Die Sozialmärkte verzeichnen hohen Zulauf. Immer mehr Menschen können sich Einkäufe zu Supermarktpreisen nicht mehr leisten.

Foto: Regine Hendrich

Immer mehr Menschen in Österreich sind von Armut betroffen. 210.000 Personen sind extrem arm: Der Geldmangel hat sich bei ihnen chronifiziert, sodass sie in allen Lebensbereichen schwer eingeschränkt sind. Ihre Wohnungen bleiben kalt, und sie müssen mit billigem, ungesundem Essen auskommen.

Eine weitere Million Menschen, jeder Achte bis Neunte, hat große Probleme, laufende Rechnungen zu begleichen. Die Ausgaben galoppieren den Löhnen und Sozialleistungen davon, während etwa die Energiekonzerne gut verdienen wie nie.

Die Bundesregierung aber hat die starke Teuerung lange nicht ernst genug genommen. Erst jetzt diskutieren Wirtschaftsminister Martin Kocher (ÖVP) mit der Wettbewerbsbehörde über eine Preisdatenbank und Sozialminister Johannes Rauch (Grüne) mit den großen Handelskonzernen über ihre Preispolitik.

Krise mit Vorlauf

Das ist zu wenig. Aufgrund der Teuerung ist Österreich drauf und dran, in eine soziale Krise zu schlittern, wie sie das Land seit der Mitte des vergangenen Jahrhunderts nicht erlebt hat. Es ist eine Krise mit Vorlauf: Zwar wurden, heuer Lohnsteigerungen ausgehandelt. Doch bei wichtigen Sozialleistungen, die Gefährdete vor dem Absturz in die Armut bewahren sollen, tritt man auf der Stelle.

So haben es ÖVP und Grüne nicht geschafft, die Arbeitslosen- und Notstandsunterstützung an die Inflationsentwicklung anzupassen. Auch der Sozialhilfe wurden die Giftzähne nicht gezogen, die ihr die türkis-blaue Vorgängerregierung implantiert hatte: Die Auszahlungen sind weiterhin um einiges niedriger als die bei rund 1.300 netto monatlich liegende Armutsgefährdungsgrenze. Zuletzt scheiterte auch die Mietpreisbremse, die überhöhte Wohnkosten, das derzeit wohl wichtigste Verarmungsrisiko, eingedämmt hätte.

Auf den Sozialstaat angewiesen

Hier wurden dringende Armutsbekämpfungsmaßnahmen versäumt. Das markiert ein Regierungsversagen, denn dass ärmere Schichten bei der herrschenden Teuerung nicht mitkommen würden, war absehbar. Das aber wurde ignoriert – vielleicht auch, weil vor allem für die ÖVP nicht sein darf, was sie nicht sehen will: dass Österreich auch ein Land vieler niedrigverdienender Menschen ist, die auf einen funktionierenden Sozialstaat angewiesen sind. (Irene Brickner, 6.5.2023)