Laute Buhrufe tönen aus der Menge. Darauf folgen schrille Pfiffe. Tausende Menschen stehen dicht an dicht auf dem Wiener Rathausplatz, viele davon tragen T-Shirts, Nelken, Fahnen oder Luftballons in Rot. "Stark, stärker, zusammen" und "Hoch der 1. Mai", verkünden zwei riesige Plakate neben der Bühne.
Darauf versammelt: die Spitze der SPÖ. Und für die ist eine derartige Geräuschkulisse am höchsten sozialdemokratischen Feiertag eigentlich ein Grund, um nervös zu werden. Das hat die Parteigeschichte eindrücklich gezeigt.
Die SPÖ-Granden bleiben jedoch entspannt. Die Buhrufe und Pfiffe adressieren nämlich nicht die Parteispitze, sondern den niederösterreichischen FPÖ-Politiker Gottfried Waldhäusl, über dessen rassistische Äußerungen zu Schülerinnen Wiens Bürgermeister Michael Ludwig gerade schimpft. "Mit so einer Partei werden wir keine Koalition eingehen", ruft der Stadtchef ins Mikro.
Er ist, gemeinsam mit ÖGB-Chef Wolfgang Katzian und Wiens roter Frauenchefin Marina Hanke, das Vorprogramm für einen mit Spannung erwarteten Auftritt: jenen der Bundesparteichefin Pamela Rendi-Wagner.
Kobersdorf: Landeschef auf Burgenland-Tour
Auf Städtischeres hatte Hans Peter Doskozil offenbar keine Lust. Ja, nicht einmal auf Eisenstadt. Burgenlands Landeschef wandert am roten Festtag durch die Ortschaften des Bundeslands, in dem er seit geraumer Zeit die Absolute hält. Darunter: Kobersdorf. Treffpunkt für den traditionellen Maiaufmarsch der Roten ist der Sportplatz der hiesigen Fußballmannschaft, benannt nach der örtlichen Mineralwassermarke.
Doskozil kommt pünktlich mit einem BMW des Landes in den Ort. Die letzten Meter zum Sportplatz nimmt er aber doch zu Fuß. Kaum angekommen, wird Doskozil überraschend eine Nelke ans Revers gesteckt. "Nur nicht durchstechen", witzelt ein Funktionär. Kaum hat er sich umgedreht, hat er zusätzlich einen Erster-Mai-Aufkleber auf seinem Sakko picken.
Viel weiter kommt Doskozil in der Traube aus dutzenden Genossinnen und Genossen aber nicht – er scheitert an sich selbst. Möglichst allen will er die Hand schütteln und kurz plauschen. Wäre da nicht der enge Zeitplan: Als der letzte Fahnenträger ausgeraucht hat und sich der Maiaufmarsch samt Blasmusik kurz nach 14 Uhr in Bewegung setzt, ist Doskozil gerade dabei, sich mit der Tochter eines Bezirksansässigen zu verplappern.
Nach nur elf Minuten ist das Spektakel in Kobersdorf schon wieder zu Ende, das Ziel erreicht: das Gemeindeamt. Von weitem blitzt einem der rot leuchtende Doskozil-Banner schon entgegen – eine klare Botschaft. Niemandem hier war es zuzutrauen, bei der laufenden Mitgliederbefragung für Babler oder gar für Rendi-Wagner zu stimmen.
Traiskirchen: Bürgermeister als Höhepunkt
Auf einem Supermarktparkplatz spaziert eine Dame mit rötlichen Haaren, SPÖ-Anstecker am Pullover und Papiernelke in der Hand, zum Auto. Sie muss wieder zurück nach Wien. Jedes Jahr gehe sie zum Maiaufmarsch und "wachelt" am Rathausplatz mit einem "Fahnderl", wenn dort die SPÖ-Spitze spricht. "Aber diesmal wollte ich nicht", sagt sie. Statt der "Beweihräucherung" von Rendi-Wagner wollte sie aber einen anderen reden hören: Andreas Babler.
Ihr Mann hat sie also nach Traiskirchen geführt, sie selbst hat keinen Führerschein. "Der Andi hat Emotion und Leidenschaft", findet sie. Er könne zwar sicher nicht all seine Forderungen durchsetzen, aber die Leute mitnehmen. Ob sie dem Bürgermeister aus Niederösterreich dann auch die Stimme bei der Mitgliederbefragung geben wird? "Hab ich schon."
Etwa eine Stunde davor kommt Babler am Hauptplatz von Traiskirchen an. Bis er den Weg zur Bühne schafft, dauert es. Hände werden geschüttelt, Selfies gemacht, Umarmungen und High-Fives verteilt. Ein älterer Mann lässt sich seine rote Schirmkappe von der Gewerkschaft unterschreiben.
Den Bürgermeister kennt und mag man offenbar. Traiskirchen ist der Höhepunkt unter Bablers Auftritten am 1. Mai. Am Vormittag sprach er bei der Maifeier in Krems-Lerchenfeld, am Nachmittag wird er Gerasdorf besuchen.
