Wenn durch Blockaden Rettungskräfte behindert werden und Menschen Schaden nehmen, sind auch gerichtliche Strafen möglich. Notwehr ist nur innerhalb äußerst enger Grenzen erlaubt.

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Nach einer Protestaktion am Mittwoch steht die Klimaschutzgruppe Letzte Generation unter massiver Kritik: Ein Rettungsfahrzeug soll laut der Polizei durch die Aktion am Verteilerkreis in Wien-Favoriten blockiert worden sein. Der Patient, der reanimiert werden sollte, verstarb.

Noch ist die genaue Faktenlage unklar: Laut Angaben der Rettung war die Fahrbahn erst nach Einschreiten der Polizei frei, das Einsatzfahrzeug konnte die Fahrt aber nach einigen Minuten fortsetzen. Bevor die Wiener Retter in Niederösterreich ankamen, erhielten sie die Meldung, dass der Patient bereits von einem Notarzthubschrauber versorgt werde. Der Mann starb trotz aller Bemühungen am Einsatzort.

Aktivistinnen der "Letzten Generation" blockierten Anfang vergangener Woche vorübergehend den Währinger Gürtel in Wien. Wissenschaftler unterstützten die Aktion.
DER STANDARD

Inwiefern die Blockade die Versorgung des Patienten verzögert hat, bleibt vorerst unklar. Dasselbe gilt für die Frage, ob und zu welchem Zeitpunkt die Rettung für die Klimakleber wahrnehmbar war. Laut Landespolizeidirektion habe man die Aktivistinnen und Aktivisten "gemäß dem Strafgesetzbuch und der Straßenverkehrsordnung angezeigt". Die Ermittlungen laufen, für alle Beteiligten gilt die Unschuldsvermutung.

Frage: Sind reine Sitzblockaden strafbar?

Antwort: Bei reinen Sitzblockaden, die niemanden gefährden, drohen Klimakleberinnen und Klimaklebern Verwaltungsstrafen nach dem Versammlungsgesetz und nach der Straßenverkehrsordnung. Die Strafen können mehrere Hundert Euro ausmachen, auch kurze Freiheitsstrafen sind möglich. Das gerichtliche Strafrecht kommt – im Gegensatz zu Deutschland – aber grundsätzlich nicht zur Anwendung. In Deutschland gelten Straßenblockaden als Nötigung. Hierzulande ist das anders, weil reine Sitzblockaden laut Rechtsprechung nicht als Gewaltausübung gelten.

Frage: Und wenn jemand durch die Blockaden gefährdet oder verletzt wird?

Antwort: Wenn durch Blockaden Rettungskräfte behindert werden und Menschen Schaden nehmen, sind auch gerichtliche Strafen möglich. Infrage kommen etwa Delikte wie die Gefährdung der körperlichen Sicherheit oder die fahrlässige Körperverletzung. Ist ein Rettungswagen unmittelbar hinter den Aktivisten, sind im Extremfall sogar Vorsatzdelikte wie Körperverletzung denkbar, erklärte Alois Birklbauer, Strafrechtsprofessor an der Johannes-Kepler-Universität Linz, dem STANDARD. Voraussetzung dafür wäre allerdings, dass die Aktivisten bewusst in Kauf nehmen, dass Menschen zu Schaden kommen.

Frage: Von welchen Faktoren hängt die Strafbarkeit ab?

Antwort: Eine der entscheidenden Fragen ist, ob es zwischen der Blockade und der Verletzung oder dem Tod eines Patienten einen beweisbaren Zusammenhang gibt. Diese Frage der "Kausalität" wäre auch im aktuellen Fall relevant, ist laut den derzeit verfügbaren Informationen jedoch nicht zu beantworten. Relevant ist zudem die Frage, ob die Aktivistinnen und Aktivisten davon ausgehen mussten, dass Rettungskräfte vorbei müssen oder nicht.

Notwehr nur in Ausnahmen zulässig

Im Zuge einer zweiten Protestaktion kam es am Mittwoch beim Praterstern zu Attacken von Passanten gegen die Aktivistinnen und Aktivisten. Zuletzt sorgte ein Video für Aufsehen, auf dem ein Autofahrer auf dem Gehsteig an einer Klimablockade vorbeifährt und mit seiner Motorhaube gegen einen Aktivisten stößt.

Selbstjustiz ist aber freilich verboten – und Notwehr nur unter äußerst strengen Voraussetzungen zulässig. Im Fall von Klimablockaden sind nur wenige Situationen denkbar, in denen es erlaubt ist, Aktivisten wegzuzerren. In den allermeisten Fällen machen sich Autofahrer, die selbst aktiv werden, strafbar.

Frage: Warum dürfen Blockierte die Aktivisten in den meisten Fällen nicht selbst wegzerren?

Antwort: Damit Notwehr erlaubt ist, müsste ein "gegenwärtiger oder unmittelbar drohender rechtswidriger Angriff auf ein notwehrfähiges Rechtsgut" vorliegen, erklärt Klaus Schwaighofer, Professor für Strafrecht an der Universität Innsbruck. Die Freiheit ist zwar ein notwehrfähiges Rechtsgut, geschützt ist allerdings nur die Bewegungsfreiheit – wenn etwa jemand eingesperrt oder festgehalten wird. Durch eine Blockade wird diese Bewegungsfreiheit nicht beeinträchtigt. Schließlich könnten Autofahrer theoretisch aussteigen und zu Fuß weitergehen.

Frage: Wann wäre Notwehr erlaubt?

Notwehr wäre allenfalls dann erlaubt, wenn ein Autofahrer eine Person dringend ins Krankenhaus bringen muss und sich der Gesundheitszustand andernfalls erheblich verschlechtern würde, sagt Schwaighofer. Auch in diesem Extremfall wäre es jedoch nur dann erlaubt, Aktivisten selbst wegzuzerren, wenn die Polizei noch nicht vor Ort ist.

"Man könnte auch überlegen, ob ein Angriff auf das Vermögen vorliegt, wenn jemandem aufgrund der Blockade finanzielle Nachteile drohen", sagt Schwaighofer. "Da dürfte es aber meist schon an einer konkreten Gefahr für das Rechtsgut Vermögen fehlen. Außerdem läge hier in der Regel nur ein offensichtlich geringer Nachteil vor, sodass das Wegzerren mit der Gefahr einer Verletzung unangemessen und daher eine Überschreitung des Notwehrrechts wäre."

Frage: Nach welchen Delikten können sich einschreitende Autofahrer strafbar machen?

Antwort: Wenn Autofahrer die Klimakleber wegzerren, kommt vor allem das Delikt der Nötigung infrage, erklärt Strafverteidiger Alexander Stücklberger; wenn sie sie verletzen, auch vorsätzliche Körperverletzung. Fahren Autofahrer schnell auf Aktivisten zu und bremsen kurz davor ab, könnte zudem eine gefährliche Drohung vorliegen. (Jakob Pflügl, 11.5.2023)