Färben, spinnen, weben – die Textilbranche war im Habsburgerreich einer der blühendsten Industriezweige. Schon lange hat vielen Betrieben in den einstigen Hochburgen die letzte Stunde geschlagen
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Oliva wirkt filigran und elegant zugleich. Grün und Gold dominieren das Dekor, akkurat ordnet sich das geometrische Blattmuster auf schlichtem Weiß, schnörkellos ist die Form. Oliva entstammt der Designschmiede der Österreichischen Werkstätten, einer Nachfahrin der berühmten Wiener Werkstätten. Tassen, Schüsseln, Teller – im noblen Geschäftslokal in der Kärntner Straße, im Herzen von Wien, räumt man dem Geschirrset den gebührenden Rahmen ein. Ausgewählte Stücke, Regale mit elegant drapierten Gläsern – wenige Objekte, diese dafür ausgesucht, edel und teuer.

Das Ende des Unternehmens

Was das Wiener Großbürgertum einst überzeugte, ist auch heute für die betuchte Kundschaft gedacht. Pandora sticht ins Auge. Schwarz-grau das grafische Muster, das den in ein schwarzes Buch eingebetteten Stoff streng symmetrisch überzieht – nach einem Originalentwurf von Josef Hoffmann. Zu haben um 170 Euro pro Meter. Backhausen hat ihn hergestellt, wie die Signatur auf dem Buchdeckel erkennen lässt. Der einstige k. u. k. Hoflieferant spielte nach dem Niedergang der Wiener Werkstätte bei der Gründung der Österreichischen Werkstätten 1948 eine wichtige Rolle. Er beauftragte Stoffdesigns bei großen Künstlern wie Kolo Moser, Otto Wagner, Josef Olbrich, Josef Frank und Otto Prutscher – mehr als 300 lieferten über die Jahrzehnte Entwürfe.

Wertvolles Archiv

Backhausen besitzt einige Tausend wertvolle Originale, vor allem aus der Jugendstilzeit. Man hat auf sie immer wieder zurückgegriffen, weltweit fanden sie Anklang. Konzertbesucher der Santory Hall in Tokio versanken in den burgunderfarbenen, traubengemusterten, gepolsterten Stühlen, im Sanatorium in Purkersdorf fanden die Stoffe ebenso Verwendung wie im Brüssler Palais Stoclet. In den Mappen im Geschäft in der Kärntner Straße finden sich farbenfrohe Stoffmuster – streng symmetrisch oder von der Natur inspiriert. Jeder und jede hat sie schon irgendwo gesehen. Rau fühlen sich die Stoffe zwischen den Fingern an – angenehm auf dem Sitzmöbel.

Produktion seit 1870

Wie lange es sie noch gibt, ist offen – Backhausen sperrt Ende Juni die Fabrik in Hoheneich im Waldviertel zu. Seit 1870 wird dort produziert. Für die zuletzt 38 Beschäftigten wurde ein Sozialplan erarbeitet. Ende Juni werden sie ihren Job verlieren. Der Grund für den Schlussstrich ist das Ableben der letzten Firmeninhaberin, Louise Kiesling, Ende 2022. Die Modeabsolventin der Universität für angewandte Kunst in Wien und Nichte des Ex-VW-Großaktionärs Ferdinand Piëch hatte den 2012 nach reichlich turbulenter Investorensuche in den Konkurs geschlitterten Betrieb 2014 von einer Investorengruppe rund um den Ex-SPÖ-Kanzler Alfred Gusenbauer und der Hypo NÖ gekauft. Es war das Ende der Familie Backhausen im Unternehmen. Auf der Homepage verweisen die derzeitigen Chefs Andreas und Hubertus Kiesling auf die zum jetzigen Zeitpunkt "zu großen Fußstapfen, um von Nachfolgern besetzt zu werden".

Backhausen war schon immer eine feine Adresse – und beim Wiener Großbürgertum angesehen.
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Ein Industriezweig löst sich auf

Ein weiterer Dominostein fällt also. Kriege, Weltwirtschaftskrise, Billigkonkurrenz aus Fernost, strategische Fehlentscheidungen in manchen Betrieben, im Waldviertel der Fall des Eisernen Vorhangs: Die Textilindustrie hat über die Jahrzehnte ihre Bedeutung verloren. Heute gibt es in ganz Österreich noch einige Dutzend Webereien und manche Spezialisten, die sich neue Geschäftsfelder eröffneten. Wenige der einstigen Paradebetriebe überlebten, manche mithilfe internationaler Investoren. Die Entwicklung im Großen kann man im Kleinen in Groß-Siegharts, im Bezirk Waidhofen an der Thaya, nachzeichnen.

