Die Sonne spielt für Familie B. eine besondere Rolle. Wenn ihre Strahlen durch die große Glasscheibe des Wohnzimmers fallen, kommt das für ihr Haus alles andere als überraschend. Denn ihr Doppelhaus in Purkersdorf weiß schon zwei Tage im Voraus, wie das Wetter wird und dass beispielsweise mithilfe der Sonne am nächsten Tag die gewünschte Innentemperatur erreicht werden kann. Also reduziert es bereits am Vortag dementsprechend die benötigte Energie fürs Heizen. So überhitzen die Räume nicht, erklärt Energietechnikerin Magdalena Wolf von der Boku, die das Gebäude, das gleichzeitig ein Forschungsprojekt ist, genau untersucht.

Zwei Familien haben 2019 ein Doppelhaus in Purkersdorf mit Bauteilaktivierung bezogen.
Foto: Treberspurg & Partner

Klassische Raumtemperaturregler reagieren erst, wenn die Sonne bereits durch die Scheiben knallt; die Temperatur steigt meist über den Wert, den sich die Bewohnerinnen und Bewohner eigentlich wünschen. Anders bei Familie B.: Ihr Haus kann die vor Ort gewonnene Energie aus einer Photovoltaikanlage (PV) und einer Wärmepumpe mit Erdreichsonden sowie die passive Solarenergie im Haus nutzen und speichern. Dafür wird die thermische Speicherfähigkeit des Betons im Gebäude selbst genutzt, Fachleute sprechen von Bauteilaktivierung. Dafür wurden in den Decken des Hauses wasserführende Rohre verlegt, die heizen und kühlen können – und zwar nicht an der Oberfläche, wie bei einer Fußbodenheizung, sondern im Kern massiver Gebäudeteile. Insgesamt sind es in dem Haus in Purkersdorf 304 Quadratmeter aktivierte Deckenfläche.

Heizung als Back-up

Heizkörper gibt es im Haus von Familie B. also nicht. Jeder Raum kann dennoch individuell beheizt werden. Außerdem hat das Haus eine hochwärmegedämmte Gebäudehülle und eine Wohnraumlüftung mit Wärmerückgewinnung und – zur Sicherheit – eine zusätzliche Fußbodenheizung im Erdgeschoß. Denn als das südseitig ausgerichtete Haus aus Stahlbeton gebaut und 2019 bezogen wurde, war sich das ausführende Architekturbüro Treberspurg & Partner nicht hundertprozentig sicher, ob ihr Plan, das Haus nur mittels Bauteilaktivierung und wetterbasierter Steuerung zu versorgen, aufgehen würde.

Insgesamt gibt es 304 Quadratmeter aktivierte Deckenfläche.
Foto: Treberspurg & Partner

Doch es funktionierte, die Heizung aus der Decke reichte selbst im Winter aus und Familie B. hat ihre Fußbodenheizung bis heute kein einziges Mal gebraucht. Und auch die Ergebnisse aus dem Energiemonitoring können sich wahrlich sehen lassen: In den letzten vier Heizperioden lag der durchschnittliche, jährliche Wärmebedarf bei 17 Kilowattstunden pro Quadratmeter. Umgerechnet auf den derzeitigen Strompreis von etwa 40,5 Cent pro Kilowattstunde belaufen sich die Kosten fürs Heizen auf 1,70 Euro pro Quadratmeter und Jahr.

Wenn die Sonne aufgeht, weiß das Haus das längst.
Foto: Christoph Treberspurg

Ein weiterer Vorteil: Die aktivierten Bauteile speichern Wärme sehr lang. So kann die Wärmepumpe, die Strom braucht, genau dann arbeiten, wenn die PV-Anlage gerade erneuerbaren Strom erzeugt – abgegeben werden kann die Wärme durch die aktivierten Bauteile aber erst Stunden später.

Aktuell wird das Projekt Volkshilfe Hafen in Wien-Döbling bezogen.
Foto: Christoph Treberspurg

All das, was in Purkersdorf erprobt wurde, setzt Treberspurg & Partner aktuell in größerem Stil um. In Wien-Döbling ist in dieser Bauweise das Projekt Volkshilfe Hafen entstanden. Auch hier gibt es eine Bauteilaktivierung und eine prädiktive Wettersteuerung, deren Zusammenspiel mit der Gebäudehülle und den solaren Einträgen sowie den Grundwasserwärmepumpen laufend analysiert und optimiert wird.

Noch im Rohbau wurden die Rohre in den aktivierten Decken verlegt.
Foto: Treberspurg & Partner

40 Frauen unterschiedlicher Generationen ziehen hier aktuell ein. Auch ihre Energiekostenabrechnungen dürften überschaubar bleiben. Endlich könne man den Menschen unter dem Schlagwort "leistbares Wohnen" nicht mehr nur eine günstige Miete anbieten, sondern – unabhängig von explodierenden Gaspreisen – auch überschaubare Energiekosten, erklärt dazu Sebastian Spaun, Geschäftsführer der Vereinigung der österreichischen Zementindustrie, die im April eine Exkursion für interessierte Medienvertreter zu den drei Vorzeigeprojekten organisiert hatte.

Plus-Energie-Quartier

Das dritte im Bunde ist gleichzeitig das größte: Mit dem aktuell in Bau befindlichen Campo Breitenlee des Österreichischen Volkswohnungswerks in der Podhagskygasse entsteht ein gemeinnütziges Plus-Energie-Wohnquartier in Wien-Donaustadt.

Der Einzug ins Quartier Campo Breitenlee in Wien-Donaustadt ist für Ende 2024 geplant.
Foto: expressiv

325 Wohnungen werden hier bald mit Tiefenbohrungen und Brunnen in Kombination mit Wärmepumpen und Photovoltaik versorgt. Und auch hier gibt es Bauteilaktivierung mit wettergestützter Steuerung. Der Bezug ist für Ende 2024 geplant, und auch hier wird bei den zukünftigen Bewohnern die Freude wohl größer sein als bei den meisten, wenn morgens die Sonne zum Fenster hereinscheint. (Bernadette Redl, 6.5.2023)