Kabelsalat auf der Bühne: das Mahler-Projekt "Von der Liebe Tod".

Foto: Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

Ob wirklich alles anders gekommen wäre? Wären ihm für sein "opus 1", die Märchenkantate Das klagende Lied, der Beethoven-Preis und somit 600 Gulden zuerkannt worden, hätte sein ganzes Leben eine andere Wendung genommen, klagte Gustav Mahler einst einer Freundin. In Ermangelung des Preisgelds (heute knapp 10.000 Euro) musste der 20-Jährige die Kapellmeisterei zum Brotberuf machen; die diesbezügliche Karriere führte den ambitionierten, visionären Komponisten immerhin von Bad Hall bis ins Direktionsbüro des Hofoperntheaters in Wien.

In diesem wiederum konzipierte man 125 Jahre danach eine szenische Produktion zu Ehren des Ex-Chefs, in der man Das klagende Lied mit dessen Kindertotenliedern zu verbinden suchte. Im vergangenen September hatte Von der Liebe Tod Premiere, fürs szenische Zusammentackern zeichnete Calixto Bieito verantwortlich – seine nach Carmen und Tristan und Isolde dritte Arbeit unter der Direktion von Bogdan Roščić an der Staatsoper.

Digitalität statt Natur

Der Spanier hatte dafür genau eine Idee: Anstelle der Anbetung der Natur zeigt sich die Menschheit, jene vergötternd, in digitale Welten verstrickt. Aus dem Weidenbaum, dem Zeugen des Brudermords, wird ein Kabelbaum. Die Geschichte von der stolzen Königin, deren exquisites floristisches Verlangen die Untat zur Folge hat, ist für Unkundige leider kaum nachzuverfolgen. Stattdessen windet sich der Chor halbstundenlang im bunten Kabelgeäst: ein in jeder Hinsicht erbärmlicher Anblick. Und so war es hauptsächlich die Musik Mahlers, die die Vorstellung der neuen Spielserie am Samstagabend trug. Die expressiven, schillernden, theatralischen Klangwelten des Klagenden Lieds fanden in Lorenzo Viotti einen vitalen Anwalt, der das Staatsopernorchester zu muskulösen Höhepunkten animierte; der Chor berührte auch mit innigen, fragilen Momenten.

Kraft- und Charismazentrum des Abends war Florian Boesch, der speziell in den Kindertotenliedern mit opernhafter Wucht und kompletter seelischer Entblößung fesselte. Wem edle, schrammenfreie Kantilenenbögen aus Mahagoni lieber sind, der war bei Tanja Ariane Baumgartner gut aufgehoben. Einspringerin Ileana Tonca glänzte mit rund-schillernder Stimme, Kollege Daniel Jenz auch – der Tenor hing nur auf Regieanweisung lange in den Seilen. Gegensätzlich die Knabensolisten Jonathan Mertl und Johannes Pietsch. Nach Boeschs kindlich-kurzatmigem Falsettfinale trösteten die Celli auf balsamische Weise, der samtene Schlussakkord des Orchesters war ganz klanggewordene, allerletzte Geborgenheit. Jubel im Haus. (Stefan Ender, 7.5.2023)