Schritt für Schritt, für Schritt, für Schritt, für Schritt. Das ist der Rhythmus, der mir aufgetragen wurde. So und nichts anders. Einen Fuß vor den anderen setzen, Fokus auf die Bewegung, nicht nach links schauen, nicht nach rechts. Nicht denken, nicht überlegen, nichts spüren. Die reine Konzentration darauf, was ich hier und jetzt tue: Schritt für Schritt, für Schritt …

"Gedanken besetzen" nennt Kris Stürz das. "Damit verhinderst du, dass du in Panik gerätst", sagt die klinische Gesundheitspsychologin und geprüfte Bergwanderführerin. In Anbetracht dessen, wo ich mich gerade befinde, könnte das leicht passieren. Die Hangquerung ist nicht breiter als zwanzig Zentimeter, links von mir geht es steil bergauf, rechts droht der tiefe Abgrund. Der Untergrund ist Geröll, wir befinden uns oberhalb der Baumgrenze.

Für Menschen mit Höhenangst ist das die Hölle auf Erden. Sie haben Schwierigkeiten, sich in der Höhe zu bewegen, an steilen Abhängen zu stehen und von da runterzuschauen. Viele Wanderer haben nicht nur Höhenangst, sondern auch Sturzangst. Bei mir ist die Angst vor dem Fallen größer als die vor dem Hinunterschauen. Wenn nun noch, wie in meinem Fall, am Berg eine dünne Schicht frischgefallenen Schnees dazukommt, ist das die tödlichste Kombination von allen.

Bei Kris Stürz – nomen non est omen – kann man lernen, mit Höhenangst umzugehen.
Foto: Doris Priesching

So wie mir geht es vielen. Klinisch relevante Höhenangst – Akrophobie – haben in Europa ungefähr fünf Prozent. Probleme beim Wandern haben geschätzte zwanzig Prozent, sagt Kris. Diese Menschen haben ein mulmiges Gefühl in mehr oder weniger großen Höhen. Herzklopfen, Zittern, weiche Knie, Übelkeit sind typische Symptome. Wenn es ganz schlimm wird, geht es in Panik über, es droht Schockstarre, und dann geht wirklich nichts mehr, kein Vor und kein Zurück. Am Berg eine besonders fatale Situation. Was tun?

"Gelingende Erfahrungen machen", rät Kris. Was das bedeutet und wie es funktioniert, zeigt sie im Tiroler Stubaital in einem Kurs, der mich von meiner Höhen- und Sturzangst befreien soll.

Tag eins "A-M-A" am Bergler Brandl

"Es kann sein, dass es etwas ungemütlich wird", hat Kris prophezeit. Und will jetzt wissen, wie es mir geht: "Auf einer Skala von eins bis zehn?" – "Elf", bin ich geneigt zu sagen, will aber nicht feig wirken und untertreibe tapfer: "Fünf." Ich weiß, wie lang die Querung ist und dass es danach leichter ist, weil der Weg wieder breiter wird. Ich habe mir all das vorher genau angesehen. Das soll man tun, wenn man vor einer schwierigen Stelle steht und die Gefahren einschätzt.

"A-M-A" lautet die Zauberformel, ein Konzept, das Menschen mit Höhenangst helfen soll, kritische Abschnitte möglichst angstfrei zu überwinden. Es besteht aus drei einfachen Punkten. Erstens: Atmen – ruhig und tief. Wer die Luft anhält, produziert Stresshormone, die das Risiko einer Panik erhöhen.

Zweitens: Muskulatur. Es ist ganz wichtig, lockerzulassen. Das Atmen hilft, sich nicht zu verkrampfen, vorher einmal ausschütteln auch. Drittens: Aufmerksamkeit. Den Fokus auf sein Tun richten, sich darauf konzentrieren, was genau in dem Moment ist, und nicht überlegen, was passieren könnte. Die drohende Gefahr ausblenden heißt auch, tunlichst nicht in den Abgrund zu schauen, sondern mit dem Blick auf dem Weg bleiben, sich eventuell einen Punkt zur Orientierung suchen und sich Sätze vorsagen: "Schritt für Schritt, für Schritt", "Einatmen, Ausatmen" oder "Sauber, Gehen". Gedanken besetzen – "A-M-A". Gelingendes Erleben, positive Lernerfahrung.

