Zehn Jahre "Tagespresse", und kein Ende in Sicht: Fritz Jergitsch.

Foto: Regine Hendrich

Die lustigste Geschichte oder jene, auf die er am häufigsten angesprochen werde, ist ironischerweise eine, die er nicht selbst geschrieben hat. "Ex-Grünen-Chefin Eva Glawischnig geht zu Novomatic" titelten die Medien am 2. März 2018. "Ich bin einfach auf derStandard.at gegangen und habe die APA-Meldung runterkopiert", sagt Fritz Jergitsch. Was bis zu diesem Zeitpunkt als beste Satire durchgegangen wäre, wurde damals Realität. Copy, paste, und fertig ist die Geschichte. Ein gefundenes Fressen für Fritz Jergitsch. "Das ist die einzige Meldung auf tagespresse.at, die wir nicht selbst geschrieben haben."

Vor zehn Jahren als One-Man-Show von Fritz Jergitsch gegründet, ist die Tagespresse mit zehn Mitarbeitern mittlerweile fixer Bestandteil von Österreichs Medienwelt. Neben dem Onlinemagazin gibt es noch Bücher, Theaterstücke oder Merchandising-Artikel. Am 19. Mai feiert die Tagespresse im Wiener Rabenhoftheater Zehn-Jahr-Jubiläum. Mit der Präsentation eines neuen Buches – wie es sich gehört.

Grundstein für ein Erfolgsmodell

"Ich bin im Wohnzimmer meiner Mama gesessen, habe Texte geschrieben und geschaut, was passiert", erinnert sich der heute 32-jährige Fritz Jergitsch über die Anfänge von damals. "Es war viel dilettantischer. Die Qualität der Texte war wesentlich schlechter." Und dennoch: Der Grundstein für ein Erfolgsmodell war gelegt, und die Leute wurden reihenweise genarrt.

"Snowden in Wien gelandet: Vertraut in Trägheit der Justiz" (26, Juni 2013)

Im Jahr 2013 sorgte eine Meldung über einen angeblichen Aufenthalt des Whistleblowers Edward Snowden in Wien für Aufregung. Internationale Medien fragten beim Außenministerium nach, ob die Information denn stimme. Dass der Artikel Snowden in Wien gelandet: Vertraut in Trägheit der Justiz Satire ist, war nicht allen klar. Das spricht nicht für Österreich. "Das war surreal." Heute ließen sich die Leute nicht mehr so einfach hinters Licht führen, sagt Jergitsch. Man kennt die Tagespresse. Und das macht sich bezahlt.

10.500 Abonnentinnen und Abonnenten

Zuerst finanziert über Onlinewerbung, zählt die Tagespresse derzeit 10.500 Abonnentinnen und Abonnenten. Sie zahlen monatlich zwischen drei und sechs Euro. "Das macht uns unabhängig von Werbung und Inseraten", so Jergitsch.

Auf Onlinewerbung verzichtet die Tagespresse komplett. Erstens, weil sie es sich leisten kann, und zweitens aus Datenschutzgründen. "Wir sehen die Datensammlerei kritisch." Über soziale Medien groß geworden, hat sich die Tagespresse von Mark Zuckerbergs Algorithmusschraube längst emanzipiert. Waren es anfangs 90 Prozent, so kommen jetzt nur noch 30 Prozent der Zugriffe via Facebook und Co. Der Rest direkt über die Seite oder die App.

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Sollte Herbert Kickl Bundeskanzler werden

Für Journalismus seien Abos das beste Modell, weil sie die Unabhängigkeit garantieren, sagt Jergitsch in Richtung der Boulevardmedien und des Vorwurfs der Inseratenkorruption. Er verweist auf einen möglichen Machtwechsel nach der Nationalratswahl 2024. "Sollte Herbert Kickl Bundeskanzler werden, kann ich mir nicht vorstellen, dass er dem STANDARD, Falter oder einem Medium links der Mitte noch einen Cent zuschanzen wird. Ob in Form von Förderungen oder Inseraten." Ein Medium, das sich über seine Leserschaft finanziert, sei für die Politik nicht angreifbar.

Angegriffen haben das Tagespresse-Team rund um das Chefredaktionstrio Jergitsch, Sebastian Huber und Jürgen Marschal viele. Geklagt wurden sie bis jetzt noch nie. Mitte April hat die Tagespresse Fake-Briefe zur Wirtshausprämie in Niederösterreich verschickt, und die FPÖ als Absender angegeben. Den Wirten wurde etwa geraten, ein "Gabalier-Fleischlaberl" zu servieren, um die Prämie zu erhalten. Die FPÖ kündigte eine Klage an. Die Tagespresse wartet noch immer darauf. Die Hemmung, ein Satiremedium zu klagen, dürfte groß sein. Politiker wollen nicht humorlos dastehen, weil jemand einen Witz über sie macht.

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Missstände aufdecken und nicht nach unten treten

Ob er Ex-Kanzler Sebastian Kurz und dessen Entourage als Zielscheibe seiner Satire vermisst? "Das ist, wie einen Unfallchirurgen zu fragen, ob er die schwerverletzten Unfallopfer vermisst", sagt Jergitsch. Kurz sei aber sehr leicht zu persiflieren.

"Wir müssen hinter der Botschaft der Artikel stehen", gibt Jergitsch als Devise aus. "Bei drastischen Themen ist ein härterer Witz gerechtfertigt." Ob er irgendeine Geschichte im Laufe der Jahre bereut? Bereuen sei zu viel gesagt, aber: Plagiatsverdacht: Hat Gabalier bei seinem Sonderschulabschluss abgeschrieben?. Das würde er so nicht mehr bringen. Nicht wegen Andreas Gabaliers Gefühlen, sondern: "Satire sollte nicht auf Kosten von Menschen gehen, die in der Sonderschule sind." Ein Satz, der das Credo gut zum Ausdruck bringt. Satire müsse "die da oben verarschen und trollen", Missstände aufdecken und nicht nach unten treten.

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Nach oben getreten haben Jergitsch und Co oft genug. Etwa bei der Klage gegen Andreas Hanger. Der ÖVP-Abgeordnete würde sich als Politiker ausgeben, obwohl er Satiriker sei. Ein Etikettenschwindel.

Fehler werden korrigiert

Ein bisschen Bauchweh hat Jergitsch, wenn er an den Hoax zur vermeintlichen Kandidatur Frank Stronachs bei der Bundespräsidentenwahl 2022 denkt. Die Tagespresse hatte eine Pressemitteilung und die Homepage gefälscht. Jergitsch gab sich bei telefonischen Rückfragen als Stronachs Pressesprecher aus. Die Meldung landete auf vielen Nachrichtenportalen des Landes. Die APA hat sie auch geschrieben, aber bald wieder zurückgezogen. "Das ist ein Kennzeichen von Qualitätsmedien, dass Fehler auch korrigiert werden", lobt Jergitsch. "Der Exxpress zieht seine Fake News nicht zurück. Dort liest du bis heute, dass die Nato in die Ukraine HIV-Konserven geliefert hat."

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Inspiration liefert Jergitsch auch das STANDARD-Forum. Fluch und Segen zugleich. "Das Forum schießt uns einmal im Monat eine gute Headline ab." Es sei extrem unangenehm, wenn der Witz schon kursiert. Ob in einem Forum oder beispielsweise auf Twitter. "Die Leute denken dann, dass du das abgeschrieben hast." Es gehe um die Reputation. Sein Appell: keine Witze mehr im STANDARD-Forum. (Oliver Mark, 13.5.2023)