Wien: Anspruch auf die Kanzlerschaft
In ihrer Rede in Wien arbeitet sich Rendi-Wagner erst an der ÖVP ab, stellt den Anspruch auf die Kanzlerschaft nach der nächsten Nationalratswahl. Dann spricht sie die Querelen in der SPÖ an: "Die Zeit der internen Selbstbeschäftigung wird bald vorüber sein", verspricht Rendi-Wagner.
Danach könne man sich wieder den politischen Mitbewerbern entgegenstellen – denn dies sei die eigentliche Aufgabe der SPÖ. "Wir müssen stark sein, wir müssen stärker sein." Geschlossenheit sei die Voraussetzung, um das "Vertrauen der Menschen wiederzugewinnen". Applaus.
"Ja ja, schön wär's", murmelt eine Frau im Publikum. Buhrufe und Pfiffe, wie sie 2016 Werner Faymann zu hören bekam, bleiben Rendi-Wagner erspart. Protest in Form von Plakaten allerdings nicht: "Echte Mitbestimmung statt Stimmungsbild. Jetzt Basis an die Macht" und "Sozialdemokratinnen und Gewerkschafter für Parteidemokratie und Andi Babler" steht auf Transparenten, die während ihrer Rede entrollt werden. Rendi-Wagner ignoriert sie.
Eine andere Aktion geht aber dann doch zu weit: Als ein junger Mann einen Pizzakarton mit der Aufschrift "Pamela, der Kurs stimmt" trotz Aufforderung eines Security-Mitarbeiters nicht senken will, kommt es zu einem Handgemenge. Der Mann gibt sich später als Joseph Cyril Stoisits, SPÖ-Mitglied, Schauspieler und Neffe von Grünen-Politikerin Terezija Stoisits, zu erkennen, von seiner ironischen Anspielung auf die "Werner, der Kurs stimmt"-Taferln vom 1. Mai 2016 bleibt nur ein Fetzen übrig.
Aus dem Rathaus heißt es dazu, dass der Sicherheitsdienst für einen ordnungsgemäßen Ablauf der Veranstaltung zu sorgen habe. Dazu gehöre es auch, dass es keine Unmutsäußerungen gebe.
Traiskirchen: "Flamme" statt "Teelicht"
Unmut über die Parteiführung drückt einer ganz offen aus – wenn auch rund 30 Kilometer weiter südlich. Er wolle "die Sozialdemokratie wieder aufrichten", ruft Babler von der Bühne ins Mikrofon. Kernpunkte seiner Festrede überschneiden sich mit den parteiinternen Wahlkampfansprachen: Der Kampf gegen die Kinderarmut, die Gleichstellung von Frauen und mehr Geld fürs Gesundheitssystem stehen auf Bablers Agenda – die Arbeitszeit müsse verkürzt werden, nicht bezahle Überstunden und vorenthaltener Lohn doppelt nachbezahlt werden.
Bei seiner Forderung nach Vermögenssteuern wird Babler deutlich: "Wie schwach war die Sozialdemokratie in den letzten Jahren eigentlich?", fragt er die Besucherinnen und Besucher und erinnert an die vergangenen Wahlkämpfe seiner Partei.
Erst habe es geheißen, "wählt SPÖ, dann gibt es die Vermögenssteuer, dann, fünf Jahre später, hieß es Reichensteuer, dann zuletzt Millionärssteuer", regt sich der Bürgermeister auf. "Ich kann euch versprechen, wenn ich Vorsitzender bin, dann gibt es eine Bedingung für Koalitionsverhandlungen – und das ist: Vermögen zu besteuern."
Zuletzt sei die SPÖ nur noch ein "Teelichterl gewesen", sagt Babler. Nun müsse sie wieder "eine Flamme werden". Und erntet dafür auch Zuspruch aus dem Publikum.
Kobersdorf: Zusammenhalt im Burgenland
Für Einheit wirbt man auch im Burgenland: Es sei überwältigend, sagt der rote Vorsitzanwärter Doskozil. Der Marsch stehe symbolhaft für die Erfolge der Sozialdemokraten im Burgenland: "Weil wir zusammenhalten."
Was ist denn passiert in den vergangenen Jahren?, fragt Doskozil in Richtung der Genossinnen und Genossen. In der Sozialdemokratie sei man in den vergangenen Jahren vor allem froh und glücklich über Funktionen gewesen. Nur um den Kanzler zu erhalten, habe man Finanz- und Innenministerium hergegeben. "Nur die Bevölkerung hat nichts davon gehabt", moniert Doskozil. "Das muss sich ändern. Jetzt ist die Zeit gekommen. Deshalb bin ich diesen Schritt gegangen."
Ob es sich für den Burgenländer ausgezahlt hat, sich aus der Deckung zu wagen, wird man Ende Mai sehen. Noch genau eine Woche können die Genossinnen und Genossen abstimmen. Am 22. soll das Ergebnis des Mitgliedervotums feststehen. (Oona Kroisleitner, Jan Michael Marchat, Stefanie Rachbauer, 1.5.2023)