewerten zu lassen."

Gerade in Zeiten wie diesen, wo hierzulande etwa das System der Inserate immerzu heftig beanstandet und gleichzeitig die Spitzengastronomie regelmäßig gebasht und wegen ihrer vermeintlichen Abgehobenheit angeprangert werde, sei es zu hinterfragen, wieso ein Restaurantführer, der noch dazu neu auf den Markt kommt, öffentliche Gelder erhalten sollte. "Während auf der anderen Seite wir, die seit Jahrzehnten präsent sind, jedes Paar Würstel, das wir bestellen, selbst bezahlen müssen", beklagt Grünwald.

Vorteil für die Gastronomie in Österreich

Als Argument lassen das nicht alle gelten. "Der Vergleich hinkt, weil die Franzosen in einer gänzlich anderen Liga spielen als einheimische Restaurantführer", sagt etwa der Hotelier und ehemalige Neos-Abgeordnete Sepp Schellhorn. "Der Michelin vergibt Bewertungen, die international eine weit größere Beachtung finden als alle heimischen Lokalführer zusammengenommen." Daraus ergäben sich Vorteile für die Wirte, die Köche und die gesamte Branche. Aber auch für die Winzer, die Landwirte und Lebensmittelproduzenten sowie für den Fremdenverkehr im Allgemeinen – im Endeffekt also fürs ganze Land. "Wem Österreich am Herzen liegt, der unterstützt das Projekt, wer dagegen ist, denkt nur an seinen eigenen Profit", glaubt Schellhorn.

Dem wiederum widerspricht Wolfgang Rosam. "Natürlich muss ich an mein Geschäftsmodell denken. Ich bin Unternehmer und habe die Gehälter von 130 Angestellten zu bezahlen. Auch kann ich mir nicht vorstellen, dass es rechtlich in der EU überhaupt möglich ist, einen einzelnen Mitbewerber gegenüber allen anderen durch Subventionen zu bevorteilen", so der Herausgeber des Falstaff-Guides. Was aber keineswegs bedeute, dass nicht auch er eine Österreich-Ausgabe des Michelin begrüßen würde, wie er betont. "Freilich kann keiner von uns mit dessen Renommee und Strahlkraft mithalten, und Wettbewerb ist ja auch willkommen, jedoch würde es sich in diesem Fall um einen der unlauteren Art handeln", so Rosam.

Ganz sieht es also so aus, als würde sowieso jeder in der Branche das Erscheinen eines Michelin Österreich in trauter Einstimmigkeit befürworten. Allerdings mit unterschiedlicher Auffassung, was dessen Finanzierung betrifft. Die muss nämlich, offenbar laut Statuten des Reifenherstellers und um Korruptionsvorwürfen zuvorzukommen, nicht aus privater, sondern aus öffentlicher Hand fließen. Ob das allein reicht, um Verdächtigungen der Freunderlwirtschaft oder, noch schlimmer, das Fließen illegaler Zahlungen einzudämmen, ist freilich eine ganze andere Frage.

Geld auch für andere Restaurantführer

Jedenfalls scheint es so, als wären nach einem Treffen von Tourismusverantwortlichen alle Bundesländer außer Wien bereit, jeweils 100.000 Euro im Jahr für drei Jahre zu bezahlen. Dass Wien nicht mit von der Partie ist, liege daran, dass die Wiener Touristiker – so wird kolportiert – der Auffassung seien, dass man sowieso in Michelins internationaler Ausgabe "Main Cities of Europe" vertreten sei. Sepp Schellhorn glaubt allerdings, dass es sich dabei um eine Mehrheitsentscheidung handle und Wien sich folglich nicht so einfach abkapseln könne. Zudem bestehen die Macher des Michelin darauf, mit lediglich einem einzigen Partner zu verhandeln. Das wäre dann also die Österreich-Werbung als nationale Tourismusmarketing-Organisation.

Kommenden Juni, so heißt es, will man sich dann nochmals zusammensetzen und zu einem Abschluss kommen. Wenn es nach Wolfgang Rosam geht, dann allerdings nur für den Fall, dass auch sein Falstaff sowie der Gault & Millau (ein weiterer Guide, der hierzulande zwar lang eingesessen ist, dessen Sichtbarkeit jedoch gleichfalls kaum über die Landesgrenzen hinausreicht) ebenfalls Zuschüsse erhielten. In dem Fall könnte mit allergrößter Wahrscheinlichkeit auch Christian Grünwald für seinen A-la-Carte-Guide Geld verlangen. Und es würden sich vermutlich noch etliche weitere melden, die gleichfalls Lokalführer veröffentlichen, von denen man bislang womöglich kaum oder noch gar nicht gehört hat. Und das wär's dann wohl gewesen mit dem Projekt Michelin Autriche.

Weiter warten

Was freilich schade wäre, wie nicht nur Wolfgang Neuhuber findet. "Der Michelin ist mit Sicherheit das beste internationale Marketingtool, das man sich vorstellen kann. Das zeigt sich in allen Ländern, in denen er präsent ist", sagt Neuhuber, der die Salzburger Tourismus-PR-Agentur A.R.T. Redaktionsteam betreibt; und der vor einigen Jahren dazu beigetragen hat, dass auch Kroatien seine Michelin-Ausgabe erhält. "In Kroatien gibt es mit Sicherheit viele, weniger sternewürdige Lokale als in Österreich. Und dennoch sind alle äußerst zufrieden, und die Zusammenarbeit wird jedes Mal erneuert", so Neuhuber. Und auch die Slowenen hätten sehr genau beobachtet, wie sich der Guide in ihrem Nachbarland entwickle, bevor sie dem Beispiel gefolgt seien und nun seit wenigen Jahren gleichfalls ihren Michelin hätten.

"Das Wichtigste für das Zustandekommen eines Guides in diesen Ländern war, dass alle Beteiligten an einem Strang ziehen, um es möglich zu machen", sagt Neuhuber. So weit ist man in Österreich offenbar noch nicht. Weswegen das heimische Gastgewerbe auf einen Michelin und dessen vielzitierte internationale Strahlkraft wohl noch weiter wird warten müssen. (Georges Desrues, 24.4.2023)