Time-Slots gibt es in immer mehr Wiener Lokalen. Sie treffen nicht den Geschmack jeden Gastes.

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Der Wiener Gastronomie geht es nicht schlecht. Ein Blick in die Cafés, Restaurants und Wirtshäuser der Stadt genügt, um festzustellen, dass nach Lockdowns und Social Distancing endlich wieder das Geschirr klappert. Eigentlich eine gute Nachricht. Um einen Tisch zu ergattern, heißt es nun aber wieder länger warten oder gut vorausplanen. Dem Andrang geschuldet, setzt sich ein Trend fort, der eigentlich schon vor der Pandemie aufkam: Plätze werden nur auf begrenzte Zeit vergeben.

Die Time-Slots von eineinhalb oder zwei Stunden treffen nicht den Geschmack jeden Gastes. Gutes Essen in guter Gesellschaft will nämlich stressfrei genossen werden. Ein Zeitlimit kann das Frühstück mit Freunden oder das gepflegte Abendessen in illustrer Runde schon mal vermiesen. Spätestens wenn die Servicekraft die Rechnung an den Tisch bringt, bevor man eine Nachspeise bestellen konnte, hört sich der Spaß auf: "Geht gar nicht", "Frechheit", "Nie wieder" ist auf Social Media zu lesen, und mit Bewertungssternen wird demonstrativ gegeizt.

Internationaler Trend

Was im angloamerikanischen Raum gängige Praxis ist, scheint mit der über Generationen eingeübten Wiener Kaffeehausmentalität so gar nicht zusammenzugehen. Aber keine Sorge, die Bastion Kaffeehaus ist noch nicht gefallen. Die Melange darf vielerorts nach wie vor über Stunden hinweg genüsslich genippt werden. Grantige Blicke vom Ober gibt es so oder so gratis dazu.

Anders ist es im Fine-Dining-Bereich: Angesichts happiger Preise stoßen Time-Slots manchen Gästen sauer auf. Spitzenkoch Wolfgang Zankl-Sertl setzt in seinem kleinen Lokal Pramerl & The Wolf, das mit einem Michelin-Stern ausgezeichnet ist, seit Jahren auf Doppelbelegungen: "Anfangs haben wir Reservierungen nur telefonisch entgegengenommen. Gäste, die kurzfristig anfragten, versuchten wir trotzdem unterzubringen. So kam es zu den Time-Slots."

Das Pramerl & The Wolf setzt schon seit Jahren auf Doppelbelegungen.

Zankl-Sertl versteht die Doppelbelegungen, die inzwischen über ein Onlinesystem vergeben werden, als "Dienst am Gast". Somit können mehr Menschen bei ihm essen, auch zu stark frequentierten Zeiten. Der Betrieb sei zudem effektiver. Ähnlich argumentieren andere Wiener Speiselokale, wie etwa die Pizzeria Via Toledo im achten Bezirk, die Tische für eineinhalb Stunden vergibt, oder das hippe Mama Liu and Sons in der Gumpendorfer Straße.

Auch im kürzlich nahe dem Kunsthistorischen Museum eröffneten Sil sind Reservierungen zeitlich begrenzt. In Instagram-tauglicher Manier eingerichtet, sei das Sil kein Kaffeehaus im klassischen Sinn, sondern ein Frühstückslokal, das besonders an Wochenenden sehr stark besucht wird, erklärt Geschäftsführer Mykola Antonishen.

Zeit ist Geld

Wirtschaftliche Überlegungen spielten bei den Time-Slots natürlich eine Rolle: "An Wochenenden machen wir damit zwischen 30 und 50 Prozent mehr Umsatz. Das ist ein großer Unterschied." Preissteigerungen bei Energie, Mieten, Lebensmitteln und Personal könnten dadurch abgefedert werden. Dass das System gerade für einheimische Gäste gewöhnungsbedürftig ist, kann Antonishen teilweise nachvollziehen. Die Kritik der Kundschaft hält sich aber in Grenzen: "Wenn wir von hundert Gästen reden, dann ist darunter vielleicht ein Gast, der sich über die Time-Slots wundert. Wir weisen online ausdrücklich darauf hin." Sollte jemand länger als zwei Stunden bleiben wollen, versuche man dem Wunsch nachzukommen. Unter der Woche sei das meistens kein Problem.

Das Sil punktet mit stylischem Interieur. Time-Slots nehmen die Gäste dafür gerne in Kauf, zumindest die meisten.

Auch im Pramerl & The Wolf stoßen die Time-Slots nicht immer auf Gegenliebe: "Für internationales Publikum, Geschäftsleute und Touristen, die nun wieder nach Wien kommen, ist das eine Selbstverständlichkeit. Manche Einheimische denken allerdings, das Zeitlimit sei ein Spaß – und sie bleiben so lange sitzen, bis die nächsten Gäste auftauchen", so Zankl-Sertl. Dabei hätten die an Wochenenden angebotenen "Early-Bird-Menüs" auch für den Gast Vorteile: Das Angebot ist etwas preisgünstiger als das "Prime-Time-Menü", und nach dem Essen ist der Abend noch immer jung: "Touristen nützen den Slot, weil sie danach noch etwas von der Stadt sehen wollen."

Vieles deutet darauf hin, dass Time-Slots gekommen sind, um zu bleiben. Die Wienerinnen und Wiener werden sich wohl daran gewöhnen müssen. Für alle, die es lieber entspannter angehen, ohne die Uhr im Auge zu behalten, gibt es nach wie vor viele Alternativen. Selbst in Lokalen, die Time-Slots vergeben, ist die abendliche Zweitbelegung mit open end. Um diese Tische muss man sich allerdings rechtzeitig bemühen, in begehrten Restaurants oftmals schon Wochen davor – alles eben eine Frage der Zeit. (Gerald Zagler, 15.5.2023)