Das Video tauchte in einem Telegram-Channel namens "Basa" auf. Die Mitglieder des Kanals sollen in Verbindung mit russischen Sicherheitskräften stehen.

Foto: Basa, Telegram

Spektakuläre Videos zeigen die Detonation einer Drohne über dem Kreml. Rauchende Trümmer sind zu erkennen, als ein graues Fluggerät in einem Feuerball über dem Senatspalast explodiert.

Nach russischer Erzählweise soll die Ukraine in der Nacht vom 2. auf den 3. Mai versucht haben, mit zwei Drohnen Putins Residenz anzugreifen. Die Drohnen wurden von der Luftabwehr abgefangen. Der Schaden sei gering, teilte Moskau laut der staatlichen russischen Nachrichtenagentur Ria Nowosti mit. Dennoch sprach man von einem "Terroranschlag", und Forderungen nach Vergeltung wurden laut.

Die Ukrainer weisen die Urheberschaft des vermeintlichen Angriffs jedenfalls zurück. Deren Argumentation: Man kämpfe auf eigenem Territorium gegen die russische Invasion. Attacken gegen den Kreml wären aufgrund der bevorstehenden Frühlingsoffensive nicht hilfreich, hieß es.

Spurensuche

Doch was steckt dahinter, und können ukrainische Drohnen überhaupt Moskau erreichen? Die kurze Antwort: wahrscheinlich nicht. Die unbefriedigende Langversion: kommt drauf an. Es ist nämlich davon abhängig, was man überhaupt als Drohne klassifiziert.

Der Begriff "Drohne" ist äußerst unpräzise und wird seit dem russischen Angriff auf die Ukraine für alles verwendet, was nicht direkt von einem Piloten gelenkt wird. Das reicht von der zivilen Kameradrohne, die in der Ukraine zur Aufklärung eingesetzt wird, bis hin zu Waffen, die eigentlich eher Marschflugkörper sind, wie die von der Ukraine modifizierten Strizh aus den 1970er-Jahren.

Mit dem Turbojet nach Moskau

Letztere wäre tatsächlich in der Lage, den Kreml zu erreichen. Die Tu-141 Strizh ist eigentlich ein Museumsstück, das von der Ukraine mit Navigationssystemen und Sprengladungen aufgerüstet wurde. Die Aufklärungsdrohne aus den 1970er-Jahren ist im Grunde wenig mehr als ein Turbojet mit Delta- und Canardflügeln. In der ukrainischen Konfiguration ist sie eher ein Marschflugkörper als eine echte Drohne. Wurde sie zum "Angriff" auf den Kreml eingesetzt? Sicher nicht, denn die Explosion wäre deutlich größer gewesen. Außerdem ist die auf dem Video sichtbare Drohne deutlich kleiner als eine Tu-141.

Davon abgesehen ist es unwahrscheinlich, dass eine Strizh ins Herz von Moskau vordringen könnte – der Luftraum über der russischen Hauptstadt wird seit dem Angriff auf die Ukraine schwer überwacht. Aus Angst vor ukrainischen Angriffen steht seit geraumer Zeit eine Luftabwehrbatterie vom Typ Pantsir auf dem Dach des Verteidigungsministeriums. Eine Strizh wäre da ein leichtes Ziel, von dem von ihr verursachten Lärm im Anflug auf den Senatspalast einmal abgesehen.

Die Switchblade kann in einem Rucksack transportiert werden.
Foto: Cpl. Alexis Moradian, AP

Die Switchblade: zu klein

Es muss sich also um ein deutlich kleineres Fluggerät handeln, wohl eher um eine "klassische" Drohne. Doch welche? Eine Switchblade scheidet aus. Bei diesen Modellen handelt es sich um sogenannte Loitering Munitions, die Drohne "lauert" also in der Luft, bis Gegner in Reichweite kommen. Dann lenkt sie sich selbst ins Ziel und zündet den Gefechtskopf. Die Switchblade hat den Vorteil, dass sie in einem Rucksack transportiert und von einem einzelnen Soldaten gestartet werden kann. Aber: Kann diese Drohne Moskau erreichen? Nein. Eine Switchblade 300 hat eine Reichweite von nur zehn Kilometern und eine Flugdauer von 15 Minuten. Außerdem ist die Drohne auf dem Video deutlich größer als eine Switchblade.

Die Sparrow sieht anders aus

Es muss also eine Nummer größer sein, und da kommt die ukrainische Sparrow infrage. Doch war es der Nurflügler? Mit Sicherheit nicht, denn der "Spatz" hat eine Reichweite von maximal 120 Kilometern – und das nur, falls sie so modifiziert wurde, dass die Drohne automatisch ein Ziel ansteuert. Wird die Drohne von einem Operator gelenkt, dann beträgt ihr Einsatzradius nur 20 Kilometer. Außerdem ist die Drohne von Ukrspecexport ein Aufklärungsgerät. Technisch wäre es wahrscheinlich möglich, sie mit einem kleinen Gefechtskopf auszustatten, das würde aber das Gewicht erhöhen und die Reichweite noch weiter einschränken. Außerdem ist das, was da über dem Senatspalast explodierte, eindeutig mit rechteckigen Flügeln ausgestattet. Die Sparrow hat die Form eines Dreiecks.