Rund um 1900 erfreute sich die Region reger Zuwanderung, alle fanden Arbeit in den dortigen Textilwerken. "Heute ist die Region ausgedünnt", sagt Lokalhistoriker Hans Widlroither. Um 1950 hatte Groß-Siegharts 4000 Einwohner, jetzt sind es 2600. Widlroither: "Aufgebaut wurden die Betriebe um 1850, die zweite Generation hat das fortgeführt, die dritte hat sich durchgefrettet bis zur Pension. Heute hat man sich abgefunden." Gab es einst in jeder zweiten Gasse einen Bäcker, findet man heute keinen mehr.

Großer Verlust

Für das Waldviertel sei die Schließung von Backhausen ein Riesenverlust, sagt Thomas Samhaber vom Textilmuseum Weitra. Selbiges befindet sich dort, wo einst die k. k. privilegierte Modewarenfabrik Hackl & Söhne wirkte. Heute tauchen dort, wo vor 100 Jahren Webstühle und Stickmaschinen liefen, Besucher und Besucherinnen in den Arbeitsalltag und die Lebenswelt um 1900 ein. Das waren Zeiten, in denen die Textilindustrie in Österreich in voller Blüte stand. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts gab es in der Monarchie mit Wien und Niederösterreich, Vorarlberg und der mährischen Region drei Landstriche, in der die Textilindustrie florierte. Schon davor boomte im Großraum Wien die Seidenindustrie, in Pottendorf wurde die erste große mechanische Spinnerei Österreichs eröffnet.

Vom Rheinland nach Wien

Der erste Backhausen, Jakob, kam damals aus dem deutsche Rheinland nach Wien. Angefangen hat er mit der Produktion von Seidenstoffen. Seine Söhne Carl und Johann Backhausen gründeten die Joh. Backhausen & Söhne. Sie statteten Parlament, Rathaus, Hofburg und Oper aus. Es waren gute Zeiten, um in Textilien zu machen. Um 1910 gab es laut dem Wirtschaftshistoriker Roman Sandgruber in der Habsburgermonarchie rund 130 Baumwollspinnereiunternehmen mit 200 Standorten und rund 550 Webfabriken. Viele Textilindustrielle zählten im Fin de Siècle in Wien zu den sehr Reichen, schreibt Sandgruber in seinem Buch Traumzeit für Millionäre. Zwischen 1850 bis 1900 war die Textilindustrie jene Branche mit der höchsten Beschäftigung. Für einzelne Betriebe arbeiteten in Spitzenzeiten bis zu 50.000 Menschen.

Die Stoffe fanden weltweit Anklang.
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Blühende Geschäfte

Die Geschäfte blühten, technische Entwicklungen trieben die Industrie voran. Die Zustände in vielen Fabriken waren für heutige Verhältnisse katastrophal. Vierzehn Stunden tägliche Arbeitszeit, Kinderarbeit in den Spinnereien. Auch damals gab es ökonomische Herausforderungen, sagt der Wirtschaftshistoriker Peter Eigner von der Uni Wien. "Wiener Betrieben wurde der Standort zu teuer, sie wanderten mit der Produktion ab." Backhausen etwa zog es, wie andere Textilbetriebe auch, ins Waldviertel. Dort gab es Arbeitskräfte – und es gab eine Eisenbahn. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts erlebte die gesamte Region einen Aufschwung und wurde als "Bandlkramerlandl" bekannt. Heute kämpft man um jeden Arbeitsplatz.

Zum Verlust kostbarer Arbeitsplätze komme der Schwund von Know-how, klagt Museumschef Thomas Samhaber "Kulturhistorisch ist das ein Super-GAU." In der Bankenbranche würde man das als "too big to fail" beschreiben. Doch für Waldviertler Traditionsbetriebe gebe es keine Lobby. Auf die heutigen Betreiber ist so mancher hier nicht gut zu sprechen. Von unwirtschaftlichem Betrieb zuletzt und wenig Interesse der Eigentümer an der Textilwirtschaft damals, bei der Investorensuche 2012, und heute erneut, spricht man hinter vorgehaltener Hand. Vor Ort bemüht man sich jetzt nun um eine regionale Lösung.

Nobler Nachlass

Im noblen Geschäft der Österreichischen Werkstätten in der Wiener Innenstadt sticht vor dem großen Fenster im ersten Stock eine Sitzgruppe mit Tischlein und zwei antik wirkenden Sesseln ins Auge. Die grüne Polsterung wird von weißen Linien durchzogen, sie wirken wie Pflanzenbilder. Auf einem Teppich thront ein Tisch aus Glas, darauf schwarze Mappen aus Stoff. Backhausen prangt dort in geschwungenen goldenen Lettern – noch. (Regina Bruckner, Magdalena Frei, 13.5.2023)