In "Pieces of a Woman" verläuft die Hausgeburt, die sich Maja (Justyna Wasilewska) wünscht, nicht nach Plan.

Natalia Kabanow

Familienzusammenkunft mit Elefanten im Raum: "Pieces of a Woman".

Foto: Natalia Kabanow

Von der Trauerarbeit nach dem Tod eines Neugeborenen handelt Kata Wébers Theaterstück Pieces of a Woman, das 2018 am TR Warszawa Uraufführung hatte. Die Hausgeburt, zu der sich die junge Mutter entschieden hatte, endet unabsehbar mit einer fötalen Anoxie, einer tödlichen Sauerstoffunterversorgung des Babys. Die Inszenierung von Kornél Mundruczó, die bereits in mehreren europäischen Städten gastierte, darunter auch beim Festival in Avignon, feierte nun am Sonntagabend bei den Wiener Festwochen Österreich-Premiere im Akademietheater.

Wiener Festwochen

Mundruczós Inszenierungen finden immer wieder sowohl als Film als auch im Theater ihre Ausprägung, so war schon sein allererstes Festwochen-Gastspiel 2009, das Frankenstein-Projekt, beides. Auch Pieces of a Woman machte vor allem als Netflix-Filmproduktion mit Vanessa Kirby und Shia LaBeouf so richtig Furore, es gab gar eine Oscar-Nominierung für die Hauptdarstellerin. Die Diskrepanz zwischen der polnischen Theateraufführung und der für einen internationalen Markt gedachten amerikanischen Filmproduktion ist beträchtlich.

Pressatmung

Verlegt der Film (2020) das Geschehen in eine wohlhabende Bostoner Familie mit jüdischen Wurzeln, so fokussiert die Warschauer Bühnenarbeit – sie wurde vom Wiener Publikum nach zwei Stunden zwanzig begeistert akklamiert – auf eine mittelständische Arbeiterfamilie, in der Katholizismus und Nationalismus mit am Tisch sitzen.

Den ersten Akt, die Hausgeburt, bannt Mundruczó in eine lange Filmsequenz, die von der Wohnung nach draußen auf die weiße Hausfassade projiziert wird. Hinter dieser fiebert das junge Paar seiner Elternschaft entgegen. Alles und jedes unterliegt hier den heftigen Entspannungs- und Pressatemstößen der werdenden Mutter (Justyna Wasilewska). Die Schauspielerinnen und Schauspieler agieren ganz naturalistisch-identifikatorisch, kein Schrei, kein Schmerz wird ausgespart, jedes verzagte Manöver von Ehemann oder Hebamme auf Leinwand vergrößert. Dieser filmrealistische Anspruch bleibt aber im Vergleich zum Film eher hilflos.

Konfliktbereite Angehörige

Da macht sich der zweite Akt, das Familientreffen bei der (verhinderten) Großmutter, schon besser. Aufeinandertreffende, konfliktbereite Verwandte sind nun einmal der Trumpf jedes Kammerspiels. Hier entfaltet Mundruczó alles, leider zu viel, was ein Familiendrama an Emotionen und Spannungen so hergibt. Die bereits leicht von Demenz geplagte Oma hat eine Ente im Rohr, ihre beiden Töchter samt den Ehemännern sind geladen, ebenso die Cousine, eine erfolgreiche Juristin, die eine Klage gegen die Hebamme als erfolgreich einstuft.

Familienzusammenkunft mit Elefanten im Raum: "Pieces of a Woman".
Foto: Natalia Kabanow

Doch darum geht es lange Zeit nicht. Vielmehr sitzt hier ein zwiegespaltenes Polen versammelt, in dem Ressentiments gegen Nicht-Polen genauso spürbar sind wie auch die katholisch verbrämte "Schande" eines plötzlichen Kindstodes, über den getuschelt wird und gegen den die Großmutter auf rechtlichem Weg vorgehen möchte.

Mundruczó schraubt dabei an den Temperamenten der hier Anwesenden bis zur Karikatur. Das trifft insbesondere die Männerrollen, die (beginnend mit dem werdenden Vater, der sich zum Stressabbau bei der Geburt eine kleine Zigarette gönnt) als verhaltensauffällige Nichtsnutze ohne Manieren daherkommen: vermessen in ihren Anbaggermanövern, chauvinistisch (Du weißt nicht, was Nasa heißt, oder?) und latent aggressiv. Majas Mann bekommt gar den Hundedreck, in den er gestiegen ist, von der Cousine abgeputzt. Scheint normal zu sein.

Leichtfüßigkeit

Auffallend viele solcher Mätzchen kreisen den erst spät zur Sprache kommende Kindstod ein. Dadurch wird das Drama leichtfüßiger, entwickelt nicht den melancholischen Sog der Filmfassung. Wo eine Wohnung auf dem Theater, dort auch ein Plattenspieler – und hier wird irgendwann die dynamische Glücksschnulze Felicita von Al Bano und Romina Power von der Leine gelassen.

Damit sucht die Inszenierung – etwas holzhammerhaft – nach einer Leichtigkeit im Sinne der Hauptfigur, der trauernden Mutter, die ihre Trauer weder zur Schau stellt noch aus ihr Rache gewinnen und schon gar keine "Entschädigung" in Betracht ziehen will. Die aber im Andenken an ihr Baby, so gut es geht, positiv weiterzuleben versucht. In Summe ein hingebungsvoller, aber auch unstimmiger Abend. (Margarete Affenzeller, 16.5.2023)