Die Punisher: präzise, aber zu kurze Reichweite

Für einen Anschlag auf Putins Quartier im Kreml bräuchte es also etwas noch Größeres mit klassischen Tragflächen. Da kommt die ukrainische Punisher ins Spiel. Sie ist in der Lage, eine zwei Kilo schwere, aber ungelenkte Bombe vom Typ UB-75HE ins Ziel zu befördern. Die Punisher kann Ziele aus einer Höhe von 400 Metern dennoch auf vier Meter genau angreifen und bewegt sich mit annähernd 200 km/h. Doch auch hier kommt der Operationsradius ins Spiel: Das Fluggerät von Uadynamics hat nur 45 Kilometer Reichweite – und der Hersteller weist extra darauf hin, dass diese Werte nur bei Windstille erreicht werden.

Die Raybird-3 beim Start.
Foto: Skyeton

Die Raybird und die Heckflosse

Eine Drohne, die den Kreml erreichen soll, muss mindestens eine Distanz von 460 Kilometern zurücklegen können – und das am besten von der Luftabwehr unbemerkt. Das könnte die Raybird-3 der Ukraine theoretisch erreichen. Nach Herstellerangaben kann sie sich bis zu 28 Stunden in der Luft bleiben. Das ergibt bei einer durchschnittlichen Geschwindigkeit von 110 km/h eine theoretische Reichweite von über 3.080 Kilometern – in der Praxis dürfte dieser Wert aber allein aufgrund der Umwelteinflüsse deutlich darunter liegen. Aber: Die Raybird-3 kann eine Nutzlast von fünf Kilo tragen, wäre also für einen Angriff auf den Kreml theoretisch geeignet. Das Problem: Auf dem Video des Kreml ist zu erkennen, dass die Heckflosse der Drohne nach oben zeigt. Die beiden Heckflossen der Raybird-3 weisen aber nach unten.

Allzu viel ist nicht zu erkennen. Aber: Eine der Drohnen dürften die Form eines klassischen Flugzeugs gehabt haben.
Foto: Basa, Telegram

Die Aliexpress-Drohne

Bleibt noch die Mugin-5 Pro, die auch Aliexpress-Drohne genannt wird, weil sie erstens aus China kommt und zweitens über die Onlineplattform bestellt werden kann. Die russische als auch die ukrainische Seite haben die Drohne schon eingesetzt. So soll eine von der Ukraine mit einem Gefechtskopf ausgestattete Mugin-5 Pro für die Explosion eines russischen Treibstofflagers auf der Krim am 29. April dieses Jahres verantwortlich sein. Eine derartige Drohne könnte Moskau erreichen und eine Bombennutzlast von 25 Kilo ins Ziel bringen – und was gerne übersehen wird: Sie ist in derartigen Einsätzen praxiserprobt und hat sich als zuverlässig erwiesen.

Die türkische Bayraktar TB-2.
Foto: IMAGO/Paulius Peleckis, Scanpix

War es also eine mit 10.000 Euro nicht ganz günstige Mugin? Möglich, aber anhand der Bilder eher unwahrscheinlich. Die Kuppel des Senatspalasts hat einen Innendurchmesser von 24,7 Metern. Die Drohne im Anflug auf die Kuppel wirkt vergleichsweise relativ klein. Eine Mugin-5 Pro ist aber ein richtiges Schwergewicht unter den Drohnen, mit fünf Metern Spannweite sowie 3,5 Metern Länge. Aus diesem Grund scheidet die von der Ukraine vor allem in der Anfangsphase des Krieges häufig eingesetzte Bayraktar TB2 aus der Türkei ebenfalls aus, die fast zweimal so lang ist wie die Mugin-5. Der Einsatz einer PD-2 aus ukrainischer Produktion ist aus eben jenen Gründen eher unwahrscheinlich.

Fazit: Die von den ukrainischen Streitkräften eingesetzten "klassischen" Drohnen sind entweder nicht in der Lage, Moskau zu erreichen, oder passen nicht zu dem vom Kreml veröffentlichten Bildmaterial.

Militäranalysten gehen von russischer Inszenierung aus

Somit bleibt nur der Schluss, dass der Drohnenangriff von russischer Seite inszeniert wurde – davon sind auch internationale Militärexperten überzeugt. Laut dem Institute for the Study of War ist es höchst unwahrscheinlich, dass es zwei Drohnen unbehelligt von jeder Luftabwehr bis ins Herz des Kreml schaffen, um dann spektakulär vor den Kameras in Flammen aufzugehen, ohne wirklichen Schaden anzurichten. Außerdem seien die koordinierten und gleichlautenden Aussagen der Offiziellen aus dem Kreml ungewöhnlich, heißt es in einer Analyse.

"Russland hat diesen Angriff wahrscheinlich inszeniert, um die russische Öffentlichkeit auf den Krieg einzuschwören und die Voraussetzungen für eine breitere Mobilisierung der Gesellschaft zu schaffen", so der Bericht. Laut dem Militäranalysten Cedric Leighton ist es höchst unwahrscheinlich, dass die Drohne von ukrainischem Boden aus gestartet wurde, wie er gegenüber CNN erklärte. (Peter Zellinger, 4.5.2023)