Dicke Rohre mit Kaltwasser verlaufen durch die Kältezentrale Stubenring im Untergrund des Gebäudes in der Postgasse 8.

Foto: Christian Fischer

Im untersten Geschoß stehen die Kältemaschinen, mit denen das Donaukanalwasser im Sommer noch weiter heruntergekühlt wird.

Foto: Christian Fischer

Der glatte Asphalt lässt nichts mehr erahnen. Doch im Bereich der Fahrbahn, nur knapp neben dem Eingang zur Postgasse 8 im ersten Bezirk Wiens, lag vor nicht allzu langer Zeit das Grab eines sechs- bis siebenjähriges Mädchens aus dem vierten Jahrhundert frei. "Das Steinkistengrab war ungefähr hier", sagt Stadtarchäologin Kristina Adler-Wölfl und deutet mit ihrem Zeigefinger auf eine Stelle in der Fahrbahn. Adler-Wölfl führt eine kleine Gruppe Journalistinnen und Journalisten durch den ersten Bezirk und erzählt, wo Bagger welche geschichtlichen Zeugnisse ans Tageslicht befördert haben.

Dass dieser Fund ausgegraben wurde, dass er dokumentiert und beforscht werden kann, verdanken die Stadtarchäologinnen und Stadtarchäologen der Wien Energie. Der Energieversorger baut bereits seit einigen Jahren in der Innenstadt massiv die Fernkälteleitungen aus. Insbesondere im ersten Bezirk, da sich dort oder in der nahen Umgebung besonders viele (potenzielle) Kunden auf engem Raum befinden. Dabei handelt es sich zum Beispiel um Hotels und Krankenhäuser, Uni-Gebäude und Museen, aber auch die Staatsoper oder das Wien-Mitte-Center mit dem Village Cinema. Wohnflächen sind noch die Ausnahme. Die Wiener City ist zugleich im wahrsten Sinne des Wortes eine Fundgrube für die Stadtarchäologie. Diese ist wiederum davon abhängig, dass Straßenböden oder Innenhöfe aufgegraben werden.

Fünf Grad kaltes Wasser

Derzeit befindet sich zum Beispiel in der Fahrbahn des Fleischmarkts vor dem Hotel Post eine große Künette: ein etwa eineinhalb Meter breiter, 30 bis 40 Meter langer Leitungsgraben, dessen Seitenwände mit Holzbrettern gepölzt sind. In etwa drei bis vier Meter Tiefe werden dort zwei Stahlrohre verlegt, die mit einer dicken Isolation ummantelt sind. Ein Rohr beinhaltet rund fünf Grad kaltes Wasser, im zweiten Rohr fließt warmes Wasser zurück. Das eine Rohr führt seinen Inhalt in Gebäude, um die Räume dort zu kühlen. Das andere Rohr führt das Wasser zurück in die Kältezentrale.

Die Kältezentrale Stubenring befindet sich nur wenige Meter Luftlinie vom Fundort des Mädchenskeletts entfernt – allerdings in weit größerer Tiefe als die 1,5 Meter, in denen die Gebeine gefunden wurden. Unter der Alten Post, einem riesigen Altbaugebäudekomplex mit 7.700 Quadratmeter Bruttogeschoßfläche für Büros und Wohnungen, der seit mehr als drei Jahren saniert wird, wurde noch zwei Stockwerke unter dem Kellergeschoß in die Tiefe gegraben. Dieser Neubau unter dem Altbau bietet Platz für Kältemaschinen, Pumpen und Rohre. Im zweiten Untergeschoß surrt es. Im dritten Untergeschoß, wo die Kältemaschinen in Betrieb sind, dröhnt es wie in einem riesigen Kühlschrank.

