Die gesamte westliche Welt (EU, USA, UK an der Spitze) stellt sich gegen den Angriff auf den Frieden durch den russischen Überfall auf die Ukraine. Die gesamte westliche Welt? Ein kleiner Schlaumeierstaat namens Österreich macht zwar vordergründig brav mit, versucht sich aber im Hintergrund unter Berufung auf die Neutralität herauszuwinden.

Die österreichische Bundesregierung möchte das Bundesheer nicht Minen in der Ukraine suchen lassen – wohlgemerkt nicht in unmittelbarer Frontnähe, sondern in jenem Teil des Landes, der kurzfristig in russischer Hand war. Dort geht es nicht mehr um ungehinderte Truppenbewegungen, sondern um Agrarwirtschaft und Schutz von Zivilisten. Bundespräsident Alexander Van der Bellen hat sich ungewöhnlich deutlich für die Minensuchhilfe ausgesprochen, doch die Kanzlerpartei ÖVP will nicht.

Will einen "Pakt für Neutralität und Souveränität": FPÖ-Chef Herbert Kickl.
Foto: Reuters/Leonhard Foeger

Gleichzeitig startet die künftige Regierungs- oder gar Kanzlerpartei FPÖ eine Kampagne, um Österreich endgültig auf einen russischen bzw. ungarischen Kurs zu bringen, der am Ende wohl aus der EU hinausführen wird.

Wer das nicht glaubt, hat die Initiative von Parteichef Herbert Kickl und Generalsekretär Christian Hafenecker verschlafen, die beide eine außenpolitische Totalwendung anstreben, die sogar durch eine Verfassungsänderung abgesichert werden soll. Kickl forderte kürzlich einen "Pakt für Neutralität und Souveränität", der einen Schutzstatus vor den überbordenden Eingriffs- und Einflussmöglichkeiten der EU bieten soll – besonders gegen die "gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik, die ohnehin schon fast mit jener der Nato ident" sei.

Verharmlosungen und Liebesbezeugungen

Daher solle der Artikel 1 der Bundesverfassung umformuliert werden in: "Österreich ist eine demokratische, wehrhafte, immerwährend neutrale, souveräne Republik." Klingt doch gut, oder? Nicht, wenn man die laufenden Erklärungen der FPÖ studiert, mit ihren ständigen Angriffen gegen die EU und die Nato, den Verharmlosungen Wladimir Putins und den Liebesbezeugungen für Viktor Orbán, den antidemokratischen, prorussischen Autokraten. "Souverän" heißt in Übersetzung aus der FPÖ-Sprache "los von der EU", und "Pakt für Neutralität" heißt "Schwenk zur russischen Politik". Europas Rechtsextreme bewundern Putin (und werden von ihm finanziert), die FPÖ hatte einen Freundschaftsvertrag mit der Putin-Partei "Einiges Russland" (laut Hafenecker "ausgelaufen"). Mittlerweile fantasiert der Vizepräsident des russischen Sicherheitsrats, Dimitri Medwedew, von Atomschlägen auf Westeuropa und erklärt, dass die baltischen Staaten ohnehin zu Russland gehören. Polen werde sich auch noch wundern.

Man muss die FPÖ ernst nehmen, auch in dieser Sache. Wenn sie an die Macht kommt, werden sich "viele wundern, was geht", auch außenpolitisch. Umso beunruhigender, dass auch die einstige Europapartei ÖVP beginnt, gegen die EU zu stänkern, und sich weigert, die Neutralität angesichts der existenziellen Bedrohung des freien Europa durch Russland zeitgemäß zu interpretieren. Um das geht es nämlich: eine zeitgemäße Interpretation, eine Modernisierung der Neutralität angesichts des russischen Neoimperialismus.

Schweden und Finnland haben sich nach jahrhunderte- und jahrzehntelanger Bündnisfreiheit blitzartig entschlossen, der Nato beizutreten. Eine so dramatische Wendung sollte auch Österreich zu denken geben. Dabei ist es nicht einmal notwendig, die Neutralität völlig aufzugeben und der Nato beizutreten. Wir haben die Neutralität längst flexibel interpretiert, und das können wir auch jetzt tun. (Hans Rauscher, 20.5.2023)