Tag zwei Am Elfer, 2505 Meter

"Es geht nicht darum, Angst zu überwinden, sondern mit ihr umzugehen", sagt Kris. Angst schützt vor Übermut und ist überlebenswichtig. Aber es gibt Situationen, in denen definitiv nichts passieren kann – und die trotzdem Angst machen. So wie auf dieser verglasten Aussichtsplattform, ein gemeiner Angstlustmacher, wo man weder stürzen noch fallen kann und die Knie trotzdem weich werden. Wir tapsen vorwärts, langsam, vorsichtig mit "A-M-A". "Um etwas positiv abzuspeichern, schüttet der Körper Dopamin aus", erklärt Kris. "Wenn wir Dinge lernen, darf das nicht zu schwer sein."

Erste Erfolgserlebnisse stellen sich ein. "Als mir bewusst wurde, dass ich es aushalte, hier zu stehen, konnte ich bleiben und einen Schritt nach vorne machen", sagt eine Kursteilnehmerin. Sie wird es bis ganz nach vorne schaffen. Selbstsicherer, angstfreier, mutiger.

Später, an der Nordwand zum Elfer-Gipfel: Der Weg ist steil, das ist schon leichte Kletterei. Aber es geht, und das Selbstvertrauen kommt. Balance ist wichtig, Sicherheit am Berg ein Thema. "Von allen Bergsportarten ist Wandern die gefährlichste", sagt Kris. Oft hängt es mit körperlicher Fitness zusammen. "Die Leute kommen nicht fit in die Berge, sondern werden fit durch die Berge", sagt Kris. Ein fahrlässiger und gefährlicher Ansatz.

Wem Ausdauer und Kraft fehlen, der ist schneller müde. Übermüdung führt zu Herz-Kreislauf-Problemen, Konzentrationsstörungen, Kraftlosigkeit, Kontrollverlust, Angst, Höhenangst. "Mentale Probleme entstehen vor allem, wenn der Körper nicht fit genug ist", sagt Kris. "Deshalb ist Training wichtig."

Und die richtige Technik. Runter kommen sie alle, heißt es, aber so einfach ist das nicht. Rauf geht meistens leichter, da kann man sich noch am Stein festhalten, hat den Abgrund im Rücken. Bergab blickt man in die Tiefe, "A-M-A" alleine ist zu wenig. Um im Fels Sicherheit zu gewinnen, braucht es den festen Tritt, der beim Runtergehen durch Gewichtsverlagerung in die Körpermitte hergestellt wird, das heißt: in die Knie gehen. Kris: "Ein bisschen Muskelkater ist mir lieber, als du rutschst weg." Auf keinen Fall Rückenlage. Wenn man spürt, dass die Knie entlastet sind, dann ist es richtig. Für mich das nächste Aha-Erlebnis. Das fühlt sich leicht an!

Höhenangst überwunden, am Ende wartet der Klettersteig – und das ist kein Schmäh. Trittsicherheit kann man üben.
Foto: Doris Priesching

Tag drei Kletterhalle

"Was ist das Wichtigste beim Klettern?", fragt Raimund Huter und gibt selbst die Antwort: "Wille, Technik, Konzentration." Raimund ist geprüfter Berg- und Skiführer, und mit ihm geht es heute ans Eingemachte: Kletterhalle.

Moment, wie war das noch mit "gelingender Erfahrung"? "Einfach ausprobieren", sagt Raimund vor der Boulderwand. Okay, kurze Zeit später hänge ich da oben, wobei "oben" ist gut: ca. eineinhalb Meter über dem Boden, mit Kletterschuhen, die so eng sind, dass ich die Füße nicht mehr spüre, ganz ähnlich übrigens dem nicht mehr vorhandenen Gefühl in meinen Fingern, die ich in die Griffe gekrallt habe, was insgesamt sicher nicht ganz gut aussieht. Vor allem weiß ich aktuell nicht, wie ich da wieder runterkomme. "Tut die Wand mit Griffen geizen, musst du drücken oder spreizen", konstatiert Raimund. Sehr lustig. Die Griffe sind zu schmal, zu glatt, zu weit weg. Und jetzt? Fallen lassen? Will ich auch nicht, also suche ich nach Alternativen, taste mich vor, zurück, suche Halt – und finde ihn.