Wichtige Rolle des Donaukanals

Wenn das Fernkältewasser warm aus den Gebäuden in die Zentrale zurückkommt, wird es wieder heruntergekühlt. Dafür wird im Sommer eine elektrischen Kältemaschine verwendet, in der beim Herunterkühlen des Wassers Abwärme entsteht. "Die Rückkühlung erfolgt mit Donaukanalwasser", erklärt Burkhard Hölzl, Fernkälte-Experte bei der Wien Energie. Das Donaukanalwasser, das also in der Kältezentrale für Kühlungsvorgänge zum Einsatz kommt, wird aus dem Kanal gepumpt und mehrfach gefiltert. Es wird dann maximal 10 Grad erwärmt wieder in den Kanal rückgeleitet.

Im Vollausbau der seit etwa einem Jahr Kälte ausliefernden Kältezentrale Stubenring – derzeit werden ja noch Leitungen verlegt, um mehr Kunden anzubinden – sollen dort rund 18 Megawatt Kälteleistung erzeugt werden. Mithilfe des kalten Wassers kann dann bei den Endkunden zum Beispiel eine Flächenkühlung in der Decke oder über Fußbodenheizungen erfolgen oder über Umluftkühlgeräte. Mit der Technologie spare man mindestens 50 Prozent der CO2-Emissionen im Vergleich zu herkömmlichen Klimaanlagen, gibt der Energieversorger an.

Auch am Schottenring und in der Renngasse stehen Kältezentralen für die Innenstadt. Weitere Anlagen befinden sich bei der Müllverbrennungsanlage Spittelau, beim Hauptbahnhof, bei Towntown und beim Austria Campus im Nordbahnviertel. Außerdem entsteht derzeit eine weitere Anlage beim Med-Uni-Campus, die 2024/25 in Betrieb gehen dürfte. Zusätzlich werden die Leitungen massiv ausgebaut.

Tieferes Vordringen

Stadtarchäologin Adler-Wölfl freut sich über den Fernkälteausbau ganz besonders. "Die Grabungen gehen oft tiefer als die üblichen 1,80 Meter", sagt sie. Außerdem seien sie wegen der Verlegung von zwei Rohren breiter, das mache das Arbeiten darin angenehmer. In dieser Tiefe seien die Funde meist am Übergang zur Spätantike anzusiedeln. In tiefere Schichten und in weiter zurückliegende Zeiten dringe man sonst meist nicht vor. Aber da die Einspeisung der Fernkälte oft in Kellergeschoßen erfolge oder eben die Kältezentralen zum Teil tief liegen, geht es in diesen Baugruben noch weiter in die Geschichte zurück.

Wenn die Bagger loslegen, um neue Baugruben auszuheben, sind im ersten Bezirk immer zwei, manchmal auch drei Stadtarchäologinnen und Stadtarchäologen vor Ort. In der Regel sichten sie nach dem erfolgten Aushub die freigelegten Seitenwände der Grube, legen Funde frei und fotografieren, beschreiben und dokumentieren diese. Manchmal, bei besonderen Funden, halten die Bagger auch an und lassen die Archäologen vor, bevor etwas zerstört wird. So war es beispielsweise beim Fund einer Bauninschrift in der Rotgasse, die beim Ausbau der Fernwärme zutage trat. Sie datiert aus dem vierten Jahrhundert und ist eines der Fundstücke, die ab 11. Mai bis Jahresende auch in einem kleinen Raum des Römermuseums am Hohen Markt zu sehen sein werden. Die Schau heißt "Viel Lärm um Geschichte – die Künetten Wiens" und zeigt, dass das Aufreißen von Straßen und Gehsteigen auch positive Seiten haben kann und welche Informationen dabei mitunter aus dem Untergrund geschält werden.

Die Gebeine des in der Postgasse entdeckten Mädchens werden im Übrigen irgendwann wieder bestattet. Andere, weniger wertvolle Funde werden nur dokumentiert und verzeichnet, dann aber wieder verschüttet. "Es ist wie ein Puzzlesteinsystem", sagt Stadtarchäologin Adler-Wölfl. "Man dokumentiert alles, was man in den Künetten gefunden hat, und irgendwann klärt sich wieder etwas auf", sagt sie. Wien Energie will sein Fernkältenetz weiter massiv ausbauen. Einige stadtarchäologische Puzzlesteine werden bis 2030 also jedenfalls noch dazukommen. (Gudrun Springer, 9.5.2023)