Hans Peter Doskozil, Pamela Rendi-Wagner, Andreas Babler: Selbst gut vernetzte Parteiinsider trauen sich nicht zu wetten, wer die Nase vorn haben wird. Feststehen soll das Ergebnis am 22. Mai.

Foto: Heribert Corn (2), Regine Hendrich

Für Anton Pelinka steht die Favoritenrolle fest. Beim Kampf um die SPÖ-Spitze halte die Titelverteidigerin die Trümpfe in der Hand, glaubt der renommierte Politologe: Ein Sieg Pamela Rendi-Wagners sei "am wahrscheinlichsten".

Eine kühne Prognose, wie sie sich viele Rote nicht zutrauen. Einen Tag vor Ende der Mitgliederbefragung dominiert in der SPÖ Rätselraten. "Egal in welchem Lager: Kaum wer glaubt wirklich zu wissen, wie es ausgeht", sagt ein gut vernetzter Funktionär: "Man muss es so hart sagen: Wir haben von einem großen Teil unserer Basis wenig Ahnung."

Der Parteikenner teilt die Mitglieder, die seit 24. April zum Votum aufgerufen sind, in zwei Gruppen ein. Etwa ein Drittel stellten Funktionäre und andere mehr oder minder aktive Mitstreiter. In diesem Kreis sei die Stimmung wohl nach wie vor so, wie sie seit langem auch Journalisten wahrnehmen: Rendi-Wagner habe den Rückhalt verspielt. Ob Hans Peter Doskozil oder Andreas Babler vorn liegt, hänge vom jeweiligen Bundesland ab.

Mehr Stimmen entfallen aber auf die "stillen" Mitglieder: Vielfach über 60 Jahre alt, engagieren sich diese Menschen nicht politisch, sondern sind mutmaßlich oft einfach aus Tradition – etwa nach Vorbild der Eltern – bei der Partei. Und da gibt es plausible Argumente, warum gerade die aktuelle Chefin bei dieser weitgehend unbekannten Klientel reüssieren könnte.

· Was für Rendi-Wagner spricht Das liegt an jener Erzählung, die sie und ihr Team im innerparteilichen Wahlkampf, der offiziell nicht so heißen darf, präsentiert haben: Rendi-Wagner ist darin die Märtyrerin, die das Zeug zur ersten gewählten Kanzlerin hätte, stünde sie nicht unter Dauerbeschuss männlicher Heckenschützen. Geht man davon aus, dass sich ältere, unpolitischere Mitglieder weniger von strategischem Kalkül als Werten wie Loyalität leiten lassen, könnte die Strategie greifen. Denn darf man in einer ehrwürdigen Partei mit einer Vorsitzenden so umspringen, wie es der burgenländische Rivale tat?

Eindruck machen könnte überdies die große Unterstützung, die sie vonseiten offizieller (Ex-)Würdenträger genießt. Öffentlich für sie ausgesprochen haben sich nicht nur der Wiener Bürgermeister, die rote Frauenorganisation sowie Spitzengewerkschafter, sondern auch Altpolitiker wie Heinz Fischer, Franz Vranitzky und Michael Häupl. Die drei Herren sind nicht nur hochangesehen, sondern haben auch Wahlen gewonnen – im Gegensatz zu Doskozils Fürsprecher Christian Kern, wie Pelinka anmerkt.

Wer allerdings Schnitzer bei Rendi-Wagners Werben sucht, landet gerade beim Umgang mit Kern. Einen Widersacher charakterschwach zu nennen, raubt der eigenen Klage über Untergriffe Glaubwürdigkeit. Und die Amtsinhaberin hat den Unzufriedenen nicht wirklich ein Angebot gemacht. An ihrem Bundesgeschäftsführer Christian Deutsch, für Kritiker Inbegriff des Apparatschiks, hält sie fest.

· Was für Babler spricht Der jüngere der beiden Herausforderer ist dazu das glatte Gegenprogramm: Mit erfrischend hemdsärmeligen Auftritten – ob virtuell in sozialen Netzwerken oder live vor leibhaftigen Anhängern – machte Babler seinem Ruf als Rampensau alle Ehre. Weder Rendi-Wagner noch Doskozil verursachten derart großes Aufsehen in den Medien.

Das liegt auch an den Botschaften. Mit Ansagen wie einer 32-Stunden-Woche rührt der Traiskirchener Bürgermeister die Herzen jener, die in ihrer SPÖ endlich wieder eine linke Partei erkennen wollen. Doch womöglich gibt es neben der lautstarken Anhängerschaft in der Partei auch viele, die wie der Politologe Pelinka dahinter etwas anderes zu erkennen glauben: viel Utopie, die sich kaum umsetzen werden lasse.

· Was für Doskozil spricht Für Veränderung wirbt auch der Dritte im Bunde. Doskozil hat dabei den Vorteil, mit einem konkreten Modell werben zu können. Manches, was er – Stichwort Mindestlohn – für eine etwaige Kanzlerschaft verspricht, hat er im Burgenland vorexerziert, wenn auch unter anderen, simpleren Bedingungen. Wer realpolitisch kalkuliert, könnte sich von Doskozil überdies mehr innerparteiliche Durchschlagskraft versprechen: Während Babler eher Außenseiter ist, genießt Doskozil den Rückhalt mehrerer Landesorganisationen.

Bleibt noch ein zentrales Argument seiner Kampagne: Weil er der Einzige sei, der Wähler rechts der Mitte ansprechen könne, verkauft das Doskozil-Lager seinen Star als Garanten gegen ÖVP und FPÖ in der Regierung. Doch auch da stellt sich die Realismusfrage: Wie wahrscheinlich ist die propagierte Ampel, wenn laut Umfragen nach derzeitigem Stand zehn Prozent und mehr fehlen? (Gerald John, 9.5.2023)