Vor sieben Jahren wollte Gerhard Zeiler SPÖ-Chef werden. Heute blickt er mit gemischten Gefühlen auf seine Partei. Der Medienmanager ist mit dem Frühflieger aus London angereist. Den STANDARD empfängt er in seiner Wiener Wohnung zu einem Gespräch über Populismus, Kommunisten und den ORF.

Gerhard Zeiler über die Mitgliederbefragung: "Es ist nicht nur eine personelle Wahl, es ist eine inhaltliche Wahl."
Foto: Regine Hendrich

STANDARD: Ruiniert sich die SPÖ gerade selbst?

Zeiler: Man kann den Eindruck gewinnen. Aber die jetzige Situation, so unangenehm sie ist, bietet auch eine Chance. Die drei Kandidaten für den Vorsitz haben sehr unterschiedliche Standpunkte. Diese Mitgliederbefragung wird vorgeben, wohin die SPÖ in Zukunft geht: einen sehr linken Weg, der das derzeitige Wirtschaftssystem überwinden möchte? Einen Weg links der Mitte? Oder einen Weg eher rechts der Mitte, der jenem der FPÖ nicht so unähnlich ist – minus der Grauslichkeiten, die man mit dem Namen Herbert Kickl verbindet? Es ist nicht nur eine personelle Wahl, es ist eine inhaltliche Wahl.

STANDARD: Sie stimmen für Rendi-Wagner?

Zeiler: Das habe ich schon.

STANDARD: Sie haben gesagt: Sollte Hans Peter Doskozil das Rennen machen, wollen Sie aus der Partei austreten. Was stört Sie so sehr am burgenländischen Landeschef?

Zeiler: Ich habe das in einer spontanen Reaktion gesagt. Ich will das entdramatisieren: Ich würde mir sehr schwertun, für die SPÖ bei den nächsten Wahlen zu stimmen, wenn sie von Doskozil geführt wird. Er steht für einen populistischen Kurs. Einen, der jedem alles verspricht und viele staatliche Ressourcen benötigt. Mehr, als wir uns leisten können. Es gibt viele, die sagen, dass das im Burgenland so ähnlich ausgehen wird wie in Kärnten unter Jörg Haider. Dass die Politik Doskozils das Land in die Nähe des Bankrotts bringen wird. Außerdem denke ich nicht, dass er die Partei einen kann. Und ich tue mir schwer, jemanden zu wählen, der eine Koalition mit der FPÖ nicht zu hundert Prozent ausschließt.

STANDARD: Wen würden Sie wählen, wenn Doskozil die SPÖ anführt?

Zeiler: Ich werde in meinem Leben nicht die ÖVP wählen. Also bleiben nur zwei andere. Ich glaube, dass es nicht wenige gibt, die so denken wie ich.

STANDARD: Mit Salzburg steht das dritte Bundesland kurz vor einer schwarz-blauen Koalition. Was macht die FPÖ derzeit besser als die SPÖ?

Zeiler: Wir haben nach fast 20 Jahren Nullzinspolitik eine Teuerungswelle – zum Teil wegen des Kriegs Russlands gegen die Ukraine, aber auch aufgrund der Nachwirkungen der Pandemie. Es herrscht eine Inflation, die die meisten so noch nie erlebt haben. Leute wissen zum Teil nicht mehr, wie sie ihr Leben finanzieren sollen, die Wohnungspreise und die Energiekosten steigen enorm. Die FPÖ sagt: Wir werden das alles aus der Welt schaffen. Das ist Populismus, das ist nicht umsetzbar. Aber damit findet sie den Zugang zu Menschen, die sich fragen: Warum tut die Regierung nichts?

"Es ist ein Armutszeugnis für alle Parteien, dass sie nicht in der Lage sind, den Menschen zu sagen, dass es Schimären sind, die die FPÖ erzählt", sagt Gerhard Zeiler.
Foto: Regine Hendrich

STANDARD: Das sind alles sozialdemokratische Kernthemen. Ist das nicht ein Armutszeugnis für die SPÖ, dass sie damit nicht durchkommt?

Zeiler: Es ist ein Armutszeugnis für alle Parteien, dass sie nicht in der Lage sind, den Menschen zu sagen, dass es Schimären sind, die die FPÖ erzählt. Die SPÖ hätte die Möglichkeit gehabt, sich mit einer klaren Linie auszudrücken. Nur: Wenn die Parteivorsitzende ständig gefragt wird, was der burgenländische Kollege tut, ist es schwierig, mit Inhalten zu punkten.

STANDARD: In Salzburg hat die KPÖ gerade elf Prozent der Stimmen bekommen. Was kann die SPÖ von den Kommunisten lernen?