In Angstsituationen schüttet der Körper Stresshormone aus. Bei Panik übernimmt der Sympathikus im vegetativen Nervensystem das Kommando und stellt den Körper auf Flucht, Kampf oder Schockstarre ein. Konzentration auf die Atmung aktiviert hingegen den Parasympathikus– Entspannung tritt ein. Ein ziemlich einfaches System eigentlich.

Fazit Was lernen wir daraus?

"Beim Klettern bist du im Hier und Jetzt", sagt Kris. Ich kann nicht aufhören, mich zu wundern, was sich in diesen Tagen verändert hat. Den anderen Kursteilnehmern geht es genauso. Aber ein wenig habe ich verstanden und lerne fürs Leben: Ein vor mir liegendes Problem schaut aus der Ferne oft bedrohlicher aus. Bei näherer Betrachtung verliert es seinen Schrecken, scheint auf einmal bewältigbar. Auf dem Klettersteig, im Fels zeigt sich, dass es fast immer eine Alternative gibt, einen einfacheren, passenderen Weg.

Von der Kletterwand weiß ich, dass kleine Veränderungen möglicherweise Großes bewirken. Vielleicht ist das anderswo auch so? Einen Weg zu finden, sich dabei gut zu fühlen, stärkt das Selbstvertrauen, lässt die Angst verschwinden. Und formt die Erkenntnis, dass es Spaß machen kann, zwischendurch die Komfortzone zu verlassen. Und wie. (Doris Priesching, 30.4.2023)

Der Kurs wurde zum Teil von Asi Reisen unterstützt.

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Trittsicher am Berg – die wichtigsten Regeln

Beim Bergabgehen
Links: falsch/Rechts: richtig
Illustrationen: Oana Rotariu

Trittsicher am Berg – die wichtigsten Regeln

Es ist eigentlich ganz einfach:

  • Langsam starten
    Sich in den ersten zwanzig Minuten warmgehen und dann steigern.
    Kräfte nicht überschätzen Wer keine Kondition hat, hat am Berg nichts verloren. Und ohne richtige Ausrüstung geht auch nichts. Der richtige Trekking- oder Bergschuh will sorgfältig ausgesucht sein.
  • Aber sich auch nicht unterschätzen
    Zu Tode gefürchtet ist auch gestorben. Eine Steilstufe schaut aus der Ferne oft furchterregender aus, als sie bei Nähe betrachtet ist.

  • Stockeinsatz?
    Ja, aber gern auch einmal ohne. Das fördert die Balance und verbessert Ihre Trittsicherheit. Bei steilen Abhängen den hangseitigen Stock kürzer nehmen, beim Bergabgehen beide Stöcke verlängern.

  • Kleine Schritte beim Bergaufgehen. Große Schritte kosten viel mehr Kraft.

  • Beim Bergabgehen
    Schwerpunkt in die Körpermitte bringen. Auf der ganzen Sohle auftreten. Mit leicht nach vorne gebeugtem Oberkörper in die Knie gehen. Bei Querungen von Steilhängen Innenlage vermeiden. Konzentration, Körperspannung, Zuversicht. Wir schaffen das.

  • Ausrutschen im Geröllfeld
    Stabile Bauchlage suchen und am besten mit dem Stock in den Boden haken und so eine Verlangsamung bzw. sogar Halt finden.

  • Und was, wenn die Angst doch kommt?
    Erste Hilfe: sich klein machen, in die Knie gehen. Ein Objekt suchen, an dem sich das Auge festhalten kann. Ruhig atmen, vielleicht ein Stück Traubenzucker oder Müsliriegel essen. Ruhig kauen, einen Schluck Wasser trinken. Wenn eine Person dabei ist, sie bitten voranzugehen. Das wird schon wieder.