Der Papst und Premier Orbán sind etwas über Kreuz.

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Papst Franziskus hat am Sonntag einen dreitägigen Besuch in Ungarn beendet. Seine Appelle, Botschaften und Predigten bewegten sich zwar dem Wortlaut nach im Rahmen einer Pastoralvisite. In ihrer Tonalität und Wahrhaftigkeit konnten sie aber durchaus als schallende Kritik am illiberalen System des rechtspopulistischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán gedeutet werden.

In seiner Predigt auf dem Kossuth-Platz, dem Parlamentsvorplatz, rief Franziskus am Sonntag zehntausende Gläubige eindringlich dazu auf, sich gegenüber Notleidenden und Verfolgten zu öffnen. "Es ist traurig und tut weh, verschlossene Türen zu sehen", sagte er. "Die verschlossenen Türen unserer Gleichgültigkeit gegenüber denen, die in Leid und in Armut leben; die verschlossenen Türen gegenüber den Fremden, den anderen, den Migranten, den Armen."

Nur wer sich taub stellte, vermochte bei diesen Worten nicht an Orbáns Abschottungspolitik gegenüber Flüchtlingen und Migranten zu denken, die nicht aus Europa stammen. Schutzsuchenden, die Ungarn auf irregulärem Weg erreicht haben, ist das Stellen eines Asylantrags verwehrt, die Behörden schieben sie wieder illegal über die Grenze nach Serbien ab.

Päpstlicher Kontakt

Franziskus suchte ausdrücklich die Begegnung mit Menschen, die der Orbán-Staat ausgrenzt. Bei einem Treffen in der Elisabethkirche nahe dem Ostbahnhof sprach er am Samstag mit einer alleinerziehenden Roma-Frau und mit Vertretern einer christlichen Obdachlosen-Wohlfahrt.

Im Publikum saß ein Iraner, der mit seinem Sohn im Kindesalter eineinhalb Jahre lang in einem Internierungslager an der serbischen Grenze festgehalten worden war.

Schon beim Auftakt seiner Visite am Freitag ließ der katholische Oberhirte die Perspektive erahnen, aus der heraus er auf das Gastland blickt. "Politik entsteht aus der Stadt, aus der Polis", sagte er vor der versammelten Staatsspitze auf der Burg zu Buda. "Wenige Städte helfen uns beim Nachdenken darüber so sehr wie Budapest, das nicht nur eine vornehme und lebendige Hauptstadt ist, sondern auch ein zentraler Ort in der Geschichte."

Die "vornehme" Polis hatte sich Orbán als "Hauptstadt der ungarischen Nation" auserkoren, doch bei der Kommunalwahl 2019 ging sie an die vereinigte Opposition verloren.

Privataudienz

Seitdem zeigte sich, dass – trotz aller Behinderungen und Geldmittel-Abschöpfungen seitens der Orbán-Regierung – die Stadt und ihre Bezirke auch recht normal regiert werden können. Den links-grünen Budapester Oberbürgermeister Gergely Karácsony empfing Franziskus wenig später zu einer privaten Audienz.

Der Regierungschef und seine Propagandisten äußerten sich bis etwa 2021 kritisch, oft derb und abschätzig über Papst Franziskus. Sein christlicher Universalismus und sein Eintreten für unbedingte Nächstenliebe stehen in diametralem Gegensatz zur völkisch-identitären Ideologie der Orbán-Regierung. Doch im Lichte seines nunmehrigen Besuchs stellten die Orbán-Medien ihre Ausfälligkeiten gegen den Pontifex ein.

Begnadigter Terrorist

Premierminister Orbán wäre aber nicht Orbán, hätte nicht auch er eine Botschaft nach seiner Art für den Heiligen Vater vorbereitet gehabt. Am Vorabend des Besuchs amnestierte Staatspräsidentin Katalin Novák – sie gilt als Marionette Orbáns – den Rechtsterroristen György Budaházy. Dieser war wegen Brand- und Sprengstoffanschlägen auf Häuser linker und liberaler Politiker und wegen Mordplanungen zu einer Gefängnisstrafe verurteilt worden.

Novák berief sich bei seiner Begnadigung ausdrücklich auf den Anlass des Papstbesuchs. Noch in derselben Nacht war György Budaházy ein freier Mann. Gesinnungsfreunde brachten ihm ein Pferd vors Tor der Haftanstalt von Vác nahe der Hauptstadt Budapest. "Freiheit!" brüllend ritt er davon. (Gregor Mayer aus Budapest, 1.5.2023)