Zeiler: Kay-Michael Dankl ist zu den Menschen gegangen. Er hat an den Türen geklingelt und gefragt: Wo kann ich helfen? Das kann die SPÖ von der KPÖ lernen: rausgehen und mit den Menschen reden, sich manchmal auch beschimpfen lassen. Das gehört dazu.

STANDARD: Andreas Babler nennen Sie einen sympathischen Idealisten. Würden Sie eine Babler-SPÖ wählen?

Zeiler: Ja, aber ich halte einige Forderungen von ihm für falsch und nicht umsetzbar.

STANDARD: Die 32-Stunden-Woche?

Zeiler: Zur jetzigen Zeit ist die eine Illusion. Ich hoffe, dass wir durch den technologischen Fortschritt in zehn Jahren in der Lage sein werden, nur mehr 32 Stunden zu arbeiten. Aber heute fehlen uns in jeder Branche die Arbeitskräfte, wenn die Menschen weniger arbeiten, verschärft sich das Problem.

"Jedes Land sollte zwei Jahre von einer Frau regiert werden. Dann hätten wir einige Probleme weniger", sagt Gerhard Zeiler.
Foto: Regine Hendrich

STANDARD: Haben Sie ein Gefühl, wer die Mitgliederbefragung gewinnen wird?

Zeiler: Nein. Ich habe eine Hoffnung. Die SPÖ muss weiblicher und jünger werden. Jedes Land sollte zwei Jahre von einer Frau regiert werden. Dann hätten wir einige Probleme weniger. Das ist aber nicht der einzige Grund, warum ich für Rendi-Wagner bin.

STANDARD: Rendi-Wagners Kritiker werfen ihr vor, dass sie als Quereinsteigerin keine glühende Sozialdemokratin sei. Ist da nicht etwas dran?

Zeiler: Schon Bruno Kreisky hat gesagt: Wir brauchen auch Leute, die ein Stück des Weges mit uns gehen. Rendi-Wagner kann auch bürgerliche Wähler ansprechen. Das ist für eine SPÖ, die links der Mitte stehen will, keine schlechte Ausgangsposition.

STANDARD: Sie selbst waren ja 2016 als Parteichef im Gespräch ...

Zeiler: Die Antwort auf die Frage lautet: nein. Die Zeit, als ich gerne Parteivorsitzender gewesen wäre, ist lange vorbei.

STANDARD: Was hätten Sie anders gemacht, wären Sie Parteichef geworden?

Zeiler: Ich hatte damals Vorstellungen, wie sich die SPÖ aufstellen muss, um etwas bewirken zu können. Es gibt drei große Themen für die Sozialdemokratie. Erstens: Wir müssen unseren Kindern eine lebenswerte Welt erhalten. Zweitens: Die Welt muss gerechter werden. Wenn wir das nicht schaffen, werden wir Demokratie und Freiheit nicht aufrechterhalten können – und das ist der dritte Punkt. Ich habe in den USA gesehen, wie schnell es gehen kann, dass demokratische Institutionen in Gefahr sind.

STANDARD: In Österreich sehen Zeitungsherausgeber die Medienvielfalt durch die geplante ORF-Reform in Gefahr. Sie sind ein internationaler Medienmanager. Teilen Sie die Kritik?

Zeiler: Ich verstehe die Interessen der Zeitungsherausgeber. Die wichtigste Frage ist aber: Will man einen öffentlich-rechtlichen Rundfunk? Ich bin der Meinung: ja. Und dann muss auch die Bevölkerung dafür zahlen. Gleichzeitig muss die Diversität in der Zeitungslandschaft dem Staat etwas wert sein. Die Regierung muss einen finanziellen Ausgleich finden.

STANDARD: Halten Sie es für ein Versäumnis, dass der ORF-Stiftungsrat im Zuge dieser Reform nicht entpolitisiert wurde?

Zeiler: Ja, absolut.

STANDARD: Sie waren selbst vier Jahre lang ORF-Intendant. Wie abhängig ist der ORF von der Politik?

Zeiler: Natürlich ist der ORF von der Politik abhängig. Das heißt aber nicht, dass sich ein Politiker wünschen kann, was in der "ZiB" oder "ZiB2" über ihn und seine Partei berichtet wird. Der Großteil der Sendungen des ORF ist politisch unabhängig – so gut es geht. Es gibt hervorragende Formate. Ich schaue mir vor allem Nachrichten und Diskussionssendungen an.

STANDARD: "Dancing Stars" ist also eher nicht Ihr Format?

Zeiler: Wenn, dann "Let’s Dance"! (INTERVIEW: Oona Kroisleitner, Katharina Mittelstaedt, 5.5.2023)