Wenn in München bei der Hauptpremiere der Opern-Festspiele Verdi draufsteht, ist auch Verdi drin. Zumindest, wenn Fabio Luisi am Pult des Orchesters und La forza del destino (in der Mailänder Version von 1869) auf dem Programm stehen. Das klingt präzis und selbst in der aufrauschenden Emphase kontrolliert, ohne sich ins Blendwerk des aufschmetternden Effektes zu flüchten.

Man hatte in den kleinen Rollen des Padre Guardiano mit Kurt Moll und als Bruder Melitone mit Franz-Josef Kapellmann noble Seriosität zu bieten, und mit Violeta Urmana als fulminante Leonore einen Star, der sich nicht scheut, auch die Höhenprobleme, die ein Fachwechsel mit sich bringt, zu zeigen.

Während Marc Delevan als Leonores rachewütiger Bruder Carlo streckenweise berührte, bot Franco Farina als sein Gegenspieler Alvaro eher die Tenornummer "Vor allem laut und an der Rampe". Gemessen an der Platzierung dieser Premiere war die vokale Seite des Abends eher mäßig. Eine neue Erfahrung zum Ende der Intendanten-Ära von Peter Jonas besteht jedoch darin, dass nicht immer David Alden drin ist, wenn's draufsteht.

Zumindest nicht der Alden, den man in München schätzen gelernt hat. Der mit den Barock- und Wagner-Meriten von La Calisto bis zum Ring. Ein ästhetisch die letzten Jahre in München prägender Regisseur, dem es immer wieder mit szenischen Ein- und Durchblicken entlang von optischen Bruchstellen seiner Stücke gelang, herauszufordern. An Verdis "Ehrenmord"-Räuberpistole mit ihrer Kriegsfolklore ist er jedoch schlichtweg gescheitert.

Nun kann man in politisch korrekten, freilich auch gefährdeten Zeiten vielleicht nicht verlangen, den Opernblick in die Moraluntiefen der eigenen christlich-europäischen Vergangenheit als ein szenisches Déjà-vu des "nachholenden" Schlingerns zu zeigen, mit dem die so genannten "Parallelgesellschaften" der Migranten mitunter in die Schlagzeilen geraten. Deren Story ist das nämlich.

Doch die Blutrache-Geschichte in die Entstehungszeit der Oper zu verlegen und dann "einfach" nur zu erzählen - das ist Aldens Sache nicht. Gideon Daveys rampennahe Bühnenkästen, Mauern oder Bauzäune und der geplünderte Kostümfundus, Abteilung 19. Jahrhundert, tun ihr Übriges. Für emotionale Überwältigung durch Opernrealismus war das zu sehr Gestenklischee (bei Farina bis zur unfreiwilligen Parodie). Für die Brechung der musikalischen Kriegsbegeisterung zu platte (Choristen-)Illustration. Für eine psychologische Lotung zu wenig stilisiert. Fabio Luisi musste also gegen szenische Langeweile andirigieren. Was freilich bei einem Stück mit collagehaften Szenenwechseln nie voll gelingt.

Die Opern-Festspiele bieten unter den insgesamt 18 gezeigten Opern noch mehr Verdi. Aus dem Repertoire Falstaff und Otello und natürlich Doris Dörries unvermeidliche Event-Entführung Rigolettos auf den Planeten der Affen. Christof Loys elegante Intelligenz kann am Beispiel seines Roberto Devereux (mit Edita Gruberova), des hochgepriesenen Saul und seiner Alcina besichtigt werden.

Auch ist in diesem Jahr die Akzentuierung auf neue Werke durch eine Einladung der Stuttgarter Produktion von Karl-Amadeus Hartmanns Simplicius Simplicissimus ersetzt. Natürlich gibt es jede Menge gelungenen Alden (von La Calisto, über Pique Dame bis Lulu) und ambitioniertes Repertoire wie Mussbachs Billy Budd oder Nigel Lowerys witzige Version von Glucks Orphée et Eurydice.

Mit Vielfalt bei den Dirigenten, wobei Ivor Bolton die Barockhoheit hat und sich Zubin Mehta selbst auf den Verdi konzentriert. Mit Balletten und Liederabenden (Diana Damrau, Ian Bostridge, Magdalena Koená) kommen die Festspiele auf 50 Veranstaltungen. Für Kurzentschlossene lohnt sich, so heißt es, ein Nachfragen für Veranstaltungen der zweiten Julihälfte. (DER STANDARD, Printausgabe, 05.07.2005)